4 Tage, 40 Filme und 4000 Zuschauer: Das erste Berlin Chinese Film Festival (柏林华语电影节) fand vom 24. bis zum 27. Februar im Kino Babylon am Berliner Rosa-Luxemburg-Platz statt. Fast zu gut, um wahr zu sein: Die Karten für das umfangreiche Programm (21 Spiel-, 18 Kurzfilme sowie zwei Dokumentationen) wurden an das Publikum verschenkt. sinonerds war dabei, um herauszufinden, was genau BCFF den Filmliebhabern unter uns zu bieten hat.
Unzählige Karawanen verkehrten vor Hunderten von Jahren quer über den eurasischen Kontinent, damit Textilien, Gewürze und allerlei andere Schätze ihre geschäftstüchtigen Besitzer wechseln konnten. Die „Seidenstraße“ strahlt so hell, dass sie heute noch in aller Munde ist und die chinesische Führung sie wieder auf Touren bringen will. Spätestens seit dem ersten Berlin Chinese Film Festival (BCFF) wissen wir: die Seidenstraße des 21. Jahrhunderts ist auch in Deutschland angekommen.
Das verkündete Zhang Xiaobei – der Präsident der Ouzhou-Shibao-Gruppe in Europa, Mitveranstalter des Festivals – in seiner Eröffnungsrede. Auch wenn die Feststellung oft eher Symbolwert hat, lässt sich doch wenigstens ein handfester Schluss ziehen: Für die deutsche Hauptstadt als Endstation der Seidenstraße waren in diesem Februar ein stolzer Teil des Imports Filme, und zwar ohne Preisschild.
Dieser Luxus war möglich, weil die Veranstalter dem Festival in seinem ersten Jahr zu einem schwungvollen Start verhelfen wollten, um das Festival in den kommenden Jahren weiter auszubauen. New Century Culture und die Ouzhou Shibao haben außerdem das Ziel, mit BCFF chinesische Nachwuchsregisseure (jünger als 35) zu fördern. Zum Abschluss vergab das Medienboard Berlin-Brandenburg ein Regie-Stipendium in Zusammenarbeit mit der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf.
Von Wüsten, Morden und Rechtsstaatlichkeit…
Die Bandbreite des Programms konnte schnell überzeugen. Begleiteten wir in „River Road“ noch zwei yugurische Brüder bei ihrem Kamelritt durch die karge Landschaft der Wüste, ging es danach mit dem düsteren Thriller „Port of Call“ in das Stadtdickicht Hongkongs. Das Publikum bekam auch Aufarbeitungen von brisanten gesellschaftlichen Themen zu sehen, auch wenn diese wegen der Schirmherrschaft der chinesischen Botschaft eher moderate Kritik übten. In „Factory Boss“ versucht ein Unternehmer aus Shenzhen in kürzester Zeit eine Schiffsladung Puppen in seiner Spielzeugfabrik anzufertigen, was auf die Gesundheit der Arbeiter schlägt; später demonstrieren die Beschäftigten für ihre Rechte und engagieren einen Anwalt. Solche Bilder sind im chinesischen Kino eher ungewöhnlich, schlagen aber auch in die gleiche Kerbe wie die Bekundungen der Regierung, die Rechtsstaatlichkeit zu fördern.
In politischer Hinsicht schlug das Festival zwar keine offensive, aber doch eine deutliche Note an. So wurde etwa der einzige taiwanische Film im Programm, „Our Times“, der als Eröffnungsfilm lief, mit dem Herkunftsland China angekündigt.
…bis zu Volkskrankheiten und Vergangenheitsbewältigung
Einige Filme warfen auch Fragen auf. „Sunset Love“ malte ein triviales, manchmal gar verniedlichendes Bild von Demenz. Im Film kam der Betroffene vor allem auf ulkige Ideen und hatte Schmetterlinge im Bauch – der Ernst der Krankheit, die gerade für Chinas alternde Bevölkerung immer bedrohlicher wird, schimmerte nicht durch. Der Gewinner des Wettbewerbs „North by Northeast“ überraschte mit einer Annäherung an Vergangenheitsbewältigung. Im Film treibt ein „Rüpel“ (流氓, liú máng) auf dem Land sein Unwesen, indem er nachts in Häuser einbricht und Frauen sexuell belästigt und gar vergewaltigt. Das Besondere: Die Handlung spielt 1978, zwei Jahre nach der Kulturrevolution, nachdem sich das Land vieler seiner Fachleute selbst beraubt hatte (auch solcher, die Kriminalfälle lösen können) und buchstäblich im Dunkeln tappte. Was die Menschen ertragen mussten und wie viel den Behörden durch die Lappen ging, sollen sich die Zuschauer selbst zusammen reimen. Trotz des kritischen Blickes hat auch dieser Film einen komödiantischen Charakter. So entzieht er sich nicht nur einer Abrechnung mit dem Übeltäter, sondern auch einer ausformulierten Klage gegen die fehlgeleitete Politik zu jener Zeit.
Kleine Patzer, großer Gewinn
Das Festival brachte wirklich etwas Neues, denn die meisten der Filme waren Deutschlandpremieren. Dazu lieferten Q&As mit einigen Regisseuren tiefere Einblicke in die chinesische Filmwelt. Da kann man der Organisation ein paar Holprigkeiten verzeihen, wie etwa eine angesetzte, aber nicht vergebene Auszeichnung für die beste Dokumentation oder das Geständnis von zwei preisgekrönten Regisseuren in ihren Dankesreden, von einem Wettbewerb nichts gewusst zu haben.
Die Entscheidung, das BCFF nur drei Tage nach der Berlinale abzuhalten, hatte gute und schlechte Seiten. Einerseits hatten die chinesischen Filmemacher so einen doppelten Reisegrund, andererseits waren das Berliner Publikum und auch wir sinonerds schon fast übersättigt mit Kino. Wir erkennen bei der Zeitwahl eine Zwickmühle. Trotzdem wagen wir die Prognose, dass sich das BCFF an einem anderen Termin zukünftig noch besser profilieren könnte.
Der direkte Anschluss an die Berlinale unterstreicht allerdings auch die Qualität des BCFF. Das Programm des neuen Festivals fiel inhaltlich nicht in den Schatten der weltberühmten Berlinale. Im Gegenteil, das große Line-Up von Filmen und deren Anspruch beeindruckte sogar die Berlinale-Organisatoren.
Besonders schön ist das Stipendium für die beste Nachwuchsregie, das in diesem Jahr an die Regisseurin Degena Yun für ihren Film „A Simple Goodbye“ geht. Sie darf sich nun einen Film mit Bezug zu Berlin und Brandenburg ausdenken, bei dessen Verwirklichung die Filmuniversität Babelsberg sie tatkräftig unterstützen wird.
Die kulturellen Pfade zwischen Deutschland und China werden also beschritten. Wir hoffen, dass das BCFF auch in den nächsten Jahren weiter Brücken baut. Denn so viel chinesischsprachiges Kino in Berlin ist auch abseits des Erfolges der Organisatoren ein klassischer Fall von Win-Win: Für chinesische Filmemacher, weil sie bekannter werden; für die Vertreter der chinesischen Regierung, weil sie ihre „Soft Power“ ausbauen; und nicht zuletzt für die Kinogänger, weil sie sich aussuchen können, was sie sehen wollen.