大忘杠 Da Wang Gang: Der Versuch, das Unerklärbare zu erklären

Dieses Jahr war es wieder so weit. Der Verein „Bambuspforte“, eine Gesellschaft für deutsch-chinesischen Kulturaustausch in Berlin, eröffnete am 18. September 2014 feierlich das diesjährige Chinesische Kulturfestival Berlin, bei dem Gäste einen Einblick sowohl in die traditionelle als auch moderne chinesische Kultur bekommen konnten. In diesem Artikel werde ich auf ein ganz besonderes Highlight des Chinesischen Kulturfestivals eingehen: Song Yuzhe (宋雨喆) mit seiner Band Da Wang Gang (大忘杠).

Nicht nur seine Musik ist außergewöhnlich, sondern auch die Gruppe, die „Da Wang Gang“ bildet. Sie besteht aus dem Sänger, Kern und Gründer Song Yuzhe sowie weiteren Gesichtern, die je nach Zeit oder Veranstaltungsort wechseln. Damit ist es immer eine bunte Mischung von Menschen und Einflüssen, die den Musikstil von Sänger Song interpretiert.

da wang gang_song yuzhe

Song Yuzhe 宋雨喆

Dieses Mal in Berlin bestand die Gruppe aus einem Drummer aus Japan, die Querflöte und den Bass spielten jeweils ein Vertreter aus Belgien, am Keyboard saß ein Musiker aus Schottland, und natürlich, nicht zu vergessen: Song Yuzhe aus Nord-Ost China, mal am Banjo, mal an der Gitarre. Einige seiner Bandmitglieder hat Song auf Festivals kennengelernt, andere hat er einfach auf Facebook gesucht und angeschrieben, ob sie nicht Lust hätten nach Berlin zu kommen und mit ihm aufzutreten.

Ich muss zugeben, als ich von dem Sänger hörte, war ich sehr skeptisch. Das Wechseln der Mitglieder klang mir zu wirr. Man sagte mir, die Musikrichtung von Song hätte er selber erschaffen. Solch einen Stil hätte man zuvor nicht gehört. Ich habe bereits einige Künstler gesehen, die nach ihrer Inspiration und Ausdruck ihre Kunst vermitteln, ohne Rücksicht auf das Publikum zu nehmen, sodass die Zuschauer der Eigenheit des Künstlers nicht folgen können. Wie auch immer, Neues und Ungewöhnliches heißt noch lange nicht, dass es schlecht ist. Die Skepsis und das kleine damit verbundene Angstgefühl konnte mein Interesse und meine Neugier gegenüber “Da Wang Gang” nicht überwiegen.

da wang gangOh, wow! Ich wurde positiv überrascht. Dieses multikulturelle Zusammenschmelzen und die Flexibilität zeichnet die Band aus. Offenheit, Toleranz und Respekt gegenüber anderen Kulturen wird von ihnen gelebt. Vor allem wird die Neugier nach der fremden Kultur gestillt. Man stellt fest, dass sie sich nicht viel voneinander unterscheiden. Die fünf Musiker auf der Bühne gaben mir ein Gefühl von: „Wir verkörpern die Welt mit ihren unterschiedlichen Menschen; die Welt ist eins, wir sind eins.“

Die Musik ist eine außergewöhnliche Mischung aus westlichem Rock und elektronischer Musik, vermischt mit traditionell-volkstümlichen chinesischen Klängen. Die Texte sind simpel, dennoch schwebt man zwischen den Zeilen. Song singt mit enorm viel Gefühl und Leidenschaft. Man merkt, dass er mit seinen Lieder eine tiefe Verbindung hat. Vielleicht sind es Kindheitserinnerungen, moralische Fragen, die ihn beschäftigten oder die Hierarchie in der Natur, also tiefgehende Überlegungen über das Leben an sich. Diese Nachdenklichkeit ist ansteckend, man wird mit in den Bann seiner Klänge gezogen. Seine Bandmitglieder verstehen kein Wort Chinesisch, somit auch nicht Songtexte, dennoch sieht man den Wandel ihrer Emotionen. Das Publikum hat dementsprechend reagiert. Es wurde gelacht, mitgeschwungen, zum Takt geklatscht oder nur geschwiegen… Die anschließende Zugabe hat dem Publikum nicht gereicht.

da wang gang_drummerWas kann man sich nun unter „大忘杠“ vorstellen? Wortwörtlich gesehen, kann man den Namen nicht schlüssig erklären. Song Yuzhe selbst sagt, dass er den Namen nicht erklären kann. Trotzdem hat er eine Verbindung mit ihm. Sein Opa hat immer „ 大忘杠, 大忘杠, 大忘杠“ gesagt, als er mit dem kleinen Song gespielt hat. Machmal braucht man nicht alles verbal ausdrücken können, in diesem Fall werden Emotionen durch Musik vermittelt und auf magische Weise schlüssig an uns weitergegeben.

Also nochmal die Frage: Was kann man sich nun unter „大忘杠“ vorstellen? Ich denke, Du bist nach dem Lesen von all dem da oben nicht schlauer geworden. Das macht nichts. Als man mir von dieser skurrilen Mischung erzählte, da habe ich auch nur die Stirn gerunzelt und mir kein Bild machen können. Man muss es schon selbst hören, oder noch besser, es erleben. Meine Tante – die unmusikalischste Tante, die ich kenne – hat sogar unbewusst richtig im Takt geklatscht. Nanu? Gibt es doch Wunder? In diesem Moment verstanden wir alle dieselbe Sprache: Die Sprache der Musik.

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Über den Autor

Lulu Li

Lulu lebt seit ihrem ersten Lebensjahr in Berlin und studiert dort Bauingenieurwesen an der Technischen Universität. Sie interessiert sich für Kunst und Kultur, besonders im Bereich Fotographie/Film und Theater. Da sie zweisprachig aufgewachsen ist, außerdem in beiden Kulturkreisen lebt, legt sie viel Wert auf interkulturellen Austausch und Freundschaft.

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