Semesterferien: „Mögt ihr mich besuchen kommen?“, fragt unser Freund Cliff, und wir nehmen gerne an. In seine Heimatstadt Menglian 孟连 soll es gehen, in die tropische Grenzregion im Südwesten Chinas also, mitten in Regenwald, Regenzeit und einem regen Treiben.
Ein Blick in den Yunnan-Atlas verrät: Der Ort liegt im äußersten Südwesten Yunnans, unweit der Grenze zu Myanmar. Auch sehen wir: Viele Ortsnamen enthalten ein „Meng“ oder „Mang“; wir finden Mengsuo 勐梭 und Mengka 勐卡, Mangxin 芒信und Manghai 芒海. Was es damit wohl auf sich hat? Ein Rätsel, dem es nachzugehen gilt!
Meng #1: Menglian 孟连
„Meng? Ich glaube, das bedeutet nur, dass in dem Ort überwiegend Dai leben, es ist eine Übertragung aus der Dai-Sprache ins Chinesische,“ erklärt uns Cliff, als er uns am Menglianer Busbahnhof nach langer Fahrt abholt. Er selbst gehört der Dai-Ethnie 傣族 an, die überwiegend in Südyunnan anzutreffen und mit den Thais verwandt ist. Auch linguistisch und kulturell bestehen bestimmte Ähnlichkeiten, z.B. gleichen sich Thailändisch und Dai in vielerlei Hinsicht.
Die Verwandtschaft beider Völker zeigt sich auch beim Besuch eines Dai-Tempels: Im Gegensatz zum Rest Chinas ist die unter den in Menglian lebenden Dai dominierende Form des Buddhismus der Theravada-Buddhismus, der ansonsten in Thailand, Laos und anderen südostasiatischen Ländern verbreitet ist. Und so erinnern die Tempel Menglians eher an die goldenen Wats Südostasiens als die schlichteren Tempel im Rest des Landes.
Im Verlauf des Tages gesellen sich nach und nach Freunde von Cliff zu uns, die, wie wir bald erfahren, größtenteils Dai sind, doch finden sich auch Angehörige der Ethnien Wa 佤族 und Lahu 拉祜族. Menglian hat ein bisschen Südostasien-Feeling: scharfe Küche, süße Mangos, grüner Regenwald, eine gewisse drückende Schwüle, gepaart mit Schauern – es ist Regenzeit. Auch die Bewohner der Stadt sind sehr freundlich, allen voran Cliffs Familie, die uns sehr lecker bekocht, es gibt viel Fisch, viel Bambus, viel Chili.
Meng #2: Meng’a 勐阿
„Ich glaube, Meng heißt einfach nur Stadt“, erläutert uns Xiao Ma, der wie Cliff in Meng’a geboren ist. Ist die Lösung wirklich so einfach? Und kann man Meng’a, wohin wir als nächstes gefahren sind, wirklich „Stadt“ nennen? Der Ort besteht wirklich nur aus ein paar Straßen, Bananenfeldern, Regenwald – und der Grenzanlage, denn auf der anderen Seite des Nanka-Flusses 南卡江, an dem Meng’a liegt, beginnt Myanmar.
An dieser Stelle ein kleines Geständnis: Wir reisen zu zweit, aber nur einer ist mit Pass unterwegs. In einer oft als „empfindlich“ bezeichneten Grenzregion ist das ein bisschen schwierig. Denn viele der chemischen Drogen, die in Yunnan und dem Rest Chinas kursieren, finden über diesen Fluss ihren Weg ins Land, mitunter sogar an Grenzübergängen wie dem in Meng’a. Ausweis- und Gepäckkontrollen sind daher nicht selten.
Was uns rettet, ist die grundsätzliche Annahme der Grenzpolizei, dass Studenten nicht in Drogengeschäfte verwickelt sind; ein Studentenausweis beweist hier automatisch die Unschuld seines Besitzers. Und so strecken wir sämtlichen Beamten immer brav dieses Ausweisdokument, das irgendwie selbstgebastelt aussieht und lieblos zusammengetackert ist, hin, lächeln und hoffen das Beste. Wir halten jedes Mal den Atem an, aber es funktioniert (ohne Gewähr für alle zukünftig Reisenden, ein Pass in der Tasche ist trotzdem ratsam). Da für Angehörige von Drittstaaten die Grenze geschlossen ist, ist uns ein kleiner Abstecher nach Myanmar allerdings ohnehin nicht möglich.
Meng #3: Ximeng 西盟
„Meng…soweit ich weiß, heißt das auf Dai so etwas wie prächtig oder strahlend, irgendwie imposant“, hat uns Cliffs Freund Deng Zilong noch erklärt, bevor er uns am Busbahnhof Meng’as verabschiedet. Wir fahren, nun zu zweit, nach Ximeng, dessen Name so gesehen wohl „Westlicher Glanz“ bedeuten würde, wenn man den Dai-Chinesisch-Mix nicht scheut.
Halt – Dai? Wo denn? Ximeng ist eine Stadt der ethnischen Gruppe Wa 佤族. Die Wa sind wie die Dai eine der kleineren ethnischen Gruppen Chinas – die meisten Wa leben in Myanmar, wo sie im Wa State weitreichende Autonomie genießen, auch wenn dieser Staat von der myanmarischen Regierung bislang nicht anerkannt ist. Die Wa Chinas sind hingegen eine zahlenmäßig kleine ethnische Gruppe, die sich mit zahlreichen, ebenso kleinen Ethnien eine Ecke Yunnans teilt.
Unser Eindruck: Irgendein Komitee hat hier darauf gesetzt, dass der große Ximeng-Tourismus ausbricht. Die Häuser der Innenstadt sind alle im einheitlichen „Wa-“Stil renoviert worden, ein großer Bildschirm auf dem zentralen Platz zeigt Videos heiter tanzender Was, doch die Hotels scheinen irgendwie ihre besten Jahre gesehen zu haben, und Reisende findet man keine. Der einzige Ortsfremde, den wir hier treffen, ist ein heiterer Myanmare, der an der Straße süße Crêpes verkauft. Aber Touristen? Gibt es nicht. Es ist wohl doch etwas zu umständlich zu erreichen.
Schade eigentlich, denn der Ort hätte einiges zu bieten. Nicht nur die Berge und ein nahegelegener See sind wunderbar, auch die Wa-Küche gefällt uns sehr, deftig und stark gewürzt, mit vielen Kräutern, viel Fleisch und viel, nunja, Sättigung. Wir schlagen uns zwei Tage in Ximeng die Bäuche voll, dann begeben wir uns auf den Rückweg nach Kunming.
Und was ist nun des „Meng-“Rätsels Lösung? Es ist ein bisschen kompliziert, aber am dichtesten liegt wohl Xiao Ma mit der ausgesprochen profanen Übersetzung „Stadt“. Die vielen Mengs, die vielen Städte, ergeben eine Region, in der es noch unendlich viel zu erleben und entdecken gäbe, die ethnisch, kulinarisch und landschaftlich sogar eine der vielseitigsten Yunnans sein mag.
Zu guter Letzt: Praktisches
Transport: Von Kunming aus fahren Busse direkt nach Menglian, alternativ können unterwegs Zwischenstopps z.B. in Pu’er 普洱 oder Lancang 澜沧 eingelegt werden. Die Anreise über Pu’er, die wir gewählt haben, dauert sieben plus sieben Stunden und kostet insgesamt RMB 250 je Richtung. Von Menglian fahren Busse in kleinere Orte wie Meng’a oder Ximeng.
Unterkunft: In einfachen Hotels (binguan 宾馆) kostet ein „Standardzimmer“ für zwei Personen (biaojian 标间) RMB 50-100.
Klima: Das Klima Menglians ist tropisch. Die Reise nach Menglian ist ganzjährig möglich, allerdings empfiehlt es sich, die Regenzeit zu meiden, d.h. November bis April sind ideal.
Gute Reise!
Ni ke nadie: wohin gehst Du?
Dieser Gruß könnte nicht besser zu Yunnan passen, denn die bunte Provinz im Südwesten Chinas bietet eine Fülle von Antworten. Zwischen Regenwald im Süden und Steppe im Norden führen ihre Wege zu den verschiedensten Gesichtern, Gerichten und Geschichten.
Seit nunmehr drei Jahren bin ich auf diesen Pfaden unterwegs und meine Begeisterung für Yunnan wächst und wächst. Meine Erkundungen und Erlebnisse teile ich mit euch in meiner Kolumne Ni ke nadie? Pfade durch Yunnan.
Titelbild credit: Flickr photo by jpaulhart http://flickr.com/photos/61652362@N00/15978730032 shared under a Creative Commons (BY-NC-SA) license. Die weiteren Bilder wurden von Autorin Charlotte zur Verfügung gestellt.