河口, wo Vietnam China trifft

Ni ke nadie #6

Von Hekou 河口, an der chinesisch-vietnamesischen Grenze gelegen, sind uns diverse Gerüchte zu Ohren gekommen: Nur für den Grenzübergang interessant, sagen die Einen; etwas suspekt, argwöhnen die Anderen; AUSGESPROCHEN ROMANTISCH!!, preist die Werbung – doch niemand war jemals wirklich länger dort, als es der Marsch vom Bahnhof zum Grenzübergang erfordert. Was für ein Ort ist es eigentlich? Wir machen uns auf eine kleine Erkundungsreise.

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© Maz Johnrose

„Hekou – die romantischste Grenzstadt Chinas“ preist eine Anzeige in einer Zeitschrift diese Stadt in Yunnan an, und aus irgendeinem Grund ziert dieses Inserat das zahnlose Lachen eines alten, in einem Bötchen sitzenden Mannes, der wiederum in eine irgendwie an Plastik erinnernde Landschaft gephotoshopt wurde. Diese soll wohl Vietnam darstellen, denn die auf Hekou folgenden Stationen der Pauschalreise, die hier feilgeboten wird, liegen allesamt dort.

In Hekou selbst befindet sich der chinesisch-vietnamesische Grenzübergang über den Fluss Nanxi 南溪. Die romantischste Grenzstadt Chinas? Irgendwie klingt das paradox. Von anderer Seite wurde mir der Ort auch als „filthy, sketchy ghetto in the jungle“ beschrieben – ein halbseidenes Kaff also? Und ist es nicht tatsächlich auch eher ein Ort der Durchreise auf dem Weg nach Vietnam? Die wenigsten Touristen halten sich länger in Hekou auf, als unbedingt erforderlich. So fällt die Entscheidung, Hekou mal in Augenschein zu nehmen und zu sehen, was es mit diesem Ort nun eigentlich auf sich hat. Romantik? Zwielicht? Oder simpler Transit?

Ein Blick auf Hekou

Ankunft am Hekou’er Bahnhof: drückende Schwüle, und das um sechs Uhr morgens, dazu strömender Regen. Letzteres wird sich im Laufe des Tages bessern, Ersteres hingegen nicht. Wir erkunden Hekou im Morgengrauen und finden den Ort eigentlich sehr hübsch. Im Zentrum stehen Häuser im kolonialen Stil, die tatsächlich an Hanoi erinnern, es grünt allerorts und bald schon öffnen die ersten Restaurants. Zum Frühstück nehmen wir Phở zu uns, eine vietnamesische Nudelsuppe mit Rindfleisch, die mit Limetten, Chili und Koriander gewürzt wird.

Schmalspurbahn_Hekou

© Maz Johnrose

Die Nähe zu Vietnam wird wohl nirgends deutlicher als in der „Vietnam-Straße“ (Yuenan Jie 越南街). Hier werden in kleinen Häusern und in einer lebhaften Markthalle vietnamesische Produkte aller Art zum Kauf angeboten, viel Essbares, vor allem Gebäck und Cashewnüsse, außerdem Kaffee und diverses Dekoratives. Neben diesem Markt bietet Hekou einen Tempel (Guanyin chansi 观音禅寺), der über die Reste der Yunnan-Vietnam-Schmalspurbahn erreichbar ist, und schmackhafte vietnamesische und südostasiatische Küche: Wir schlagen uns mit Garnelen in Kokosraspeln, scharfem Fisch, Frühlingsrollen, Mangosalat (Achtung, auch scharf!) und Klebreis mit süßem Joghurt die Bäuche voll. Nachmittags werden entlang der Uferpromenade Saftbars aufgebaut, die frischgepresste Säfte verschiedenster Früchte servieren.

Auch wenn die chinesisch-vietnamesischen Beziehungen nicht immer die besten sind: Bei unserem Besuch in Hekou ist davon nichts zu merken. Allerorts werben Schilder von Reisebüros für Vietnamtouren und es gibt vietnamesische Produkte in den Regalen der Geschäfte und Auslagen der Märkte. An der Grenzanlage, auf beiden Ufern architektonisch leicht protzig, herrscht reger Betrieb. Hekous Straßen schmücken zweisprachige Schilder und gelegentlich ist Vietnamesisch zu hören.

Ein zwielichtiger Ort? Durchaus!

Wer den Grenzfluss entlangläuft, wird von drahtigen Herren in schaukeligen Booten angesprochen, die Grenzübertritte der weniger legalen Natur anbieten. Hinzu kommt das Hundeproblem – hier und da sind (große) Straßenhunde anzutreffen, häufig in Rudeln und nicht immer freundlich: Wir müssen unser Hekou-Programm ein wenig ändern, als wir nach einer ungemütlichen Hundebegegnung auf einmal Tollwutspritzen benötigen. Und woher genau stammen eigentlich all die hier angebotenen vietnamesischen Waren?

Grenzfluss

© Maz Johnrose

Ein romantischer Ort? Schwer zu sagen!

„Romantik“ ist naturgemäß ein eher schwammiger und in verschiedenen Kulturen verschieden aufgefasster Begriff, den Chinesen vielleicht tatsächlich auf Hekou anwenden würden: Es gibt Häuser im kolonialen (sprich: „europäischen“) Stil, eine Uferpromenade, einen klitzekleinen historischen Zug, alles wunderbar geeignet für Happy Couple Selfies auf WeChat. Was die Fotos nicht zeigen: Fluchten vor Vierbeinern, Dreck, Schwüle. Suum cuique, mag man denken, und so gesehen hatte das eingangs erwähnte Plakat wohl weder Recht noch Unrecht.

Ein Ort der Durchreise? Ganz bestimmt!

Erfrischung

© Maz Johnrose

Vieles in Hekou ist auf die Reise nach Vietnam ausgerichtet, z.B. säumen unzählige Reisebüros die Straßen des Zentrums und auch ebenjene drahtigen Herren in ihren Booten bauen darauf, dass Menschen in ein anderes Land übersetzen möchten. Doch romantisch hin, zwielichtig her, Hekou hat es durchaus verdient, ein wenig Zeit geschenkt zu bekommen, die nicht nur der Durchreise gewidmet ist.

Zu guter Letzt: Praktisches

Transport: Seit 2014 ist Hekou von Kunming aus mit der Bahn erreichbar. Viermal am Tag fährt der Zug von Kunming nach Hekou, u.a. gibt es auch einen Nachtzug. Die Fahrt dauert ca. sieben Stunden und kostet 70 bzw. 121 Yuan pro Sitz- bzw. Liegeplatz.

Schneller und auch etwas teurer ist der Bus, durch den Hekou auch mit anderen Städten Yunnans verbunden ist. Von Vietnam aus ist Hekou über den Grenzübergang in Lao Cai erreichbar.

Unterkunft: In Hekou finden sich zahlreiche Übernachtungsmöglichkeiten, v.a. am Nanxi. Ein Standardzimmer im binguan 宾馆 kostet unter 100 Yuan. Einige Hotels dienen auch als Reisebüros.

Klima: Hekou ist ganzjährig warm und schwül. Von Juni bis September fällt starker Regen.

Gute Reise!

Ni ke nadie: wohin gehst Du?

Dieser Gruß könnte nicht besser zu Yunnan passen, denn die bunte Provinz im Südwesten Chinas bietet eine Fülle von Antworten. Zwischen Regenwald im Süden und Steppe im Norden führen ihre Wege zu den verschiedensten Gesichtern, Gerichten und Geschichten.

Seit nunmehr drei Jahren bin ich auf diesen Pfaden unterwegs und meine Begeisterung für Yunnan wächst und wächst. Meine Erkundungen und Erlebnisse teile ich mit euch in meiner Kolumne Ni ke nadie? Pfade durch Yunnan.

*Titelbild credit: Flickr photo by jpaulhart http://flickr.com/photos/61652362@N00/15978730032 shared under a Creative Commons (BY-NC-SA) license.

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Über den Autor

Charlotte Degro

Nach ihrem Bachelorstudium der Sinologie in Leipzig und Kunming zog es Charlotte zurück nach China, wo sie an der Kunming University of Science and Technology Rechtswissenschaften studiert. In ihrer Freizeit reist sie gerne, liebt Bücher ebenso wie chinesische Straßenküche und versucht sich an diversen Fremdsprachen, Geige und Badminton. Charlottes eigener Blog ist shenghuoshenghuo.tumblr.com.​

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