非诚勿扰 Fei Cheng Wu Rao: Liebe durch die chinesische Mattscheibe

Was wir von Chinas bekanntester Dating-Show lernen können

非诚勿扰 = 非常无聊?Fei Cheng Wu Rao, Chinas bekannteste Dating-Show, ist für sinonerds-Autor Mario ganz und gar nicht langweilig. In seinem Beitrag für das Spotlight 2016 erklärt er, warum die oberflächlich wirkende Sendung einen Blick wert ist.

Scheinwerferlicht. Musik ertönt: „Can You Feel It“ von Jean-Roch. Rhythmisches Klatschen. Ein junger Mann schwebt mit einem Fahrstuhl zur Bühne hinab und mein Gehirn schaltet um in den Popcornmodus. Es ist wieder Zeit für 非诚勿扰! Diese vier Zeichen, “fēi chéng wù rǎo”, sind  eigentlich eine chinesische Redewendung, die ungefähr so viel bedeutet wie „nur ernst gemeinte Angebote“, oder etwas direkter übersetzt „unehrlich – störe nicht“. Zugleich lautet so der Name einer sehr erfolgreichen chinesischen Dating-Show, die schon seit geraumer Zeit eines meiner „guilty pleasures“ ist. In diesem Artikel will ich erklären, warum es sich lohnt, der Sendung eine Chance zu geben.

Die Chancen für die Liebe stehen 24 zu 1

Das Konzept der Sendung ist schnell erzählt: In einem Fernsehstudio stehen 24 „Single Ladies“ 单身女生 (dānshēn nǚshēng) an Stehpulten. Im Laufe der Sendung werden ihnen der Reihe nach vier bis fünf „männliche Gäste“ 男嘉宾 (nán jiābīn) vorgestellt. Sobald ein Kandidat die Bühne betritt, haben die Frauen einige Sekunden Zeit, ihn zu mustern. Danach können sie im Verlauf der Sendung jederzeit das Licht an ihrem Pult ausschalten, wenn ihnen der Kandidat nicht gefällt. Gefällt einer Teilnehmerin ein Kandidat besonders gut, kann sie ihr Licht aufblitzen lassen.

Der Kanditat wiederum muss zu Beginn seine „Herzensdame“ 心动女生 (xīndòng nǚshēng) aus den 24 Frauen auswählen. Jeder Kandidat wird in drei kurzen Videos vorgestellt, zwischen denen es Frage- und Antwortrunden gibt. Sollten am Ende der Sendung noch mehrere Frauen Interesse an dem Mann haben, werden zwei von ihnen sowie eben die Auserwählte auf die Bühne geholt. Der Mann kann nun entscheiden, ob er mit einer der ihm zugeneigten Teilnehmerinnen die Sendung verlässt, oder – mit dem Risiko der Ablehnung –  an seiner Favoritin festhält.

Sollten alle Lichter für ihn ausgehen, oder schafft er es nicht, seine Auserwählte für sich zu gewinnen, muss er zu den Klängen von „O Fortuna“ aus Carl Orffs Carmina Burana die Bühne verlassen.

Dieser Ablauf ist immer gleich. Die Sendung ist furchtbar kitschig, fast alles an ihr wirkt künstlich. Von den gestylten Kandidatinnen über die professionell produzierten Vorstellungs-Videos der Kandidaten bis hin zu den formelhaften Dialogen, die sich zwischen beiden Seiten und den Moderatoren ausbreiten.

Warum habe ich mir unzählige Ausgaben dieser Sendung angeschaut? Schließlich meide ich doch Reality-TV normalerweise wie die Pest! Die Antwort lautet: Weil sie meiner Meinung nach ein Spiegel der chinesischen Gesellschaft ist, und eine ausgezeichnete Möglichkeit, mein Chinesisch auf Trab zu halten.

Wer lieber im BMW weint

Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, wo ich zum ersten Mal von Fei Cheng Wu Rao gehört habe. Aber sehr wahrscheinlich hatte es mit einem berühmten Satz aus der Anfangszeit der Sendung zu tun. Damals war sie noch eine Neuheit im chinesischen TV und alles andere als politisch korrekt.

„Ich würde lieber in einem BMW sitzen und weinen“ (我还是坐在宝马里哭吧) – so antwortete eine Teilnehmerin auf die Frage eines arbeitslosen Kandidaten, ob sie mit ihm Fahrrad fahren wolle. Dieser Satz ist nicht ohne Grund zu einem geflügelten Wort geworden.


„宁在宝马车里哭,也不在自行车上笑“ – die weite Verbreitung dieses Satzes in China stellt beispielsweise dieses Video unter Beweis (ab Minute 2:25).

Zum einen steht er für eine stereotypische Sichtweise auf die Wohlhabenden der jungen Generationen Chinas, insbesondere auf die sogenannten 副二代 (Fǔ’èrdài), deren Eltern vom wirtschaftlichen Aufschwung der Reform-und Öffnungspolitik enorm profitierten. Er steht für die viel beschworene und auch durchaus begründete Wahrnehmung der gegenwärtigen chinesischen Gesellschaft als konsumorientiert und besessen von Statussymbolen.

Zum anderen steht dieser Ausspruch auch für die turbulente Anfangszeit von Fei Cheng Wu Rao. Denn einige Zeit nachdem die Show im Jahr 2010 auf Sendung ging, fiel sie den chinesischen Behörden negativ auf und wurde vom Sendeplan genommen. Als sie wieder auf Sendung gehen durfte, hatte sie sich verändert: übertriebene Darstellung persönlichen Reichtums und sexuelle Anspielungen waren nicht mehr enthalten, und eine dritte Moderatorin wurde hinzugefügt: Huang Han Laoshi, eine Dozentin für Psychologie von der Kaderschule der Kommunistischen Partei. Oft hebt sie den moralischen Zeigefinger und erteilt den Teilnehmern Ratschläge und Ermahnungen unterschiedlicher Art. Etwa darüber, dass auch Frauen ihre Männer nicht schlagen dürfen, oder dass Eltern ihren Kindern Freiheiten lassen und sich nicht übermäßig in deren Liebesleben einmischen sollen.

Zensiert und trotzdem interessant

Ich selbst habe keine Ausgaben der Sendung aus ihrer Prä-Zensur-Ära gesehen. Doch gerade das Element der Kontrolle hat Fei Cheng Wu Rao für mich interessant gemacht. Dazu gehören auch die oft leicht paternalistischen Kommentare von Huang Han Laoshi. Diese scheinen angesichts der nachträglichen Einsetzung und des Partei-Hintergrunds der Moderatorin mehr zu sein als gut gemeinte Tipps zum besseren Zusammenleben. Ich sehe in ihnen Anweisungen zum Handeln gemäß bestimmter Werte, nämlich solcher, die das chinesische Fernsehen vermitteln darf und soll.

Diese Wertevermittlung, die ich auch in anderen Aspekten der Sendung erkenne, findet in feiner Abstimmung mit den Präsentationen der männlichen Kandidaten der Sendung statt. In den Videoclips stellen die Kandidaten zuerst sich und ihr Leben vor, dann schildern sie ihre vergangenen Beziehungen, erklären ihr Scheitern oder das völlige Fehlen derselben. Abschließend kommen die meist wenig interessanten Einschätzungen von Freunden und Familienmitgliedern der Kandidaten.

Diese „Selbst“-Darstellungen vermitteln jeweils eine Erzählung über den Kandidaten. Ebenso wie die Kandidaten selbst sind sie stets unterschiedlich, zumindest bis zu einem gewissen Grad. Kandidaten, die sich ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf von geschmorten Schweinefüßen verdienen (siehe Video ca. ab 56:23), sind auf der Bühne von Fei Cheng Wu Rao genauso vertreten, wie reiche „Self Made Men“ aus der IT-Branche. Liebe ist der kleinste gemeinsame Nenner in Zeiten der Ungleichheit – das ist die Botschaft von Fei Cheng Wu Rao.

Trotz der staatlichen Intervention nehmen Karriere und finanzielle Situation der Kandidaten noch immer viel Raum ein. Doch wichtiger als die bloße Menge ihres Vermögens oder ihrer Statussymbole sind die Erzählungen vom persönlichen Erfolg und Misserfolg.

Dabei ist die Sendung selbst ein trojanisches Pferd, das seine Zuschauer in ergreifende persönliche Geschichten und Romantisierungen einlullt, die nebenbei Musterbürger und deren Lebensentwürfe gemäß den Vorstellungen der Obrigkeiten porträtieren sollen.

Real, unreal, egal?

Vergleichen wir Fei Cheng Wu Rao mit dem deutschen Mittagsfernsehen: Stark bearbeitete oder ganz gestellte Reality-Shows zeichnen Stereotypen von bestimmten Teilen der Gesellschaft, die das Publikum in seinen Annahmen bestätigen und Identifizierungspunkte liefern sollen. Dabei geht es auch überhaupt nicht darum, ob die Show realistisch ist oder nicht. Ob sie “scripted” ist oder ihre Kandidaten sich wirklich in dem Glauben anmelden, dort wahre Liebe zu finden, ist eigentlich unwichtig. Wichtig ist ihre Unterhaltsamkeit, auch wenn sich darüber jeder sein eigenes Bild machen kann. Denn natürlich ist Fei Cheng Wu Rao in erster Linie eine Profitmaschine.

Nebenbei hat die Sendung eine gesellschaftspolitische Funktion. Inwieweit diese auch erfüllt wird, bleibt fraglich. Denn ich habe noch niemanden getroffen, der in der Sendung mehr als nur oberflächliche Unterhaltung gesehen hat. Im Vergleich zu den zahlreichen Serien über den zweiten Sino-Japanischen Krieg, die nahezu täglich über die chinesischen Bildschirme flimmern, ist das Propaganda-Potential von Fei Cheng Wu Rao wohl eher gering.

Chinas berühmteste Dating-Show vermittelt ein Bild von China, das bestimmte Rollenmodelle und Normen bedient – aber eben nicht nur jene der staatlichen Autoritäten, sondern auch die eines Millionenpublikums. Die Zuschauer haben dabei die Wahl: sie können sich der Inszenierung einer heilen Welt hingeben und sich mit bunter Unterhaltung mit Wohlfühlfaktor berieseln lassen. Oder sie können die Sendung ironisch “hate-watchen” und sich an ihrer Peinlichkeit und Absurdität aufheizen. Wie auch immer ich Fei Cheng Wu Rao schaue, als ausländischer Zuschauer mit Interesse an China kann ich dabei einiges lernen.

In diesem Jahr wurde die Sendung in 缘来非诚勿扰 (yuán lái fēi chéng wù rǎo) umbenannt, und Huang Han Laoshi wurde von einer neuen Moderatorin abgelöst: der jüngeren Huang Lan, die keinen offensichtlichen Parteihintergrund zu haben scheint, sondern schon länger in der Fernsehbranche mitmischt. Bedeutet diese Veränderung wieder eine neue Phase in der Geschichte von Fei Cheng Wu Rao? Vielleicht. Wie es mit der Show weitergeht und ob sie innerhalb einer soziologischen Perspektive interessant bleibt, wird sich zeigen. Jedenfalls stehen auf YouTube zahlreiche Ausgaben aus den letzten vier Jahren zum “binge-watching” bereit.

Über die Anfangszeit von Fei Cheng Wu Rao, die Veränderungen in der Sendung nach der Intervention und die chinesische Fernsehlandschaft zu dieser Zeit hat die New York Times interessante Beiträge veröffentlicht: 

China’s Censors Rein in ‘Vulgar’ Reality TV Show,  18. Juli 2010 

China TV Grows Racy, and Gets a Chaperon, 31. Dezember 2011

Photo credit: flickr photo by Austin Yoder shared under a Creative Commons (BY-NC) license.

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Über den Autor

Mario Hauter

Mario hat in Berlin einen Bachelor in Chinastudien gemacht und studiert nun in Tübingen Politik und Gesellschaft Ostasiens im Master. Seine China-Erfahrung umfasst bisher ein halbes Jahr in Chengdu, insgesamt vier Monate in Beijing und eine Woche in Taibei. Besonders fasziniert ist Mario von den Unterschieden und Gemeinsamkeiten zwischen diesen Städten.

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