Als 小生 mit Bambusflöte durch Europa

„Ready for boarding“: Am Terminal des Flughafens in Guangzhou warten erschöpfte Reisende auf den Flug nach Europa, als sich plötzlich zwei wunderliche Gestalten auf einem Elektrowagen nähern: kreideweiße Gesichter, rot umrandete Augen und tiefschwarze Brauen, dazu reich geschmückte Gewänder.

Die beiden Gestalten sind: Du Liniang (杜丽娘 ) und Liu Mengmei (柳梦梅), die Protagonisten aus dem Kunqu-Liebesdrama Päonienpavillon (牡丹亭). Die Kunqu-Truppe aus Nanjing geht auf Europa-Tournee und ich bin ein Teil davon.

Kunqu (昆曲) ist eine klassische Form des chinesischen Bühnenspiels. Sie ist älter als die bekanntere Peking-Oper und vor allem in der Region um Kunshan, Suzhou, Nanjing und Shanghai verbreitet. Sie ist weniger schrill, ihr Tempo gemäßigt. Der Päonienpavillon, ihr Aushängeschild, wird als chinesisches Romeo und Julia gepriesen – auch hier gehen zwei junge Liebende an ihren Gefühlen zueinander zugrunde; im Päonienpavillon finden sie durch eben diese allerdings auch wieder zurück ins Leben. Chinesen nennen das 生生死死, manche womöglich von Freud geprägte westliche Sinologen dagegen Nekrophilie. Die Parallelen sind verblüffend: Der Autor des Päonienpavillon, Tang Xianzu (汤显祖), verstarb im selben Jahr wie Shakespeare; die UNESCO will daher 2016 an beide erinnern.

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Zurück ins Flugzeug: Während des Starts muss ich meine Bambusflöte (笛子) wegsperren, sagt Ayşe, die Flugbegleiterin, und deponiert sie in einem Schrank. Kaum sind wir in der Luft, drückt sie mir die Freisprechanlage in die Hand, damit ich die Mitreisenden zum Überraschungsauftritt begrüßen kann (siehe Trailer unten). Während vorne schon die beiden Schauspieler ihre bodenlangen Ärmel durch die Kabine wirbeln, bricht Panik bei mir aus: die Membran an der Flöte ist gerissen. Zum Glück hat mein Flötenlehrer noch Ersatz. So beginnen drei Wochen Auslandsaufenthalt im Auslands-aufenthalt.

Denn eigentlich bin ich in Nanjing zum Chinesisch lernen. Zeitweise von meinem Akkordeon getrennt, habe ich in Nanjing mit dem Flöten-Unterricht an der Kunqu-Oper (江苏省昆剧院) begonnen. Heiligabend durfte ich eine Veranstaltung moderieren, ein anderes Mal  spielte ich – ganz der werbewirksame Westler – geschminkt vor einer Meute Fotografen Flöte.

Organisiert ist alles von Herrn Mao, Mitte dreißig, der schon alle Branchen von LED bis Tesla-Elektroautos hinter sich hat. Nun gilt seine Leidenschaft der Oper seiner Heimatstadt Nanjing. Eines Tages sagte er zu mir: „杜非 (so heiße ich auf Chinesisch), wir wollen eine Dokumentation über Kunqu drehen und in Avignon am Theaterfestival mitmachen. Komm doch mit!“

Was am Anfang noch so vage und unausgereift geklungen hat, dass ich es kaum habe glauben mögen, wird im Flugzeug schlagartig Realität.

On July 8th, 2015, the team Opera Mastermind initiate a Flash performance on the Turkish Airline TK73 from Guangzhou to Istanbul, to celebrate our 5-year global tour show „Peony Pavillion Revisited“ on site of UNESCO world heritages. check this out.

由 Opera Mastermind 貼上了 2015年7月11日

Es folgen: Auftritte auf der Weltausstellung in Mailand, eine Kooperation mit Flamenco-Tänzern in Sevilla, diverse Filmaufnahmen an römischen Weltkulturerbestätten und das Festival dʼAvignon. Zuletzt schwimmen wir – nach getaner Arbeit und ganz im Sinne unserer Mission – in Istanbul von Europa zurück nach Asien, während die Rufe der Muezzine über den Bosporus schallen.

Meine Rolle während der Reise ergibt sich erst nach und nach. Ich bin Ansager, wie an Bord des Flugzeugs, Shoppingberater in Mailand, Dolmetscher (auch wenn mein Schulfranzösisch und -spanisch reichlich eingerostet sind) und ersetze den männlichen Schauspieler bei Filmaufnahmen: Während alle anderen in einer Luxus-Mall ausgesetzt werden, erlebe ich die Strapazen des Schauspielerlebens hautnah: Man zurrt  mir den Skalp fest, um die Gesichtshaut zu straffen und dem für die Rolle obligatorischen Gelehrtenhut Halt zu bieten; die Haut verschwindet unter öligem Make-up. Unter Südeuropas Sonne ist das pure Folter.

Meine wichtigste Rolle spiele ich jedoch in der Dokumentation: einen Ausländer, der traditionelle chinesische Oper kennen und lieben lernt.

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Mit der Truppe hingegen ist es mein erstes Mal als “Chinese” in Europa. In Mailand wohnen wir alle gemeinsam in einer geräumigen, aber in die Jahre gekommenen Airbnb-Villa, ohne Klimaanlage, drei Personen pro Zimmer. Bald schon liefen wir wegen der Hitze nur noch in Unterhose umher, was keinem in der Truppe etwas ausmachte. Manchmal finde ich meine Freunde sehr chinesisch: An den frischen Büffelmozzarella, den ich für die Truppe kaufe, traut sich keiner heran, stattdessen öffnen sie mit einem wohligen Seufzer kleine Päckchen von eingelegtem Gemüse aus der Heimat.

Das Rindfleisch in Frankreich erscheint allen wahnsinnig billig, ab dem frühen Morgen wird geschmort. In Sachen kulturelle Verständigung funktioniert die Kommunikation mit den Einheimischen ohne mich manchmal sogar besser. Etwa als wir verbotenerweise nach dem ersten Auftritt in der Küche Zigarre rauchen und die Vermieterin hereinkommt: Während ich sofort alles gestehen und bereuen will, bietet Mao ihr versöhnlich eine Zigarre und eine Flasche chinesischen Reisschnaps an, und naja, eigentlich sei es ja ihr Bruder, der auf das Rauchverbot bestehe, und übrigens, unten habe sie noch einen guten Roten.

Habe ich mich mit dieser Reise vor den Karren der Partei spannen lassen, die in letzter Zeit eine Rückbesinnung auf „chinesische Kultur“ auf der Agenda hat? Mao zumindest spielt mit offenen Karten: Er hoffe zwar auf finanzielle Förderung seitens der Provinzregierung, verfolge aber gerade den kulturellen Dialog und nicht die Abschottung von der westlichen Kultur, die man z.B. in Chinas Universitäten beobachten konnte. Was er dann noch über den Päonienpavillon sagt, zerstreut meine Zweifel: Im Grunde seien die wesentlichen menschlichen Dramen universell; menschliche Gefühle seien im Osten wie im Westen gleich. Dieses völkerverbindende Element wolle er herausstellen und dazu an den Stätten anderer großer antiker Zivilisationen Filmaufnahmen machen, das Stück spielen lassen und mit Einheimischen in Dialog treten.

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Dieses Ziel haben wir wohl erreicht, auch wenn wir unseren Mailänder Vermieter Massimo nur durch einen als Einladung zum Abendessen getarnten Hinterhalt vor die Kameras bekommen konnten. Meistens aber bieten unsere Auftritte genug Gesprächsstoff; meine Flöte in der Hand verschafft mir viele interessante Begegnungen. Zu zeigen, dass China mehr kann als nur kopieren, das ist wohl das größte Verdienst unserer Reise. Mich persönlich fasziniert die Frage, mit welchen Narrativen Chinesen aufwachsen und eine Identität ausbilden. Um die Kunqu-Texte besser verstehen zu können, lerne ich jetzt an der Uni Klassisches Chinesisch und wenn alles klappt, führe ich bald auch meinen Flötenunterricht fort.

Alle Bilder im Text wurden mit der freundlichen Erlaubnis von 重访 – revisited and redefined verwendet. Mehr Bilder von Felix beim Proben und anderen Auftritten in Nanjing gibt es hier zu sehen, inklusive chinesischer Beschreibungen.

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Über den Autor

Felix Turbanisch

Felix studiert VWL und Asienwissenschaften an der Uni Bonn. Im Sommer 2014 ging er für ein Jahr nach Nanjing und bekam dafür das China-Stipendium von der Studienstiftung und der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung. Jetzt steht er vor der Herausforderung, VWL und das Interesse für China unter einen Hut zu bringen.

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