Hongkong ist eine Stadt zwischen Moderne und Tradition. Auch wenn die alten Seiten von Hongkong wie die Star Ferry oder die Straßenbahn auf Hongkong Island nur selten als bedeutend wahrgenommen werden, machen sie die Stadt zu etwas besonderen.
Unsere Vorstellung von modernen Großstädten ist oft von ihren modernen Gebäuden und Transportmitteln geprägt. Finanztower mit glänzenden Glasfassaden, weitläufige Einkaufszentren mit farbenfrohen Schaufenstern, blankpolierte U-Bahnstationen, in denen Essen und Trinken verboten ist, oder Flughafenterminals, die fast so klinisch rein wie Krankenhäuser sind. Auch die Finanzmetropole Hongkong bildet dabei keine Ausnahme. Selbst wenn manche der Hochhäuser nicht mehr ganz so frisch aussehen, beweist die Stadt mit Projekten wie einer Brücke nach Macao und der Neubebauung des alten Flughafens weiterhin ihren Entwicklungs- und Innovationswillen.
Doch zwischen den Kennzeichen einer Weltmetropole schimmern auch immer Zeichen der Geschichte Hongkongs hindurch. Allem voran natürlich die Vielzahl von kleinen und großen Tempeln, die oft ein stattliches Alter vorweisen können. Doch es gibt auch alte Institutionen, die im alltäglichen Leben der Hongkonger eine Rolle spielen. Während meines Aufenthaltes in der Stadt im Juli 2014 habe ich ein paar von ihnen ausfindig gemacht und möchte sie euch nicht vorenthalten. Ich denke, dass es eben diese historischen Überbleibsel sind, sofern sie von der Bevölkerung geschätzt und genutzt werden, die einer Stadt einen besonderen Charme geben.
Auf dem Weg nach Hongkong Island
Wer heute von Kowloon nach Hongkong Island will, hat einige Transportmöglichkeiten zur Verfügung: Zum Beispiel die U-Bahn, den Bus oder die Fähre. Lange bevor Tunnel den Verkehr auf Straßen und Schienen ermöglichten, gab es jedoch nur die Möglichkeit zu Wasser auf die Insel zu kommen. Nachdem Großbritannien die Annexion von Hongkong (1842) und Kowloon (1860) erzwungen hatte, bestand die Kolonie aus zwei unüberbrückbaren Teilen. Bald erkannten findige Geschäftsmänner und –frauen die Möglichkeit, mit dem Transport von Personen und Gütern Geld zu verdienen. Der indische Parse Dorabjee Naorojee Mithaiwala kam als Koch nach Hongkong, stieg ab 1880 mit dem Dampfschiff „Morgenstern“ in das Geschäft ein, und gründete 1888 die Kowloon Ferry Company. Die lief so gut, dass er bald die Flotte vergrößern konnte und die Firma 1898 verkaufte, um sich in Indien zur Ruhe zu setzen. Im gleichen Jahr wurde das Geschäft in die Star Ferry Co Ltd. eingebunden. Bis zur Eröffnung des Cross Harbour Tunnels 1972 sollte die Fähre die Hauptverbindung zwischen Hongkong Island und Kowloon bleiben.
Auch wenn es heute schnellere Verbindungen zur Insel gibt, und die meisten Passagiere auf der Fähre wahrscheinlich Touristen sind, nimmt die „Starferry“ einen wichtigen Platz im Bewusstsein der Bevölkerung ein. Eine Preiserhöhung um 25% im Jahr 1966 war der Auslöser für Ausschreitungen in der ganzen Stadt. Der Abriss des alten Edinburgh Place Ferry Piers mit seinem großen Glockenturm für Landgewinnungsmaßnahmen führte 2006 zu Kontroversen und Protesten. Es ist einfach ein besonderes Gefühl, mit der schwankenden Fähre zu später Stunde den Victoria Harbour zu überqueren und zu beiden Seiten die Hochhäuser von Hongkong Island und Kowloon zu sehen, besonders für den Preis von 25 Cent pro Überfahrt.
Von Ost nach West ohne U-Bahn
Wenn man sich auf Hongkong Island bewegt, wird es nicht lange dauern, bis man das Rattern und Kreischen der Hongkonger Straßenbahn hört. Das von den Bewohnern ihrem Signalklang nach Ding Ding bezeichnete Verkehrsmittel, wurde bereits 1881 der Regierung vorgeschlagen, aber erst 1901 angenommen. Drei Jahre später begann sie ihre ersten Fahrten zwischen Kennedy Town im Westen und Causeway Bay im nördlichen Zentrum der Insel. Da der dicht besiedelte Streifen zwischen Küste und Bergen auf Hongkong Island recht schmal ist, und die Straßenbahn ihn von West nach Ost durchgehend durchschneidet, ist es fast unmöglich, den charakteristischen Klängen zu entkommen.
Sicher gibt es auch dafür heute schnellere und bequemere Verkehrsmittel, aber in keinem erlebt man das Straßenleben von Hongkong so hautnah wie hier. Von meiner Wohnung in Sai Wan, wo der süßliche Geruch von getrocknetem Fisch und chinesischer Medizin alle Sinne betäubt, über den Verkehrsengpass in Sheung Wan, bei dem man auch mal 15 Minuten zwischen Abgasen auf die Weiterfahrt warten muss, durch die schicken Einkaufszentren in Central und die verglasten Finanztower in Causeway Bay bis zu den lebhaften Straßenmärkten am North Point hat jeder Straßenzug eine andere Wirkung, ein anderes Flair.
Besonders wenn abends die untergehende Sonne sich in verschiedenen Glasfassaden spiegelt, oder nachts die Neonlichter und LED-Anzeigen die Straßen beleuchten und die kühlere Abendluft den Fahrtwind noch angenehmer macht, kann man fast den harten Holzsitz, das manchmal abenteurliche Wackeln und das ohrenbetäubende Kreischen der Räder vergessen und die Gedanken treiben lassen. Die Passagieranstürme der achtziger Jahre sind vielleicht vorbei und heute haben die Fahrgäste entweder keine Eile oder kein Geld, aber auch für all die U-Bahn-, Bus-, Rad- und Taxifahrer ist die Ding Ding weiterhin ein Teil ihrer Stadt.
Wohin mit dem alten Krempel?
Alles, was mal neu war, wird irgendwann mal alt, und man hat die Wahl es zu bewahren oder zu entsorgen. Diese Entscheidungen prägen das Stadtbild und die Kultur einer Stadt. Dass man alte Dinge gewinnbringend wiederverkaufen kann, ist schon einigen Händlern in Hongkong aufgefallen. Ganze Stadtviertel widmen sich dem An- und Verkauf von Antiquitäten. Etwas weniger offensichtlich sind Antiquariate, deren Suche allein ein kleines Abenteuer ist. Wenn man Glück hat, ist am schmalen Hauseingang ein Plakat oder handgeschriebens Blatt Papier angebracht, das den genauen Ort des Ladens beschreibt, ansonsten muss man ihn bereits kennen. Von den drei Läden, die ich auf Hongkong Island während meines Aufenthalts besuchte, war einer im elften Stock eines gesichtslosen Bürogebäudes, in dessen Erdgeschoss nichts auf den Laden hindeutete, ein weiterer war im dritten Stock eines grauen Wohngebäudes, bei dem man unten klingeln musste, um eingelassen zu werden, und der letzte am Ende einiger verwinkelter Treppen und Schächte, denen rot gestrichene Rohre und Ventile an der Decke folgten.
Sobald man jedoch einen dieser Läden betritt, bietet sich ein ähnliches, meiner Meinung nach wundervolles Bild. Bücher und Magazine stapeln sich bis unter die Decke, dicke Bildbände über längst insolvente Automarken, Reiseführer aus den späten Achtzigern, mindestens ein Harry Potter Roman und viele andere nützliche und nutzlose Werke auf Englisch und Chinesisch, mitunter auch Japanisch, Deutsch, Französisch, Spanisch oder Finnisch. Ein Mitarbeiter erzählte mir, dass steigende Mieten und geringe Kundschaft das Überleben der Läden erschwerten und sie daher öfter den Ort wechseln müssten, was das Auffinden der Läden nicht gerade erleichtert. Viele der Verkäufer sind selbst passionierte Leser und führen ihre Geschäfte wahrscheinlich nicht, um damit reich zu werden. Ich denke, es tut ihnen genau wie mir in der Seele weh, ein Buch wegzuwerfen oder im Müll liegen zu sehen.
Alt oder/und Neu
Ist es nun ein Zeichen von Verlustängsten, Messietum oder falscher Nostalgie, sich nicht von alten Dingen lösen zu können, oder ein Verständnis dafür, dass Geschichte uns definiert – ob wir wollen oder nicht – und wir uns besser dessen bewusst sind, damit wir Fehler der Geschichte nicht wiederholen? Die Antwort auf diese Frage kann nicht allgemein beantwortet werden, sondern ist ein Prozess, der immer wieder die Gesellschaft konfrontiert. Wenn ausgediente Ferry Piers in Hongkong, alte Stadtviertel in Shanghai und Peking oder der Flughafen Tempelhof in Berlin neuen Entwicklungen weichen sollen, ist es die Reaktion der Gesellschaft, die die Weiterentwicklung der Stadt definiert. Für mich ist die gelebte Verbindung von Alt und Neu ein Teil des Charmes, der Hongkong besonders macht.