“Niubiii!” ruft einer der vielen Fans und Neugierigen in der Berliner Bar Marie Antoinette. Er nimmt kein Blatt vor den Mund, und der Spirit passt zum Anlass.
Eine gewisse Punk-Rock-Attitüde ist bei Hiperson (海朋森), dem Headliner des Abends aus Chengdu, durchaus zu erkennen. Bands aus China sind für Liebhaber guter Rockmusik und China-Interessierte reizvoll: Charakteristisch für die in China durchaus lebendige Rock-Szene ist, dass sie freier mit den musikalischen Einflüssen umgeht, die Musiker-Communities in Europa oder Nordamerika prägen.
Grund genug für Hiperson, eine ehrgeizige Post-Rock-Formation aus fünf jungen Musikerinnen und Musikern, Sticks und Saiten zu packen und die Bühnen Europas zu bespielen. Unter den 16 Shows in sieben Ländern durfte Berlin natürlich nicht fehlen.
Tatsächlich ist das Marie Antoinette mit Blick auf die nächtliche Spree gut gefüllt, als die Band um Front-Sängerin Chen Sijiang den ersten Ton anschlägt. Etwa eine Stunde lang wird das Publikum durch eine Welt aus treibenden und teils komplexen Rhythmen, scheppernden Akkorden und druckvollen bis hypnotischen Basslines geführt. Die mäandernden, ausgefeilten Licks erinnern hier und da an etablierte Alternative-Größen aus Japan wie Asian Kung-Fu Generation. Wohl einzigartig ist Chen Sijiangs Stimme: Kraftvoll und emotional durchläuft sie, passend zu den poetischen Texten, ein weites Spektrum an Stimmungen.
Ich stand selbst schon unzählige Male mit dem Bass in der Hand auf Rockbühnen und sehe Hiperson auf den ersten Blick an, dass sie sich auf der Tour warmgespielt haben. Die Instrumente sind taktgenau im Einklang, ohne dass die Arrangements steril heruntergespielt wirken. Das tut den technisch durchaus anspruchsvollen Songs gut – und das wiederum sieht man den Musikern auf der Bühne an, die offensichtlich mit jedem Ton mitfühlen. Zwischen den Songs gibt sich Hiperson introvertiert oder fast schüchtern. Ob das daran lag, dass sie so vertieft in die Musik sind oder womöglich eine Sprachbarriere fürchten, ist nicht ganz klar. So bleibt es beim gelegentlichen “Thank you” in Richtung Publikum. Ein wenig schade, denn gerne hätte ich ein wenig mehr über die Band und ihre Songs erfahren.
Musikalisch will die Band viel schaffen, und das in jedem Song. Das führt für mich als Zuhörer zu einer gewissen Orientierungslosigkeit innerhalb von Hipersons vielschichtigen Arrangements. In vielen Nummern passiert sehr viel auf einmal und es fällt schwer, zwischen so einer Buntheit an Klängen und Reizen die Seele eines Songs zu entdecken. Umso stärker sind die Momente, in denen Hiperson einen Gang herunterschaltet und einzelnen melodischen und rhythmischen Ideen erlaubt, sich zu entfalten.
Für das Publikum ist die Show in Berlin einer der kostbaren Momente, in denen man unverfälschte moderne chinesische Kultur live in der eigenen Stadt erlebt. Rockmusik aus China floriert und birgt noch viel Potential in sich. Daher ist es umso schöner, dass Bands wie Hiperson auch weit außerhalb der eigenen Landesgrenzen Clubs füllen. Jeder Konzertgänger trägt zum lebendigen Austausch bei – ganz zu schweigen von den Menschen, die viel Mühe in die Organisation eines Konzerts stecken. Hinter dem Konzert in Berlin standen laut Facebook-Ankündigung 蛛蛛 China Independent Music Export aus Berlin und Maybe Mars aus Beijing. Es bleibt zu hoffen, dass noch viele weitere Konzerte bevorstehen. In diesem Sinne: Bis zum nächsten Mal, Hiperson. Rock on!
Vielen Dank an Lukas Kaddik, der sinonerds bei der Erstellung dieses Artikels unterstützt hat!