Butterfly Lovers

Musik verbindet Menschen ohne Worte und über Grenzen hinweg. An einem persönlichen Beispiel erzählt sinonerds-Autorin Lulu, was ihr Leben in Deutschland mit einem Violinkonzert aus China gemeinsam hat.

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Auf der Bühne

Ich hole meine neuen Noten vorsichtig heraus und zeige sie meiner Geigenlehrerin: Die Originalfassung von “Butterfly Lovers” (梁祝 liáng zhù), ein Violinkonzert. Das Stück basiert auf einer traditionellen chinesischen Sage, die in der Jin-Dynastie (晋朝 265-420) spielt. Ich erzähle meiner Lehrerin kurz die Handlung der Sage, damit wir uns beide beim Üben hinein fühlen können. Eine herzzerreißende Tragödie, die auch oft als das chinesische „Romeo und Julia“ bezeichnet wird.

Da es nicht üblich war, dass Frauen Bildung bekamen, verkleidete sich die junge Zhù Yīngtái (祝英台) als Junge und ging auf eine Privatschule in Hángzhōu (杭州). Dort lernte sie Liáng Shānbó (梁山伯) kennen, einen armen, aber sehr intelligenten Jungen. Zhu Yingtai verliebte sich in ihn, doch bewahrte ihre Maskerade als Junge. Bald bekam sie einen Brief, dass ihre Mutter schwer krank sei und sie umgehend nach Hause kommen solle. Schweren Herzens verabschiedete sich Zhu Yingtai von Liang Shanbo, offenbarte aber noch immer nicht ihre wahre Identität. Sie sagte ihm: „Zu Hause habe ich eine Schwester, die genau so aussieht wie ich. Du wirst sie mögen! Reise mir so schnell wie möglich nach.“

Liang Shanbo hatte schon vermutet, dass Zhu Yingtai eigentlich ein Mädchen war, und empfand dieselben Gefühle wie sie. Er folgte ihren Worten, kam aber bei der Anreise in einen heftigen Regen, wodurch er sich um drei Tage verspätete. Er fand ein leeres Haus vor und erhielt die Nachricht, dass die junge Zhu Yingtai mit einem wohlhabenden Mann verheiratet wurde und bereits auf dem Weg zu ihm war. Diese Nachricht schmerzte Liang Shanbo so sehr, dass er erkrankte und an Herzschmerz starb. Es hatte immer noch nicht aufgehört zu regnen. Zhu Yingtai hasste den Mann, mit dem sie leben sollte, außerdem galt ihre Liebe einzig und allein Liang Shanbo. Eines Tages kam ihre Kutsche an seinem Grab vorbei. Sie konnte es nicht glauben, dass ihr Geliebter gestorben war, und brach vor dem Grab zusammen. In diesem Moment ertönte ein Donnerschlag, woraufhin das Grab sich öffnete und Zhu Yingtai hinein sprang. Endlich hörte es auf zu regnen und zwei Schmetterlinge stiegen sich umfliegend aus dem Grab empor.

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Lulu in einer Aufführung des Stückes

Aufbauend auf diese Sage komponierten 1959 die damals noch jungen Musikstudenten Chén Gāng (陈刚) und Hé Zhànháo (何占豪) von der Shanghai Universität für Musik das Violinkonzert, welches durch ein Orchester begleitet wird. Die Entstehungszeit ließ meine Lehrerin stutzen: „Es ist eigenartig, dass eine traditionelle chinesische Geschichte für eine Geige geschrieben wurde. Zu dieser Zeit hat doch Máo Zédōng (毛泽东) noch gelebt. Hatte Mao damals nicht alle Violinen verbrennen lassen, da sie als westliches Symbol und als schlechter Einfluss galten?“ Damit hatte meine Lehrerin durchaus Recht. Das Konzert gewann erst Ende der 70er Jahren, nach der der Kulturrevolution, an Popularität.

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Bei der Probe

“Butterfly Lovers“ wurde nicht zufällig in dieser kritischen Zeit für „gefährliche Instrumente“ komponiert. Das Konzert spiegelte die Unzufriedenheit einiger Menschen, die in diesem Staat lebten, wider. Gefühle können allein durch Musik vermittelt werden. Aus politischen Gründen haben wir Grenzen zwischen unseren Ländern errichtet, die durch Musik überwunden werden können. Musik verbindet Menschen, auch die, die sich mit Worten nicht verständigen können. Ich sehe das Konzert als eine freundschaftliche Verbindung der chinesischen und westlichen Kultur. Ostasiatische Melodien werden mit westlichen Instrumenten vereint. Das ist auch der Grund dafür, warum ich dieses Stück unbedingt spielen wollte. Ich selber spiegele diesen Kontrast wider, denn ich bin eine deutsche Chinesin. Seit meinem ersten Lebensjahr lebe ich in Berlin. Ich denke deutsch, spreche Deutsch, handle deutsch, sehe aber durch meine Wurzeln ganz und gar nicht deutsch aus. Zu Hause ist alles chinesisch, sobald ich aber aus der Tür hinaus trete, ist alles wieder deutsch. Die Klänge vereint mit dem Bild des ganzen Orchesters geben meine Gefühle als deutsche Chinesin wieder. Sie zeigen mir Offenheit, Respekt, Akzeptanz und Versöhnung.

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sinonerds-Autor*in

Lulu Li

Lulu lebt seit ihrem ersten Lebensjahr in Berlin und studiert dort Bauingenieurwesen an der Technischen Universität. Sie interessiert sich für Kunst und Kultur, besonders im Bereich Fotographie/Film und Theater. Da sie zweisprachig aufgewachsen ist, außerdem in beiden Kulturkreisen lebt, legt sie viel Wert auf interkulturellen Austausch und Freundschaft.

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