Auch nach dem chinesischen Kalender geht der Corona Blues in das dritte Jahr. Hierzulande kämpfen die Sinologiestudent:innen um bis dato selbstverständliche Erfahrungen. An vielen deutschen Universitäten ist mindestens ein Auslandssemester nicht nur erwünscht, sondern auch verpflichtend. Doch seit Beginn der Pandemie lässt die Volksrepublik keine ausländischen Schüler:innen und Student:innen mehr ins Land. Auch in Taiwan steht es nur wenig besser. Was macht das mit den Student:innen und der deutschen Sinologie? Wir haben nachgefragt.
In vielen Feldern bleiben bei westlichen Beobachter:innen in Hinblick auf China große Unsicherheiten. Die Intentionen der Staats- und Parteiführung, interne Lagerkämpfe, soziale Dynamiken im Land und sein kulturelles Erbe beschäftigen Analyst:innen, Forscher:innen und Journalist:innen weltweit.
Unabdinglich für ihre Einschätzungen und für unser Bild von China sind „sinonerds“, Menschen mit einem ausgeprägten Interesse für Teilaspekte Chinas, Menschen mit persönlichen Erfahrung im Land, ihren biographischen Bezügen und gewonnenen Eindrücken. Doch unsere Expert:innen stehen vor einem immer konkreter werdenden Problem. Seit zwei Jahren hat die Volksrepublik coronabedingt keine ausländischen Studierenden mehr ins Land gelassen, seit Jahren werden die Arbeitsmöglichkeiten ausländischer Journalist:innen weiter eingeschränkt und die allgegenwärtige Überwachung schreckt zahlreiche zwischenmenschliche Interaktionen und Kontakte ab, die vor wenigen Jahren noch möglich waren.
Deutschland hat ohnehin schon einen eklatanten Mangel an China Expert:innen, doch mit der Zäsur in den Einreisemöglichkeiten, droht dieser Mangel eine neue Qualität zu erreichen. Kann man chinabezogene Themen einschätzen, ohne je vor Ort gewesen zu sein? Ich glaube nicht. Man kann zwar inhaltlich arbeiten und auch methodisch hochwertige Analysen verfassen, ohne Ortskenntnis fehlt der Arbeit jedoch eine menschliche Komponente, der Bezug zur Lebensrealität der Menschen, zu ihren Perspektiven und Meinungen. Kurz: Es fehlt die interkulturelle Kompetenz und mit ihr die relevante Tiefe.
Die meisten Sinologie Studiengänge in Deutschland beinhalten einen freiwilligen oder verpflichtenden Auslandsaufenthalt im chinesischsprachigen Raum. Dieses Auslandssemester oder häufig auch Jahr gehört zu den prägendsten Momenten eines Sinologiestudiums.
Für diesen Artikel habe ich drei Sinologiestudierende interviewt, um herauszufinden, wie die Pandemie ihr Studium beeinflusst hat, was verloren geht und was das alles für ihre eigene Zukunft und die des Fachs bedeutet.
Robin Liu, 26, studiert Sinologie an der Universität Hamburg und absolviert sein Auslandssemester an der National Taiwan University in Taipei
Wie hat die Pandemie dein Studium beeinflusst?
Corona hat meine Studienplanung im Hinblick auf die VR China komplett verändert. Mit den Einreisebeschränkungen, die seit Beginn der Pandemie gelten, wurde mir die Einreise geradezu verwehrt und damit fiel der Hauptbestandteil meiner Planung einfach weg. Es musste also eine Ersatzlösung her, die ich dann glücklicherweise mit Taiwan gefunden habe.
Was ist verloren gegangen?
Ich denke, vor allem die Erfahrung in der VR China für eine Zeit gelebt zu haben, werde ich missen. Es ist schon ein Unterschied, ob man in der VR lebt oder einem anderen chinesischsprachigen Land. Sprachlich hingegen kann man an den meisten Stellen kompensieren. Zwar bin ich momentan wieder auf klassische Schriftzeichen angewiesen, wenn es aber um das Sprechen selbst oder das Hörverstehen geht, ist der Unterschied nicht gravierend.
Was bedeutet das für deine Zukunft und die des Faches?
Meiner Meinung nach tut sich die VR China mit den Einreisebeschränkungen keinen Gefallen. Sie wirken wie eine Absage und das kann demotivierend für junge Sinologen sein, die sich erhofft haben, dort mal studieren zu können. Es wird einem schon vor den Kopf gestoßen. Natürlich verstehe ich, dass die Regierung um die Sicherheit des Volkes bemüht ist, jedoch sollte man jungen Sinologen aus dem Ausland signalisieren, dass man sich um sie bemüht. Diese Bemühungen sehe ich Momentan nicht und das könnte das Interesse junger Sinologen gehörig dämpfen.
Anna Morris, 25, studiert im 5. Semester Chinesisch und Englisch auf Lehramt an der Universität Göttingen
Wie hat die Pandemie dein Studium beeinflusst?
Für mich wäre das 5. Semester mein Pflichtauslandssemester gewesen. Als feststand, dass es nicht möglich sein wird, mussten wir uns als Studiengang gemeinsam zwischen zwei Optionen entscheiden: 1. Wir gehen das Risiko ein und hoffen auf einen Auslandsaufenthalt im SoSe 22, verzichten aber auf Sprachunterricht im Wintersemester oder 2. Wir verzichten auf unseren Auslandsaufenthalt und erhalten dafür im WS 21/22 vollen Chinesischunterricht mit neuem Chinesischlehrer. Ich war gekränkt, keine Frage, wir alle waren es. Mein geplanter Studienverlauf verschiebt sich damit um ca. ein Jahr nach hinten. Am meisten jedoch zehrt an mir, dass es bislang immer noch keinen Ausblick auf eine Einreise nach China gibt, eventuell aber für Taiwan. Ich wollte ursprünglich nach Chengdu an die Sichuan Daxue, auch weil ich mich mehr an Kurzzeichen orientieren wollte. Im Lehramt werden Kurzzeichen verwendet. Wenn ich es nicht schaffe, im BA in ein chinesischsprachiges Land zu gelangen, dann werde ich es im Master nochmals versuchen oder mich im Anschluss an mein Studium als Lehrerin für Deutsch oder Englisch in China bewerben.
Was ist verloren gegangen?
Mir fehlt die Chance darauf, mein gesprochenes Chinesisch zu verbessern. Momentan haben wir zwar 7 x 1,5 h Chinesischunterricht pro Woche, aber es wird von uns erwartet, dass wir dieselben Fortschritte machen, wie als wenn wir in China oder Taiwan selbst wären. Der intensive, kulturelle Austausch geht mir definitiv ab. Ich bin froh, dass ich immerhin mal für zwei Wochen in China war, aber damals konnte ich noch kein Wort Chinesisch.
Was bedeutet das für deine Zukunft und die des Faches?
Die fehlende oder ungewisse Aussicht auf ein Auslandsstudium für eine Sprache wie Chinesisch hemmt auf alle Fälle die Motivation, sich ins Studium reinzuhängen oder gar erst ein Studium wie dieses aufzunehmen. Zu einem Sprachstudium gehört ein Auslandssemester, denn nur dadurch ist es möglich, die Sprache einmal genauer kennenzulernen. Unsere Dozentin sagte mal: „Ohne einen Aufenthalt in China werdet ihr nie richtig Chinesisch sprechen können“. Dem muss ich zustimmen. Mir, und ich darf auch im Namen meiner Kommilitonen sprechen, fehlt momentan diese Motivation. Auch immer wieder daran erinnert zu werden, dass wir jetzt dort wären, trübt die Stimmung. Auch können wir es nicht nachvollziehen, weshalb chinesische Studenten aus China nach Deutschland zum Studieren kommen dürfen, wir aus Deutschland jedoch nicht nach China und nur einige wenige nach Taiwan.
Julius Pfundstein, 23, studiert im 7. Semester Politikwissenschaften und Sinologie an der Universität Freiburg
Wie hat die Pandemie dein Studium beeinflusst?
Die Sinologie und der mit ihr einhergehende Zugang zu den Stipendien der Konfuzius Institute hatte ich mir nach dem Abitur als Tor nach China vorgestellt. Stattdessen sitze ich seit drei Jahren hier in Freiburg fest und stagniere in den rigiden Studienverlaufsplänen. Bis auf einige Ausnahmen dominieren Frameworks, die Dozierende während ihres eignen Studienaustausches in den 80er und 90er Jahren formten. So ist es schwer im deutschen Diskurs eine Haltung gegenüber China einzunehmen. An Kommiliton:innen, die schon einige Zeit in China verbracht haben, ist hingegen eine gewisse wissenschaftliche Coolness zu beobachten. China als Akteur auf der Weltbühne zu verstehen und berechenbar zu machen scheint ihnen wichtiger als sofortige Abgrenzungen. Der direkte Austausch ist damit nicht nur eine rein persönliche Erfahrung, sondern ein Gütekriterium der gesamten Fachrichtung.
Was ist verloren gegangen?
Ich kenne viele Informationen und Zahlen zu zahlreichen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Phänomenen Chinas. Doch alles zwischen den Zeilen fehlt. Ein Auslandsstudium ist für die meisten Studiengänge ein nice-to-have. Ein Jahr unter jungen Menschen aus aller Welt lachen, tanzen und trinken. In der Sinologie hingegen handelt es sich um das Herzstück des Studiums. Die Erfahrung lässt sich nicht in Worte fassen oder digitalisieren.
Was bedeutet das für deine Zukunft und die des Faches?
Die Einreisebeschränkungen werden die schlechte Verfassung der deutschen Sinologie noch verstärken. Der Glaube an die systemische und kulturelle Überlegenheit wird sich ohne Austausch an beiden Rändern Eurasiens breitmachen. Auch geschulten und äußerst emphatischen Menschen wird dieser Fehler unterlaufen, solange keine emotionale Bindung mit den Menschen und den allgemeinen Vibes vor Ort aufgebaut werden kann.
Die Reisebeschränkungen in Pandemiezeiten treffen die individuellen Studien- und Karrierepläne der angehenden Sinolog:innen hart und unsere Universitäten können nach Ansicht der Studierenden den Wegfall der Auslandserfahrung nicht kompensieren. Aber die Konsequenzen des durchtrennten personellen Austauschs gehen weit über die persönliche Ebene hinaus. Sie sind mehr als eine Komplikation von Studienplänen und persönlichem Verlustempfinden. Sie nagen zugleich an der Wurzel zahlreicher Ebenen des Austauschs mit der Volksrepublik. Konferenzen und Konsultationen, Kooperationen und Kommunikation auf allen Ebenen von Schüler:innen, Studierenden, Journalist:innen zu Wissenschaftler:innen und Wirtschaftsvertreter:innen haben arg gelitten. In Zeiten sich verschärfender systemischer Konflikte und vor dem Hintergrund des Balance-Akts zwischen Kooperation und Konfrontation von Deutschland und China, droht China zur Blackbox zu werden. Die seit jeher stiefmütterliche Behandlung des Studienfachs muss endlich einem zeitgemäßen Umgang weichen. Mehr als je zuvor brauchen wir, verbesserte Studienangebote, Arbeitsstellen, Stipendien, Förderungen und interdisziplinäre Projekte, die die Chinakompetenz in Deutschland stärken und jungen Absolvent:innen eine Perspektive bieten.