Die Luft in Beijing ist was besonderes. So besonders, dass Beijinger persönliche Schutzmaßnahmen ergreifen müssen und sogar wirtschaftlichen Auswirkungen festgestellt werden können. Christian hat tief Luft geholt und das Thema näher untersucht.
Immer schneller, immer mehr
Der wirtschaftliche Aufstieg Chinas ist bereits seit geraumer Zeit kein Geheimnis mehr. Inzwischen ist die Nachricht von der Supernation, deren Wirtschaftswachstum unaufhaltsam ist, auch bis in die hintersten Regionen vorgedrungen. Kaum ein Land erfreut sich mehr medialer Präsenz in den Wirtschaftsressorts der großen Zeitungen als das Reich der Mitte. Diese Aufmerksamkeit ist nicht unbegründet: China ist seit der Öffnungs- und Reformphase der 80er Jahre etwas gelungen, was zuvor noch keinem anderen Land gelang. Mit Wachstumsraten von über 9% von 1979 bis 2009 konnte sich eines der ärmsten Agrarländer zur zweitgrößten Volkswirtschaft katapultieren. Dabei konnte der unter der Armutslinie lebende Bevölkerungsanteil von 84% (1981) auf 13,1% (2008) gesenkt werden. Zweifelsohne atemberaubende Zahlen, von denen andere Nationen nur träumen mögen!
Vorsicht Nebenwirkungen
Doch ein derart rasantes Wirtschaftswachstum kommt nicht ohne Nebenwirkungen. In China treten diese mittlerweile in einem Ausmaß zu Tage, das die Regierung nicht ignorieren kann. An erster Stelle sind in diesem Zusammenhang natürlich die Luftverhältnisse zu nennen, die sich besonders in den letzten Jahren immens verschlechtert haben, und an manchen Tagen derart prekäre Zustände annehmen, dass von einem Austritt aus der Wohnung und besonders von jeglichen sportlichen Aktivitäten an freier Luft abgeraten wird. Ich habe zum Beispiel vier Tage nach meiner Ankunft in Beijing eine SMS von meinem Provider im Auftrag des Ministeriums für starke Luftverschmutzung bekommen, in der Folgendes stand: „Zur Zeit herrscht die zweite (orange) Warnstufe für Luftverschmutzung. Wir bitten Sie auf Ihre Gesundheit zu achten! Kinder, sowie ältere und empfindlichere Menschen sollten jegliche Aktivitäten im Freien vermeiden. Bei Ihnen selbst beginnend bitten wir Sie um aktive Unterstützung der Kampagne zur Senkung der CO2-Emissionen. Vielen Dank für ihr Verständnis und Ihre Unterstützung“.
Wenn solche Nachrichten versandt werden, ist die Lage ernst. Und in der Tat, die Zahlen sind beängstigend, besonders jene für Feinstaub mit einer Partikelgröße von höchstens 2,5 Mikrometer im Durchmesser. Derart kleine Teilchen sind lungengängig, das heißt, sie können in den Blutkreislauf gelangen. Im Februar kletterte dieser Feinstaubwert auf über 500 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, was dem 20-fachen des von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Grenzwertes (25 µg/m³) entspricht. Aufgrund dieser alarmierenden Werte kommt eine Studie der Shanghaier Akademie für Sozialwissenschaften zu einem drastischen und aufsehenerregenden Ergebnis: Die Hauptstadt sei „für Menschen nahezu unbewohnbar“.
Luft – (k)ein freies Gut
Was den einen Lungenschmerzen bereitet, ist ausschlaggebend für den wirtschaftlichen Erfolg anderer, denn die mangelhaften Luftverhältnisse ließen einen neuen Markt entstehen: Den Markt mit der sauberen Luft. Somit ist auch die Frage geklärt, ob Luft ein freies Gut ist. Definiert werden freie Güter z.B. im Gabler Wirtschaftslexikon als „Güter, die überall und mit der gewünschten Qualität in hinreichendem Umfang vorhanden sind, um die Bedürfnisse aller Individuen einer Volkswirtschaft zu einem gegebenen Zeitpunkt zu befriedigen. In einer Marktwirtschaft hat ein freies Gut einen Preis von Null.“ Nun, an manchen Orten Chinas hat saubere Luft jedoch bereits seit Beginn letzten Jahres einen Preis: ca. vier Yuan pro Dose (50 Cent), wenn man sich auf die Produkte des Geschäftsmanns Chen Guangbiao bezieht. Der hatte die Idee, Luft aus sauberen Regionen – abgefüllt in Dosen, wie wir sie als Coca Cola Dosen kennen – zu verkaufen. In Medienberichten heißt es, dass er im Januar 2013 innerhalb von 10 Tagen mehr als 8 Millionen dieser Luftdosen verkaufen konnte. Chen ist übrigens jener chinesische Multimillionär (600 Mio.€) und Philanthrop, der durch seine Neigung zu spektakulären Werbegags und vor allem durch seine Ankündigung, die New York Times kaufen zu wollen, internationale Berühmtheit erlangte.
Die Luftmaschine zu Hause
Ob das Geschäft mit der Dosenluft nun wirklich erfolgsversprechend ist, sei daher mal dahin gestellt. Viel lukrativer ist hingegen das Geschäft mit Luftreinigern für Innenräume, die sich in den Städten einer rasant zunehmenden Nachfrage erfreuen, besonders nach den Rekordwerten zu Beginn vergangenen Jahres. Geräte mit den besten Preis-Leistungs-Verhältnissen sind seitdem stets ausverkauft, sodass immer mehr Marken mit neuen Modellen den Markt überfluten, der trotzdem nicht gesättigt werden kann. Denn zumindest auf kurze Sicht ist mit keiner erheblichen Verbesserung der Luftverhältnisse zu rechnen. Bedenkt man nun, dass mittlerweile über die Hälfte aller Chinesen in urbanen Gebieten leben, wird klar, dass sich hier ein wirklich riesiger Markt aufgetan hat.
Auch in meiner Wohnung steht seit mehreren Monaten eine dieser Feinstaubfiltermaschinen. Die ermöglicht es mir, auch an Tagen mit hoher Luftverschmutzung mein Fenster morgens bzw. abends kurz zu öffnen, damit sie anschließend mit einer Geschwindigkeit von 420 Kubikmetern pro Stunde für etwa 30 Minuten die Luft säubern kann und ich wieder genügend saubere Luft zum atmen habe.