Ich habe 2017 in Nordrhein-Westfalen Abitur gemacht und mein mündliches Prüfungsfach war Chinesisch, das ich von der 10. bis zur 12. Klasse als vierte Fremdsprache lernte. Wenn ich davon erzähle, sind die Menschen meistens sehr erstaunt. „Chinesisch, kannst du das auch sprechen und schreiben? Sag mal was. Ist das nicht total schwer mit den 6000 Schriftzeichen?“ Manche hören auch einfach, dass ich „Chemie“ als Abiturfach hatte und erzählen anschließend davon, dass sie Chemie abgewählt hatten.
Nordrhein-Westfalen ist der Vorreiter unter den Ländern, die Chinesisch als Schulfach anbieten. Laut einer Erhebung der Statistischen Landesämter und dem Fachverband Chinesisch e.V. lernen dort rund 1800 Schüler lernen dort an 24 Schulen Chinesisch, in ganz Deutschland sind es knapp 6000. Manche Schulen fangen schon in der 6. Klasse als zweite (oder dritte) Fremdsprache an, andere haben Chinesisch in der Oberstufe als zusätzliches Sprachangebot, wo sich die meisten für Spanisch oder Italienisch entscheiden. Die Zahlen bleiben seit 2010 stabil, doch davor nahm die Anzahl der Schulen mit einem Chinesischangebot deutlich zu. Die Stagnation liegt nicht zuletzt an Problemen auf administrativer Ebene, da die Strukturen noch nicht jahrelang erprobt sind: so müssen Curricula neugeschrieben werden und die Schulen müssen sich für ein Lehrbuch entscheiden, und es fehlen Lehrkräfte, um Chinesisch mit ähnlicher Bandbreite wie andere Sprachen zu unterrichten.
Da ich im ersten Jahrgang an meiner Schule war, in dem es Chinesisch als Wahlfach gab, war unser Unterricht anfangs eher unstrukturiert. Wir hatten zunächst kein festes Lehrbuch, erst in der 11. Klasse kam dann das „Tongdao“ aus dem CC Buchner Verlag. Gelehrt wurden Kurzzeichen und die Unterrichtsthemen waren stark auf “Mainland China” und weniger auf “Greater China” (Taiwan, Hongkong, Macau) gerichtet. Das ist vermutlich eine direkte Folge des großen Aufwandes, den der chinesische Staat betreibt, um den Ausbau von Chinesischunterricht im Ausland zu fördern. So haben wir auch immer wieder mit Arbeitsblättern des Konfuzius-Instituts gearbeitet. Unserer Unterricht in anderen Sprachen war hingegen nicht so stark auf nur ein Land konzentriert; in sechs Jahren Spanisch kreisten unsere Themen sowohl um Spanien als auch Lateinamerika. Gerade im deutschen Schulsystem sollte es jedoch wichtig sein, einen kritischen Blick auf China zu vermitteln und im Chinesischunterricht aktuelle Themen aus dem chinesischen Tagesgeschehen, einschließlich Hongkong und Taiwan, zu behandeln. Dazu sei allerdings gesagt, dass viel von den Lehrern abhängt: Unsere deutsche Lehrerin hatte in Taiwan studiert und uns dementsprechend viel davon erzählt. Nicht zuletzt wegen dieser Einblicke aus dem Unterricht habe ich mich für ein Auslandssemester in Taipei entschieden.
Der Chinesischunterricht machte mir sehr großen Spaß und dementsprechend war meine Motivation hoch und meine Noten gut. Der Unterricht war immer sehr entspannt und mit vielen kulturellen Exkursionen gefüllt: wir gingen gemeinsam ins Museum, schauten chinesische Filme, aßen Hotpot, lernten ein paar erste Techniken in der chinesischen Kalligraphie und nahmen am Chinesisch-Kreativ-Wettbewerb teil. Der Wettbewerb ist ein Angebot des Landes NRW, bei dem alle Schulen eingeladen werden, sich mit einem kreativen Beitrag mit anderen Schulen zu messen. In unserem Beitrag haben wir ein 5-minütiges Theaterstück aufgeführt, das eine Hommage an die chinesischen Soap Operas war (der Plot könnte allerdings auch von einem westlichen Drama stammen: ein Mädchen verliebt sich in einen Jungen, der viel reicher, schöner und vor allem vergeben ist).
Die Entscheidung für Chinesisch als Prüfungsfach im Abitur werde ich nicht bereuen, zumal ich mit meinem Abitur auch das HSK-3-Zertifikat (汉语水平考试) bekam, das dem Niveau B1 nahekommt. China und Taiwan waren in der Schulzeit für mich ein Mysterium, das Fremde wie mich jedoch einlud, es zu erkunden. Die Hymne der Olympischen Spiele „Beijing welcomes you (北京欢迎你)“ hatte Wirkung gezeigt: ich war restlos begeistert.
Nach der Schule wollte ich dann unbedingt mein Wissen zu dieser Sprache vertiefen und schrieb mich für Sinologie an der Ruhr-Uni ein. Dort werden allerdings Langzeichen gelehrt, weshalb ich den Einstufungstest für den Mittelstufenkurs nicht schaffte und Langzeichen von Beginn auf lernen musste. Der Grund für die Langzeichen ist einerseits, dass im 3. und 4. Semester auch noch klassisches Chinesisch unterrichtet wird, für das man Langzeichen braucht. Zum anderen ist die Entscheidung für Langzeichen auch eine offene Distanzierung der sinologischen Fakultät der RUB von der VR China: sie lehnte es ab, ein Konfuzius-Institut an die Uni anzugliedern und beherbergt eine „Taiwan Research Unit“.
Didaktisch gibt es große Unterschiede zwischen Uni und Schule. Während der Schwerpunkt an der Uni eher auf der Textkompetenz liegt, helfen mir umgangssprachliche Formulierungen aus dem Schulunterricht auch jetzt noch. In der Schule habe ich ein großes Vokabular angehäuft, von dem ich zwar nicht alles schreiben konnte, aber lesen und verstehen. Auch im 4. Semester begegnen mir immer noch manchmal „neue“ Vokabeln, die ich bereits aus dem Abitur kenne. Einerseits war mein Vorsprung im ersten Studienjahr praktisch, weil ich mich so auf andere Dinge konzentrieren konnte, andererseits war ich teilweise unterfordert, da ich die Lehrinhalte in großen Teilen schon kannte.
Als Fazit sei gesagt, dass mir der Chinesischunterricht in der Schule immer riesige Freude bereitet hat und ich für kein Fach so gerne Vokabeln gelernt habe wie Chinesisch. Ich fand es immer besonders spaßig, da Vokabeln schreiben auch immer etwas Malerisches hat. Darüber hinaus gefiel mir auch die Besonderheit, sagen zu können, dass man Chinesisch lernt. Im Sinologiestudium habe ich weitere Dinge an der chinesischen Sprache entdeckt, die mir Spaß machen, wie klassische chinesische Rätsel zu entschlüsseln und zeitgenössische taiwanische Literatur zu erkunden.
Allen von euch, die Chinesisch studieren möchten und es schon in der Schule hatten, würde ich empfehlen, die Voraussetzungen für die Sprachkurse genau zu prüfen. Oft kann es sinnvoll sein, vor Beginn des Studiums einen Intensivkurs entweder in China bzw. Taiwan oder in Deutschland bei einem Privatlehrer, der Erfahrung mit dem Studiengang der jeweiligen Universität hat, zu besuchen, um nicht zwischen Über- und Unterforderung bei den Chinesischkursen zu schweben. Auch das Konfuzius-Institut verfügt über einige Angebote. Wenn man einen direkten Zugang zu den fortgeschrittenen Sprachkursen finden kann, ist das wohl ideal.
Universitäten mit dem Studiengang Master of Education in Chinesisch (Juli 2019)
– Eberhard Karls Universität Tübingen
– Ruhr-Universität Bochum
– Georg-August-Universität Göttingen
Image credits: “Chinese class” by <cleverCl@i®ê> via flickr, shared under a CC license; “Calligraphy practice” by hjl via flickr, shared under a CC license; “language swap FROM schnerby” by Nata Luna Sans via flickr, shared under a CC license.