In China leben zwanzig Millionen gehörlose Menschen. Wie funktioniert ihre Gebärdensprache? Kommunizieren sie mit Gehörlosen aus anderen Ländern? Und warum gibt es eigentlich in jedem Land eine andere Gebärdensprache?
Ein Festlandchinese und eine Taiwanerin begegnen einander, doch können sie, so sehr sie es auch versuchen, einander nichts mitteilen. Liegt es an ihren Dialekten? Nein: Sie sind gehörlos und verwenden verschiedene Gebärdensprachen.
Weltweit gibt es hunderte Gebärdensprachen, die zu Sprachfamilien gruppiert werden, Dialekte aufweisen und im Rahmen einer jeweils eigenen Sprachwissenschaft erforscht und gelehrt werden. So sind auch die (Festland-)Chinesische Gebärdensprache (Zhongguo Shouyu 中国手语, CSL) und die Deutsche Gebärdensprache (DGS) voneinander zu trennen, wie das Beispiel der jeweiligen Gebärde für „Freund“ zeigt:
Doch woher stammen diese Gegensätze? Und worin unterscheiden sich DGS und CSL?
Chinesische Schriftzeichen aus Fingern
Ein wichtiger Grund für die großen Unterschiede zwischen einzelnen Gebärdensprachen ist ihre Verwandtschaft mit der Laut- und Schriftsprache des Landes, in dem sie benutzt werden. Während Gebärden der DGS in aller Regel die Wirklichkeit des beschriebenen Gegenstandes nachbilden, bietet die Tatsache, dass die chinesische Schrift Piktogramme kennt, ganz andere Möglichkeiten der Gebärdenbildung: Zwar basieren die meisten Gebärden auf ebendieser Umschreibung konkreter oder abstrakter Konzepte durch Gesten, doch kennt die CSL auch Gebärden, die den entsprechenden Schriftzeichen nachempfunden sind. Beispielsweise stellt die Gebärde für Mensch (chin. rén 人) auch das Schriftzeichen dar, wohingegen die DGS auf eine (etwas längliche) Person verweist.
Der Zusammenhang zur Laut- und Schriftsprache zeigt sich auch darin, dass in der DGS das Mundbild das zur Gebärde gehörende Wort wiedergibt, was sich jedoch aufgrund der Tonalität der chinesischen Lautsprache in der CSL nicht durchsetzen konnte. So bleibt der Mund in der CSL entweder geschlossen oder die Aussprache wird nur leicht angedeutet. Die Gebärden in CSL und DGS für „arbeiten“ sind tatsächlich eine der wenigen deckungsgleichen, doch gehört in der DGS das Mundbild dazu:
Wie sieht eigentlich Brot aus?
Weiterhin übt das kulturelle Umfeld, in dem eine Gebärdensprache entsteht, einen Einfluss auf Gebärden aus. Dies beginnt damit, dass manche Gegenstände unterschiedliche Erscheinungsformen annehmen können; so ist Tee in Deutschland meist in einem Teebeutel, in China hingegen als ganze Blätter anzutreffen, was sich in den entsprechenden Gebärden niederschlägt:
Aus dem gleichen Grund unterscheiden sich die Gebärden für „Brot“: Es ist in China weich und etwas luftig, in Deutschland hingegen hart und wird scheibenweise abgeschnitten:
Gleiches gilt aber auch für abstraktere Konzepte wie Namen. Chinesische Namen bestehen traditionell aus einem einsilbigen Familiennamen und einem zweisilbigen von den Eltern gegebenen Namen. Dies wird auch in der Gebärde für „Name“ deutlich: Der mittlere Finger steht für den Familiennamen, der Ring- und kleine Finger für den gegebenen Namen. Möchte man also nur nach dem Familiennamen fragen, deutet man nur auf den Mittelfinger. In der DGS zeigt man hingegen auf das eigene Gesicht, wie immer mit dem entsprechenden Mundbild.
Im weiteren Sinne fallen auch Farben in diese Kategorie: Während sowohl DGS als auch CSL für „rot“ auf die (roten) Lippen des Sprechers verweisen, …
…funktioniert dies schon nicht mehr für „schwarz“: Während die CSL-Gebärde auf das schwarze Haar des Gebärdenden zeigt, besteht für die DGS-Gebärde diese Möglichkeit nicht. Stattdessen wird in der DGS dem Gebärdenden buchstäblich schwarz vor Augen.
Sprachliche Vielfalt
Und wie kommt es nun, dass Festlandchinesen und Taiwanesen, obwohl sie doch eine ähnliche Kultur, Sprache und Schrift verbindet, so unterschiedliche Gebärdensprachen verwenden? Der Grund liegt hier in der Geschichte, denn die Gebärdensprache Taiwans wurde während der Zeit der japanischen Besatzung stark von der Japanischen Gebärdensprache beeinflusst. Die Chinesische Gebärdensprache wiederum ist auf die Arbeit amerikanischer Missionare im 19. Jahrhundert zurückzuführen und wurde nach Gründung der Volksrepublik in ihrer heutigen Form standardisiert.
Auch wenn es seit den 1970er Jahren eine Internationale Gebärdensprache gibt (oder zumindest den Versuch davon), wird es wohl auch in Zukunft bei dieser Vielfalt an Gebärdensprachen bleiben. Einerseits wäre es ein immenser Verlust, wenn so viele eigenständige Sprachen verloren gingen. Doch hängt es auch damit zusammen, dass Gebärdensprachen mit der sie umgebenden Lautsprache und Kultur eng verbunden sind.
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