Expertengespräch: Chinesischlehrer in Deutschland

Dr. Andreas Guder ist Leiter des Studienbereichs Chinesische Sprache am Ostasiatischen Seminar der Freien Universität Berlin, Vorsitzender des Fachverbands Chinesisch e.V. und Autor des Chinesisch-Deutschen Lernwörterbuchs. Seit über 20 Jahren beschäftigt er sich mit Themen rund um die Vermittlung der chinesischen Sprache. Für sinonerds hat er sich die Zeit genommen, unseren Lesern einen Einblick in die aktuelle Situation der Chinesischlehrer in Deutschland zu geben.

sinonerds: Herr Dr. Guder, warum sind Sie Chinesischdozent geworden?

Andreas Guder: Ich glaube, man merkt schon in jungen Jahren, ob man eine Neigung dazu hat, anderen Menschen etwas beizubringen. Das Lehren liegt einem oder es liegt einem nicht – und wenn es einem liegt, dann wird man sich auch dahin orientieren.

Ich habe ursprünglich Deutsch als Fremdsprache (DaF) im Hauptfach studiert und gleichzeitig bei den Sinologen Chinesisch gelernt. Im Rahmen des Chinesischunterrichts habe ich dann festgestellt, dass sehr viele Errungenschaften der westlichen Fremdsprachendidaktik überhaupt keinen Eingang in den Chinesischunterricht gefunden hatten. Dies hat zum einen mit ganz komplexen interkulturellen Problemen zu tun, zum anderen damit, dass die chinesische Fremdsprachendidaktik von einer sehr binnenchinesischen Sichtweise auf das Sprachenlernen geprägt ist. Ich wollte, dass wir in der Fremdsprachendidaktik Chinesisch mehr von dem profitieren, was wir uns in der westlichen Fremdsprachendidaktik schon erarbeitet hatten. Dieser Wunsch stellte die Hauptmotivation dafür dar, dass ich mich in meiner Dissertation und seither primär mit der Vermittlung der chinesischen Sprache beschäftigt habe.

Wie wird man in Deutschland Chinesischlehrer?

Im Moment würde ich sagen, dass alle Chinesischlehrer gewissermaßen Quereinsteiger sind. Für einen deutschen Muttersprachler empfiehlt sich selbstverständlich ein Studium der Chinawissenschaften. Chinesische Muttersprachler bringen aus ihrem Heimatland meist pädagogische oder germanistische Studienabschlüsse mit. In Zukunft wäre die Etablierung eines stärker formalisierten Weges wünschenswert, der den Lehrern das nötige kulturwissenschaftliche, sprachwissenschaftliche und pädagogische Rüstzeug an die Hand gibt.

Seit einigen Jahren gibt es in Göttingen den ersten deutschen Lehramtsstudiengang Chinesisch. Dort kann man einen Master of Education (M.Ed.) in Chinesisch in Kombination mit einem für das Lehramt in Deutschland erforderlichen Zweitfach studieren. Ähnliche Strukturen werden gerade in Bochum und Tübingen erarbeitet. Ich hoffe, dass es in den nächsten Jahren irgendwann auch in Berlin soweit ist – denn hier haben wir die größte Dichte von Chinesisch an Schulen im Bundesgebiet.

An welchen Institutionen sind eigentlich die meisten Chinesischlehrer beruflich tätig?

Allmählich ist davon auszugehen, dass es an den Schulen inzwischen mehr Chinesischlehrer gibt, als an den Universitäten, denn wir haben deutschlandweit nur 20 – 24 Hochschulinstitute, an denen Chinesisch professionell unterrichtet wird, wofür meistens maximal zwei Vollzeit-Lehrkräfte zur Verfügung stehen. Daneben gibt es natürlich noch eine ganze Menge Chinesischlehrer an Volkshochschulen oder Sprachenzentren, die aber oft nur Lehraufträge haben und letzten Endes keine Stelle, von der sie leben können. Diese Menschen machen das meistens nur nebenher und leben mit Hilfe eines gut verdienenden Partners oder von selbstständiger Übersetzer- oder Consulting-Tätigkeit. Bei den Schulen dagegen ist die Chance, bei entsprechender Qualifikation eine Festanstellung als Chinesischlehrer zu bekommen, deutlich gestiegen.

Wie viele Schulen in Deutschland bieten Chinesisch an?

Wir unterscheiden da sehr genau zwischen Schulen, die Chinesisch-Arbeitsgemeinschaften (AGs) anbieten und Schulen, in denen man Chinesisch als reguläres Wahlpflichtfach, als 2. oder 3. Fremdsprache, belegen kann. Unseren Schätzungen zufolge beläuft sich die Anzahl der Schulen mit Chinesisch-AGs auf mehr als 200, während die Zahl der Schulen mit dem Schulfach Chinesisch bundesweit bei etwa 50 liegt, die sich über alle Bundesländer verteilen.

Chinas Aufstieg zur Supermacht steigert das Interesse der Deutschen  an der chinesischen Sprache. Wird es bald viel mehr Chinesischsprechende in Deutschland geben?

Das Interesse an der chinesischen Sprache ist enorm, aber es gibt auch ein berechtigtes Bewusstsein dafür, dass sich Chinesisch nicht so schnell mal in Abendkursen lernen lässt, wie vielleicht Italienisch oder Spanisch. Dieser Unterschied führt dazu, dass es zwar eine große Zahl von Chinesisch-Anfängern gibt, aber eine vergleichsweise geringe Zahl an Chinesisch-Fortgeschrittenen, die ein Niveau erreichen, mit dem sie die Sprache tatsächlich beruflich einsetzen können. Denn dafür sind, nach unserer Einschätzung, mindestens fünf Schuljahre reguläres Schulfach am Gymnasium oder zwei Jahre intensive Sprachausbildung im akademischen Kontext notwendig. In diesem institutionellen Rahmen ist eine fundierte Sprachkenntnis möglich – wer Chinesisch nur nebenher betreibt, wird dieses Niveau in der Regel nicht erreichen.

Welche Vernetzungsmöglichkeiten haben Chinesischlehrer in Deutschland?

Chinesischlehrer in Deutschland vernetzen sich am sinnvollsten über den Fachverband Chinesisch – das ist der Verband aller Chinesischlehrer im deutschsprachigen Raum. Diesen Verband gibt es bereits seit 30 Jahren, und er ist seit 2009 Mitgliedsverband im Gesamtverband Moderne Fremdsprachen (GMF), der alle Fremdsprachenlehrer in Deutschland miteinander verbindet. Wir haben im Fachverband Chinesisch mittlerweile über 400 Mitglieder, die in irgendeiner Form im Deutsch-Chinesischen Sprachbereich tätig sind, meistens als Lehrer an Schulen oder Hochschulen, aber auch als Übersetzer, Dolmetscher, interkulturelle Trainer und dergleichen. Der Fachverband hat eine Fachzeitschrift, unterstützt Fortbildungsveranstaltungen und organisiert zudem jährliche Tagungen, die entweder im Rahmen der GMF ausgerichtet werden oder selbstständige Tagungen sind. Sie finden meistens an Hochschulen im Bundesgebiet statt.

An wen richtet sich die Zeitschrift CHUN, deren Mitherausgeber Sie sind?

Die Zeitschrift „CHUN – Chinesischunterricht“ ist die Fachzeitschrift des Fachverbands Chinesisch. Sie erscheint einmal im Jahr und ist europaweit die einzige Fachzeitschrift dieser Thematik. Sie richtet sich an professionelle Chinesischlehrer und -wissenschaftler, die sich mit der chinesischen Sprache, ihrer Übersetzung und Vermittlung beschäftigen, aber selbstverständlich auch an interessierte Studierende.

Wir danken Ihnen sehr herzlich für dieses Gespräch!

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sinonerds-Autor*in

Jana Brokate

Schulbesuch in Beijing, Studentenleben in Guangzhou, Sinologiestudium in Berlin, unterschiedlichste Chinareisen und Projekte mit Chinabezug – Janas Erfahrungen bezüglich dem Land der Mitte sind vielfältig. Ihren Horizont erweitert sie am liebsten mit Sprachenlernen, Reisen und Fragen stellen.

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