In unserem Artikel Mā, má, mǎ, mà: Wie lernt man Töne? haben wir die Tipps des sinonerds-Teams für eine fehlerfreie Aussprache gesammelt. Aber es gibt auch andere Methoden und Wege, Chinesisch zu lernen und besonders die Ton-Hürde zu überwinden. Vielleicht liegt der beste Weg für dich irgendwo dazwischen?
Seit ungefähr einem Jahr lerne ich mal mehr, mal weniger intensiv Chinesisch. Für mich ist vor allem eines ungewohnt: von allen Seiten werden alte Vorurteile gefüttert und weitergegeben. Das ist sehr schade. Ich glaube, dass gerade wegen dieser Vorurteile viele davor zurückschrecken, diese vielseitige und tolle Sprache zu lernen.
Besonders die Töne führen immer wieder zu Anekdoten, die ich als ermüdend und schlicht falsch empfinde. Das liegt vor allem daran, dass ich mit einer Methode Chinesisch lerne, die viele Ton-Pannen von vornherein ausschließt. Aber zunächst eines der bekanntesten und umstrittensten Beispiele:
Wěn (dritter Ton) heißt küssen, während wèn (vierter Ton) fragen heißt. Wenn man einfach die Wörter einzeln ausspricht, unterscheiden diese sich natürlich nur durch die Betonung.
Viele würden jetzt vielleicht vermuten, dass es zu sehr peinlichen Zwischenfällen kommen kann, wenn man jemanden etwas fragen möchte und auf einmal vom küssen spricht.
Das ist aber nicht der Fall.
Es stimmt, dass Chinesisch eine tonale Sprache ist. Aber das heißt nicht, dass es besonders leicht zu Verwechslungen kommt. Denn vor allem ist Chinesisch eine auf Kontext basierende Sprache.
Wenn ich jemandem einen Kuss geben möchte, dann heißt das:
„wo keyi wen ni ma?“
Wenn ich eine Frage stellen möchte:
„wo keyi wen ni yige wenti ma?“
Verwechslung ausgeschlossen. Denn tatsächlich ist es im Chinesischen so: Je mehr Wörter untergebracht werden, desto weniger bleibt dein Gesprächspartner im Unklaren darüber, was du tatsächlich meinst. Es kann zwar passieren, dass du den Satz wiederholen musst, aber das ist in den meisten Fällen einer zu leisen oder unsicheren Aussprache geschuldet. Lass dich also nicht verunsichern.
Kinderleicht
Wie sollst du denn nun Sätze lernen? Als Anfänger kennst du doch die Strukturen einer Sprache gar nicht, geschweige denn genügend Vokabeln um ganze Sätze zu bilden. Mein Vorschlag ist eine Methode, die wie geschaffen ist für die chinesische Sprache: die Birkenbihl-Methode.
Vera F. Birkenbihl hat sich damit beschäftigt, wie wir Menschen als Kinder Sprachen lernen: Durch zuhören und nachahmen. Das macht sich diese Methode zunutze. Man lernt durch zuhören und nachsprechen die Aussprache, während man durch das sogenannte Dekodieren den Inhalt versteht.
In ihrem Buch “Die Birkenbihl-Methode” beschreibt sie, wie das Sprachzentrum des Gehirns funktioniert und wie sich unsere natürliche Begabung zum Sprechen nutzen lässt. Ihr Programm gibt es für viele verschiedene Sprachen, aber besonders Chinesisch eignet sich für diese Methode, da die Grammatik nicht so kompliziert ist wie zum Beispiel im Deutschen. Durch das Benutzen der Grundform muss sich das Gehirn weniger merken und man kann sich auf den ungewohnten Klang und die fremden Elemente konzentrieren.
Im Verlauf des Lernens hörst und sprichst du die Sätze mehrmals und übst dich in der Dekodierung und den chinesischen Wörtern. Ein weiterer Vorteil ist, dass du durch das Dekodieren genau weißt, was das Wort bedeutet. So kann man die Wörter auch zu neuen Sätzen zusammenfügen. Auch die Satzstrukturen prägen sich flüssiger ein.
Dekodieren: der Weg aus dem Wortsalat
Das Dekodieren beschreibt das Auseinandernehmen der Sprache in eine Eins-zu-eins-Übersetzung und bestimmte Bestandteile, die sich nicht unbedingt in jede Sprache übersetzen lassen. Im Chinesischen wären das unter anderem: Ma, ne und le. Das Dekodieren zeigt auf, wo welche Partikel stehen. So prägt sich die Satzstellung besser ein.
“o, wǒ míngbái le”
ah, ich verstehen le
ah, ich verstehe
Durch dieses Aufschlüsseln lernst du nicht nur die Vokabeln, sondern kannst auch neue Sätze bilden und mit ein wenig Mut auch kleine Experimente wagen. Du wirst sehen, man entwickelt schnell ein Gefühl für die zuerst so fremde Sprache.
Bei einem relativ intensiven Lernaufwand kann man es innerhalb von drei Monaten auf 360 Sätze bringen. Das ist eine beachtliche Anzahl und du kommst damit schon ziemlich weit. Dieses Ergebnis würde jeden Tag mindestens eine Stunde lernen erfordern.
Der einzige Nachteil ist, dass du keine Schriftzeichen lernst, da diese Methode versucht das Lernverhalten eines Kindes zu imitieren. Kleinkindern, die nicht sprechen können, legt man ja auch kein Buch vor und sagt: „Viel Spaß damit!“ Die Birkenbihl-Methode geht davon aus, dass man ohne den Zugang zur Sprache mit den Schriftzeichen auch nichts anfangen kann. Das kommt vor allem daher, dass es zwar wiederkehrende Elemente in den Zeichen gibt, diese aber für einen Anfänger nicht erkennbar sind.
Zusätzlich erschwert der fehlende Zusammenhang zwischen geschriebenem und gesprochenem Chinesisch ein schnelles Vorankommen. Denn es handelt sich um zwei Systeme, die man sich gleichzeitig einzuprägen versucht. Wenn du aber anfängst Sätze zu sprechen, wirst du merken, dass du fast nebenbei auch Zeichen lernst. Gewiss nicht so viele wie bei anderen Methoden, aber es werden langsam und kontinuierlich mehr.
Natürlich kommst du, um die korrekte Aussprache zu erlernen, nicht ums Üben herum. Aber wichtig ist, keine Angst vor Fehlern und vermeintlichen Ton-Pannen zu haben. Nur durch Fehler lernst du wie es richtig gemacht wird. Und Fehler haben auch einen ganz praktischen, sozialen Nutzen. Solltest du mit einem Muttersprachler üben, kannst du ganz einfach feststellen wie eng eure Beziehung ist. Je mehr dein Sprachpartner dich mit der korrekten Aussprache quält und je öfter er dich wiederholen lässt, bis du zu seiner Zufriedenheit sämtliche Tonhöhen und Nuancen herunterbeten kannst, desto lieber mag er dich und dieses Wissen ist doch ein schöner Ansporn.
Auf der Suche nach mehr Tipps zum Chinesischlernen? Dann verpass’ nicht unsere Reihe Der Mandarin-Code und unsere geballten weiterführenden Links im Infopool.
Image credits: Titel by diametrik; “Water Calligraphy in Beihai Park, Beijing (Shūfǎ 書法)” by Mal B; “practicing calligraphy, Anyang, China” by vtpoly shared under Creative Commons (BY / BY-ND / BY-NC-ND) licenses.