Hotel, Campen, Airbnb – durch unsere Art zu reisen sehen wir ein neues Land in völlig verschiedenen Facetten. Und wie könnte man einen direkteren Draht zu den Locals bekommen als beim Couchsurfing? Der ehemalige Spiegel-Online-Redakteur Stephan Orth hat es in China ausprobiert und Arnaud von seinen Erfahrungen erzählt.
Trotz seiner großen Liebe zu chinesischen Bildverschönerungs-Apps sieht der schlaksige Mann mit den kurzen braunen Haaren und den ersten grauen Schimmern im Drei-Tage-Bart ganz genau so aus wie auf seinem Autoren-Foto. Für zwei Tage ist Stephan Orth in seiner Hamburger Wohnung, bevor ihn seine Lesungen wieder quer durch die Republik führen. Bis in den April 2020 sei sein Terminkalender voll, erzählt er mir.
Drei Jahre ist es nun her, dass Stephan seinen sicheren Job als Redakteur bei Spiegel Online kündigte, um sich nach dem Erfolg von „Couchsurfing im Iran“ als Reisereporter selbstständig zu machen. Seine Vorliebe für unbequeme Unterkünfte und ungefilterte Erfahrungen in Ländern, deren Regierungen den Touristen gerne ausschließlich ihre Sonnenseite zeigen, hat ihn seitdem nicht verlassen. Seit Anfang März ist „Couchsurfing in China – Durch die Wohnzimmer der neuen Supermacht“ im Handel.
Der Titel erklärt sich von selbst: Mehrere Monate ist Stephan für sein neues Buch kreuz und quer durch China gereist und hat dabei auf konventionelle Touristenunterkünfte verzichtet. Herausgekommen ist eine Reihe farbenfroher Berichte, die die Vielseitigkeit und Ambivalenzen des heutigen China illustrieren. Wenigen Journalisten gelingt es, neben Handelskrieg, neuer Seidenstraße, Social-Credit-System, internierten Uiguren und der Taiwan-Frage Zeit für das Leben der chinesischen Bevölkerung zu finden. Doch Stephan hatte sich vorgenommen, die kulturelle Kluft auf die simpelste Weise zu überbrücken, indem er sich kurzerhand selbst zu chinesischen Familien nach Hause einlud.
Erfahrenen sinonerds präsentiert „Couchsurfing in China“ zwar kein radikal neues Chinabild. Allerdings überrascht es mit einer Fülle vielseitiger persönlicher Porträts, kleinen Anekdoten und einigen Situationen, die zum Schmunzeln einladen. Wer gerade dabei ist, sich auf seine nächste (oder erste) China-Reise vorzubereiten oder sich fragt, was man als Gast in chinesischen Haushalten erlebt, hat mit Stephan einen unterhaltsamen Erzähler zur Hand.
Auf meine Frage, ob er gerne wieder in China reisen und darüber berichten möchte, kommt Stephans Antwort ohne Zögern: definitiv! Doch bei der Frage nach dem Visum wird er nachdenklich. Die Entstehung dieses Buches fand – wie auch das Couchsurfing an sich – in einer rechtlichen Grauzone statt. Er hat viel von dem China gesehen, das wir besser verstehen sollten, von dem Beijing aber nicht will, dass wir es sehen. Nicht zuletzt aus diesem Grund empfehlen wir allen, die sich über die spannende Lektüre hinaus für die Art zu reisen interessieren, sich die Tipps und Infos in dem Buch zu Herzen zu nehmen.
“Couchsurfing in China – Durch die Wohnzimmer der neuen Supermacht” erschienen im Malik-Verlag, ist 256 Seiten dick und kostet 16,00 €.