Teehauskultur in Chengdu
Chengdu, Ende September 2014. Wie schon Sinonerd Jojo einige Jahre zuvor, werde ich hier ein Praktikum am deutschen Generalkonsulat machen. Ich bin gerade eine Woche in der Stadt, als ich die lokale Teehauskultur kennenlerne.
Im Vorfeld meiner Reise wurde mir erzählt, dass es in Chengdu etwas anders zuginge, als in den internationalen Megastädten im Osten des Landes. Die Stadt ist nämlich nicht nur für Pandabären und betäubend scharfes Essen bekannt. Sie hat auch einen Ruf dafür, dass es sich dort etwas ruhiger leben lässt als in den hektischen Megametropolen Shanghai, Beijing und Guangzhou.
Ein entscheidendes Element in diesem entspannten Lebensstil ist Chengdus ausgeprägte Teehauskultur. Diese beschränkt sich wohlgemerkt nicht auf das Teetrinken an sich, sondern beinhaltet auch das Glücksspiel. Neben Kartenspielen und chinesischem Schach wird in Sichuan vor allem Majiang gezockt. Eine lokale Redensart beschreibt die Beliebtheit des Spiels: “你在飞机上听到下面有打麻将的声音就知道你到四川了。” (Wenn du im Flugzeug von unten Geräusche des Majiangspielens hörst, dann weißt du: du bist in Sichuan angekommen.)
Gleich an meinem ersten Sonntag in Chengdu mache ich zwei sehr verschiedene Teehaus-Erfahrungen:
Nachmittags: Grüner Tee im Volkspark
An einem außergewöhnlich sonnigen Nachmittag bin ich im Volkspark zum Teetrinken verabredet. Wie in chinesischen Parks üblich, ist das Teehaus eigentlich ein Teegarten: auf einer Art Terasse sitzen die Leute in kleinen Grüppchen an Tischen und trinken Tee. Dabei unterhalten sie sich lautstark, knabbern Erdnüsse oder spielen chinesisches Schach. Manche Gäste hängen in Liegestühlen und dösen vor sich hin. Zwischen dem lebhaften Geplauder und der Musik, die von einer kleinen Bühne herüberweht, ist immer wieder auch ein metallisches Schnarren zu vernehmen. Es kommt von den Instrumenten der Ohrenputzer (ja, die putzen Ohren!), die zwischen den Tischen umherschlendern und ihre Dienste anbieten.
Wir setzen uns an einen der Tische und wählen von einer gängigen Auswahl an Tees: Pu’er-Tee, Grüntee, Jasmintee, Oolong- oder Chrysanthementee. Nach kurzer Wartezeit wird unser Tee serviert, die losen Blätter in kleinen Porzellanschalen mit Deckel und dazu eine riesige Thermosflasche mit heißem Wasser für alle. Gesellig zusammensitzen und plaudern, gerne im Freien – das ist doch so, wie man sich ein Teehaus vorstellt. Aber noch am selben Abend mache ich eine Teehaus-Erfahrung der anderen Art: Ich bin zum Majiang-Spielen eingeladen!
„Zum Teehaus bitte in den 2. Stock“
Teehäuser gibt es in Chengdu überall, nicht nur in Parks oder in der Nähe von Sehenswürdigkeiten. Sie finden sich auch in normalen Einkaufsstraßen und in Wohnsiedlungen. Man muss nur den Kopf wenden, schon fällt der Blick auf die Schriftzeichen 茶 oder 茶楼, die als einfaches Schild, weiß leuchtende Neon-Schrift oder als kleine rote LED-Laufschrift im Fenster eines Wohnhauses um Kundschaft werben.
Dementsprechend verschieden sind auch die Teehäuser selbst. Es kann sich genauso gut um ein richtiges Haus handeln, wie um ein Zimmer in einer Eigentumswohnung, in dem ein elektrischer Majiang-Tisch steht. Tagsüber sieht man öfters ältere Leute an einem Klapptisch auf dem Bürgersteig spielen, und abends dringt manchmal das Klappern der Spielsteine aus den Teehäusern oder Wohnungen nach außen. Nicht selten wird beim Majiang übrigens um hohe Summen gespielt, es sollen sogar schon Leute ihre Wohnungen verspielt haben.
Abends: Chrysanthementee zum Majiang
Ich weiß nicht genau, wo das abendliche Majiang-Spiel stattfinden soll. Auf Wechat hieß es nur: „Unten bei mir im Haus. Die Umgebung ist gut und teuer ist es auch nicht.“ Bei einer so vagen Information bin ich auf meine Freunde angewiesen. Nach einer kurzen Fahrt mit dem 三轮车 treffen Li Qian und ich unsere Mitspieler, Kaiming und Xiao Yu. Gemeinsam laufen wir um die Ecke und als Xiao Yu beherzt „Ayi, wir wollen Majiang spielen!“ in ein offenes Fenster ruft, werden wir eingelassen.
Wir durchqueren ein Wohnzimmer, vorbei an dessen anonymen Bewohner vor dem Fernseher, und gelangen schließlich in einen Raum, in dem ein paar Stühle um einen elektrischen Majiang-Tisch stehen. Die Ayi fragt uns noch, welchen Tee wir trinken wollen (Chrysantheme), dann wird mein Hörverstehen auf eine harte Probe gestellt: Ein Schwall von Regelerklärungen ergießt sich über mich! Fachchinesisch im wahrsten Sinne des Wortes, obendrein noch mit Sichuan-Dialekt untermalt. Ich kapiere dementsprechend wenig, aber wie das bei Spielen so ist, lernt man auch Majiang – genau, beim Spielen. Nach einer Proberunde schieben wir die Spielsteine in das Loch in der Mitte des Tisches, der sie nach kurzem Rumoren frisch gemischt und ordentlich aufgereiht wieder ausspuckt. Mein erstes richtiges Majiangspiel kann beginnen.
Ohne Majiang kein Teehaus
Am Ende dieses schönen Tages war ich um viele neue Erfahrungen reicher und hatte sogar ein paar Kuai gewonnen.
Obwohl ich während meines Aufenthaltes in Chengdu auch in einigen Teehäusern zu Gast war, ohne Majiang zu spielen, sind Teehäuser und Majiang für mich seit diesem ersten Sonntagabend in Chengdu untrennbar verbunden. Um es mit den Worten von Li Qian zu sagen “茶馆是打麻将的。不然就是咖啡厅了。” – „Im Teehaus wird Majiang gespielt. Sonst ist es ein Café!“
Mehr zum Thema Tee gibt es auf der Seite des Spotlights Tee.
Bilder: (c) Mario Hauter