Der Kurzfilm als Spiegel chinesischer Perspektiven

Chinesische Filme im Mittelpunkt von Berliner Kurzfilmfestival

Beim diesjährigen interfilm Kurzfilmfestival (14.11. – 20.11.2016 in Berlin) stehen die beiden Länder China und Italien im Fokus. sinonerds-Autorin Lulu traf sich mit den Organisatoren Heinz Herrmanns, Alexander Stein und Cord Dueppe, um über den chinesischen Teil des Festivals zu sprechen und hinter die Kulisse von Filmauswahl, Festivalorganisation und Filmzensur zu blicken.

sinonerds: Warum liegt der Fokus dieses Jahr ausgerechnet auf den beiden Ländern China und Italien?

Heinz Hermanns: Es sollten ein Land in Europa und ein Überseeland ausgewählt werden. Ich habe viel in China gearbeitet und früher in Italien studiert. Diese beiden Länder sind so verschieden, aber haben doch viel gemeinsam. Sowohl in China als auch in Italien gibt es das beste Essen. Außerdem gibt es in beiden Ländern einen sehr starken Familienzusammenhalt, wie man ihn so in Deutschland nicht kennt. Beide Länder haben eine unkonventionelle Art der Organisation. Ein Italiener kommt selten allein, ebenso der Chinese. Und beide Länder haben keine Filmförderung. Ich möchte Filmschaffenden die vielfältigen Förderungsmöglichkeiten zeigen und eine Plattform schaffen, auf der sie ihre Filme vorstellen können. Internationale Filmschaffende und -interessierte sollen zusammenkommen und sich austauschen können.

Ich hatte die Ehre einige Filme im Voraus zu sehen. Bei den Animationsfilmen habe ich mich zunächst köstlich amüsiert, aber gegen Ende saß ich zusammengesackt im Sessel und dachte mir: Wow, heftig. Müssen die gezeigten Filme politisch und gesellschaftskritisch sein?

Cord Dueppe: Uns ist es wichtig, dem Publikum generell einen Einblick in den chinesische Kurz- und Animationsfilm zu geben, und dadurch auch die Geschichte und die Entwicklung von China zu zeigen – von 1964 bis heute. Es ist uns wichtig, den chinesischen Film in seiner Diversität darzustellen. Wir wollen kein bestimmtes Bild von China abgeben. Mehr als 6000 Filme wurden eingereicht. Diese zahlreichen Beiträge zeigen uns was die Leute derzeit beschäftigt, und daraus gestalten wir dann unser Programm. Am Ende haben wir 35 Filme in unser chinesisches Programm aufgenommen und aus dieser Auswahl sind fünf Kategorien entstanden. Der Inhalt ist also vorgegeben vom Film selbst.

Alexander Stein: Wir sehen das nicht als unsere Aufgabe, einen Filter auf die Filme zu legen. Man kann zwar mit der Auswahl ein Land auf die eine oder andere Art darstellen, das versuchen wir aber zu vermeiden. Interessant sind die Werke junger Filmemacher, die gerade aus der Hochschule raus sind. Es entsteht dann etwas eigenständiges; sehr individuelle Sichten, die politisch und ökonomisch nicht kontrolliert sind. Wer künstlerisch arbeitet, wird auch irgendwann politisch. Wie er das aber ausdrückt, ob gesellschaftspolitisch oder durch Ästhetik, ist eben die Frage. Es geht um das Thema Freiheit – und ohne Freiheit kann Kunst eben nicht existieren.

Trailer von „The Untold & Unseen“ (2013) aus der Kategorie Animate Matter

Apropos Filter. Was für Erfahrungen habt ihr bei den Festivals in China bezüglich der Zensur gemacht?

Cord Dueppe: Innerhalb der Unis muss man die Filme nicht bei der Behörde einreichen. Bevor man etwas im Kino zeigt, muss das Werk natürlich gesichtet und begutachtet werden. Diesen Prozess sind wir auch durchlaufen als wir das Festival in China organisiert haben. Alle 230 Filme mussten von der Behörde durchgespielt werden. Wir dachten, dass dieser Prozess problematisch wäre, erstaunlicherweise lief es aber sehr gut. Bis auf sehr wenige Filme sind alle problemlos durchgekommen und wir konnten unser Programm so durchführen, wie wir es geplant hatten.

Alexander Stein: Es gibt keine zentrale Zensurstelle, wo die Entscheidungen getroffen werden. Die einzelnen Stellen sind lokal in den Provinzen angesiedelt. Dadurch kann durchaus das Phänomen entstehen, dass gewisse Filme in bestimmten Provinzen laufen dürfen und in anderen nicht.

Cord Dueppe: Natürlich gibt es Sensibilitäten, zum Beispiel das Thema Tibet oder wenn es in offensichtlicher Weise gegen den Sozialismus oder gegen den Kommunismus geht. Aber was gesellschaftliche Inhalte angeht, kann ich überhaupt nicht beurteilen, worauf die Behörde besonders achtet. Das ist eine westliche Fehleinschätzung, wie so eine Zensur abläuft. Man hat die Vorurteile, dass Themen wie Homosexualität und Transgender zensiert werden. Überhaupt kein Problem! Wir sind damit durchgekommen und haben entsprechende Filme in China durch die Bank hinweg gezeigt.

Alexander Stein: Wir sind auch als Kuratoren auf Festivals in anderen Ländern tätig. Da entscheiden die Kollegen vor Ort was sie zeigen und was nicht. Einige Filme wurden abgelehnt, bei denen wir es nicht ganz nachvollziehen konnten. Im Nachhinein wurde mir klar, dass keine staatliche, sondern eigentlich eine inoffizielle Zensur abläuft. Die Schere ist nämlich schon im Kopf der Veranstalter. Es stellt sich die Frage, wie groß das Publikum ist, wen ich überhaupt anspreche. Gewisse Inhalte kann das Publikum einfach aus kulturellen Unterschieden nicht verstehen. Zitiere ich beispielsweise Shakespeare, was bei uns geläufig ist, kann eine andere Kultur wiederum nicht unbedingt etwas damit anfangen. Das Publikum versteht dann nicht, was der Subtext ist. Eine Zensur läuft demnach auch im kulturellen und gesellschaftlichen Kontext ab.

Auf Festivals stehen die Filmemacher üblicherweise für die Fragen der Zuschauer zur Verfügung. Könnten die Zuschauer so nicht etwas Neues über die andere Kultur lernen?

Alexander Stein: Das haben wir in China ganz anders erlebt. Es ist nicht gewollt, dass Filmemacher für Rede und Antwort vor Ort sind. Sie werden bewusst nicht darüber informiert, wann ihre Filme laufen, damit sie gar nicht erst zur Veranstaltung erscheinen. Q&As, so wie sie bei uns auf Festivals ablaufen, gibt es in China nicht. Dabei ist es durchaus eine berechtigte Befürchtung der Veranstalter, dass sie für etwas zur Rechenschaft gezogen werden, das außerhalb ihrer Kontrolle liegt.

Könnt ihr zum Abschluss eure Favoriten im diesjährigen Festival nennen?

Cord Dueppe: Ich möchte ungern einzelne Filme nennen, weil es unfair gegenüber den anderen Filmen ist, die auf ihre Art und Weise alle sehr gut sind.

Alexander Stein: Einen speziellen Film kann ich auch nicht nennen. Aber persönlich finde ich im chinesischen Programm die Kategorie „Skyscrapers and Market Stalls“ sehr interessant. Darin sind die urbanen Unterschiede und der enorme Wachstum verschiedener Städte zu sehen. Parallelwelten werden sichtbar, die sogar schon auf ein und derselben Straße aufeinander treffen.

Titelbild: Filmstill „Cloud & Mud“ von Regisseur Dong Acheng. © interfilm

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Über den Autor

Lulu Li

Lulu lebt seit ihrem ersten Lebensjahr in Berlin und studiert dort Bauingenieurwesen an der Technischen Universität. Sie interessiert sich für Kunst und Kultur, besonders im Bereich Fotographie/Film und Theater. Da sie zweisprachig aufgewachsen ist, außerdem in beiden Kulturkreisen lebt, legt sie viel Wert auf interkulturellen Austausch und Freundschaft.

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