Dieser Artikel ist ein Beitrag aus unserem sinonerds Spotlight: Chinesischer Film. Auf unserer Übersichtsseite gibt es nochmal alle Artikel und Interviews zum Nachlesen, Nachschlagen oder Rumstöbern.
Einer der bemerkenswertesten Regisseure in China ist Wong Kar-Wai. Als Fan möchte ich in diesem Artikel einen persönlichen Eindruck von seinen Filmen geben und das natürlich nicht, ohne zu sagen, was sie so besonders macht.
Die Musik zog mich sofort in ihren Bann. Als ich zum ersten Mal In the Mood for Love sah, in einer Zeit, als kaum einer meiner Gedanken in Richtung China ging, weckte der Film eine fast unbeschreibliche Faszination in mir. Die Dialoge waren auf Kantonesisch und die meisten Szenen schwammen in einem düsteren Licht. Überhaupt schien der ganze Film bei Nacht zu spielen. Doch die Stimmung, die er erzeugte, ließ mich nicht los.
Inzwischen habe ich beinahe alle Filme von Wong Kar-Wai gesehen und In the Mood for Love ein paar Mal mehr. Ich weiß nun, dass kaum einer so geheimnisvolle Filme macht, wie der Regisseur aus Hongkong, der nie seine Sonnenbrille abnimmt. Wong Kar-Wai lässt seine Charaktere kein Wort zu viel sprechen und, was noch entscheidender für die Spannung seiner Filme ist, er verrät dem Zuschauer nie direkt, worum es geht.
Bilder sprechen mehr als Worte
Als Betrachter ist man also oft allein gelassen mit Tony Leung und dem Moment, wie er mit seinem unverwechselbaren Blick schweigend in Gedanken versinkt. Dieses Gesicht ist prägend für das Werk von Wong Kar-Wai. Der melancholisch wirkende Tony Leung mit dem allwissenden Blick tritt in sieben von Wongs zehn Filmen in Aktion; die anderen drei ohne ihn wirken seltsam hohl.
Auch in In the Mood for Love hat Leung die Hauptrolle. Er spielt an der Seite von Maggie Cheung, die ihn an Coolness fast noch überbietet. Ihr ist das schauderhaft-traurige „Yumeji’s Theme“ gewidmet (siehe auch Trailer unten), das ursprünglich für den japanischen Film Yumeji (1991) gemacht war, aber in perfektem Einklang mit Maggie Cheungs Rolle steht. In jeder Szene trägt sie einen neuen Qipao (im ganzen Film sind es über 20), dessen abwechselnde Muster ihre Stimmung zu reflektieren scheinen, und lässt ihren Gang mit dem Cello verschmelzen.
Überhaupt ist Wong Kar-Wai ein Freund von Beständigkeit: In fast allen seiner Produktionen arbeitete er mit dem Kameramann Christopher Doyle, der für seine Kinematographie in ihren gemeinsamen Werken mehrfach ausgezeichnet wurde. Es war der gebürtige Australier Doyle, der die nächtlichen Szenen in Hongkong zum Leben erweckte; den Gang zur Nudelbude in Zeitlupe und die verrauchte Runde Mah-Jongg aus In the Mood for Love, oder die magischen Zusammentreffen von Cop 633 und Faye in ihrem überaus profanen Imbiss aus Chongking Express.
Ohne Gefühle keine Story
Für mich handeln Wong Kar-Wais Filme von mehr als nur einer Story, die jeweils mit dem Abspann beendet ist. Klar, sie erzählen Liebesgeschichten und Dramen mit den üblichen Zutaten Betrug und Enttäuschung. Aber anders, als man es gewohnt ist, steht der Plot nicht im Mittelpunkt. In Wongs Filmen wird die Geschichte oft nur fragmentarisch erzählt und verliert sich schließlich in einem mysteriösen Ende.
Eine Ausnahme mag Wongs neuester Film The Grandmaster sein: Während Wong Kar-Wais Handschrift zwar deutlich wiederzuerkennen ist, wird in diesem Film doch vor allem die Geschichte von Ip Man erzählt, dem legendären Begründer des modernen Kung-Fu und Meister von Bruce Lee. Für diese Rolle reichte Tony Leungs Blick allein nicht aus – er musste jahrelang trainieren und brach sich dabei beide Arme. Doch die Mühe hat sich gelohnt. The Grandmaster liefert neben starken Bildern eine überzeugende Geschichte und ist Hongkongs diesjähriger Beitrag zur Wahl des Oscars für den besten fremdsprachigen Film.
Dieses Heldenepos ausgenommen stehen in Wongs Filmen jedoch die Gefühle der Charaktere an erster Stelle. Vielmehr als ein Teil einer Geschichte scheinen die einzelnen Szenen eher ein Abbild dieser Gefühle zu sein. Die Schauspieler erzeugen diese Gefühle mit einer unheimlichen Glaubwürdigkeit, die allerdings nicht immer eindeutig ist. So ist es dem Zuschauer überlassen, diese Stimmung aufzunehmen und weiter fort zu spinnen.
Auf der Suche nach der Sehnsucht
Was kann man aus dieser Stimmung über China erfahren? Zwar spielen Wong Kar-Wais Filme hauptsächlich in der Metropole Hongkong, doch zeigt er keine menschenüberfluteten Straßen oder Häuserschluchten aus Stahl und Beton. Stattdessen zoomt er auf einzelne Charaktere, die ebenso extravagant wie gewöhnlich sind. Typisch für China sind sie dagegen wohl eher nicht. Nur scheint sie alle eine unbestimmbare Sehnsucht zu umgeben, die sich am Übergang zu einer Traumwelt befindet. Den Ursprung dieser Sehnsucht versucht Wong vielleicht selbst mit seinen Filmen zu finden. Ob man diese sehr besondere Atmosphäre mag, muss man am Ende selbst entscheiden. Mir jedenfalls jagt das Cello aus „Yumeji’s Theme“ auch heute noch kalte Schauer über den Rücken.
Chinesische Entsprechungen und Pinyin der im Text verwendeten Eigennahmen und Wörter:
Wong Kar-Wai: 王家卫 (王家衛) Wáng Jiā Wèi
Tony Leung: 梁朝伟 (梁朝偉) Liáng Cháo Wěi
Maggie Cheung: 张曼玉 (張曼玉) Zhāng Màn Yù
Qipao: 旗袍 qí páo (Klassisches chinesisches Kleid mit Stehkragen und schräger Knopfleiste)
Ip Man: 叶问 (葉問) Yè Wèn
Bruce Lee: 李小龙 (李小龍) Lǐ Xiǎo Lóng
Filme:
In the Mood for Love (2000): 花样年华 (花樣年華) Huā Yàng Nián Huá
Chungking Express (1994): 重庆森林 (重慶森林) Chóng Qìng Sēn Lín
The Grandmaster (2013): 一代宗师 (一代宗師) Yī Dài Zōng Shī