Viele kennen das Problem: nach einem langen Aufenthalt in China oder Taiwan werden zu Hause die Möglichkeiten rar, sich auf Chinesisch zu unterhalten. Die Studenten Chaoting und Alex wollen mit einem deutsch-chinesischen Stammtisch in Berlin Abhilfe schaffen.
Es war im Frühling letztes Jahr, ich war vor knapp drei Monaten von Chengdu zurück in meine Heimatstadt Berlin gereist. Neben dem allgemeinen Berliner Winterfrust packte mich das Fernweh nach China. Alle meine chinesischen Freunde von damals, die ich an der Uni kennengelernt hatte, waren bereits wieder nach China zurückgegangen. Wo sollte ich also „neue“ Chinesen kennenlernen? Mein Studium an war ja bereits abgeschlossen.
Manch einer mag sich jetzt wohl an die Stirn tippen und denken: Geh doch einfach vor die Tür und dir wird alle paar hundert Meter schon der eine oder andere Chinese über den Weg laufen. Es leben schließlich so viele hier, und Berlin ist letztendlich nicht umsonst Weltmetropole. Das war auch mein erster Gedanke, doch den verwarf ich ganz schnell wieder, denn so einfach ist es nun doch wieder nicht. Normalerweise lerne ich ja so auch nicht Freunde kennen. Und woher soll man wissen, ob sich mein Gegenüber darauf einlassen will? Traue ich mir überhaupt zu, Chinesen auf den ersten Blick zu erkennen? Die Fragen häuften sich und somit wuchs auch die Unsicherheit, doch ich gab nicht auf.
Also zog ich das gute, alte Internet zu Rate und stolperte prompt über eine Facebook-Seite des “Deutsch-Chinesischen Stammtisches Berlin” mit immerhin knapp 50 Mitgliedern. Und siehe da: auf meine Anfrage bekam ich wenige Minuten später eine Nachricht von Chaoting, einem der Gründer und Organisatoren des Stammtisches, der mir auch sofort einen Link zur Webseite des Deutsch-Chinesischen Forums schickte und mich über kommende Treffen informierte. Ich war überglücklich, dass ich so schnell eine Antwort bekam und auch ein bisschen aufgeregt, die Gruppenmitglieder kennen zu lernen.
Mein erstes Stammtisch-Treffen war an einem Sonntagnachmittag in Berlin Mitte. Dort stand nur ein einziger längerer Tisch mit ein paar Gästen, die chinesischer Herkunft sein konnten. Schüchtern fragte ich, ob das hier der Deutsch-Chinesische Stammtisch sei. Meine Frage wurde mit einem herzlichen „JA“ beantwortet und ich gesellte mich dazu. Immer mehr Leute fanden sich ein und Chaoting und Alex stellten sich als die Gründer und Organisatoren vor. Ich lernte, dass der Stammtisch jeden Sonntag um 15 Uhr stattfindet (mit Ausnahme eines Barabends pro Monat) und es immer ein vorher festgelegtes Diskussionsthema gibt.
Die Themen können es in sich haben. An jenem Tag hieß es: „Der Einfluss der chinesischen Kaufkraft auf den deutschen Absatzmarkt“. Einige waren darauf vorbereitet oder – wie ich erleichtert merkte – genau wie ich komplett ahnungslos. Das wird jedem selbst überlassen. Zuerst wird für gewöhnlich in kleinen Gruppen bis zu einer Stunde auf Deutsch über das jeweilige Thema diskutiert und anschließend je nach Belieben in beiden Sprachen frei geplaudert. Manchmal wird auch inmitten einer Diskussion von einer Sprache auf die andere gewechselt, je nachdem, wie es das jeweilige Sprachniveau der Teilnehmer zulässt. Man kann auch als Chinesisch-Anfänger mitmachen, nur das Deutsch-Niveau sollte bestenfalls so hoch sein, dass man an den Diskussionen teilnehmen kann, aber feste Regeln gibt es nicht.
Chaoting und Alex schmieden große Pläne für das Stammtisch-Projekt. Seit ihrer Gründung im November 2017 ist die Wechat-Gruppe bereits auf über 300 Mitglieder gestiegen, die Facebook-Gruppe zählt fast genauso viele. „Ich habe damals meine Idee in einem Diskussionsforum veröffentlicht. Alex hat sich daraufhin gemeldet, und so kam es zur Gründung des Stammtischs. Beim ersten Treffen waren zehn Personen anwesend, davon mehr Chinesen als Deutsche. Heute ist es mal so mal so“, erklärt Chaoting.
Den beiden Gründern ging es in erster Linie um Sprachübungen und die Förderung des Kulturaustauschs zwischen Deutschen und Chinesen. Aber sie wollten auch einen eigenen Beitrag zur Integration der in Deutschland lebenden Chinesen leisten. Es gebe zwar schon viele chinesische Vereine in Berlin, betont Chaoting, doch diese haben weniger direkten Kontakt zu Deutschen und bilden eher eine Art Parallelgesellschaft.
Die Vorteile für die Teilnehmer beim Stammtisch sieht er hingegen vor allem darin, dass sich Menschen mit ähnlichen Interessen zu einem regelmäßigen Austausch treffen können. Er selbst habe zudem über den Stammtisch bereits Arbeit vermittelt und persönlich viele interessante Bekanntschaften gemacht. Im Frühjahr, mit wärmerem Wetter, kamen dann auch immer mehr Aktivitäten dazu, wie Wanderausflüge, Diskussionen im Park, Barbesuche, Barbecues oder der Karneval der Kulturen in Berlin. Mittlerweile gibt es zwei weitere Organisatoren und sogar einen offiziellen Verein unter dem Namen Deutsch-Chinesisches Forum e.V. Dieser soll Fördergelder einbringen, um den Stammtisch noch besser zu bewerben und ein noch spannenderes Programm, wie Vorträge, regelmäßige Gruppenausflüge und einen Podcast zu ermöglichen. Und natürlich um neue Mitglieder zu werben. Auch eine eigene offizielle Webseite soll es geben, selbstverständlich auf Chinesisch und Deutsch. Den Ideen sind keine Grenzen gesetzt.
Bei all den großen Plänen für die Zukunft des Stammtischs lässt sich jedoch heraushören, dass die Mitglieder bereits sehr zufrieden sind. „Unser Stammtisch nimmt die Diskussion ernster als andere Stammtische“, sagt Boya, die bereits Dezember 2017 regelmäßig den Stammtisch besucht, und betont: „Gut, dass Chaoting immer jeden Einzelnen ermutigt, etwas auf Deutsch zu sagen.“ Auch sie hat noch weitere Ideen zur Abhaltung des Stammtischs, wie beispielsweise einen Kochabend, und zum Glück ist jeder Vorschlag willkommen. Dies macht es jedem leicht, seine persönlichen Interessen mit einzubringen und sich als Teil der Gruppe zu fühlen.
Wenn du auch Lust bekommen hast, schau doch einfach nächsten Sonntag vorbei:
Website Deutsch-Chinesisches Forum
Wenn du ein Wechat-Konto hast, kannst du auch gerne Chaoting unter „ChaotingCheng“ hinzufügen, um der Stammtisch-Gruppe beizutreten