Das Leben deutscher AbiturientInnen kreist um eine Frage, die ihren Lebensweg für die nächsten Jahre festlegt: “Was will ich studieren?” Für chinesische AbsolventInnen drängt mit gleicher Wucht die Frage: “Wo will ich studieren?” Eine Einführung zu den besten Unis in China.
In China kennt jede Schülerin die Hochschulen, die sie mit den aktuellen Noten erreichen kann, und die besten Universitäten Chinas sind Haushaltsnamen. AbsolventIn einer der neun Universitäten der C9 League zu sein, dem Äquivalent der nordamerikanischen Ivy League, ist gleichzeitig eine berufliche Qualifikation und eine Auszeichnung der eigenen Person. Nicht nur potentielle Arbeitgeber fragen danach, auch Datingshows im Fernsehen listen ganz selbstverständlich Top-Unis in der stichpunktartigen Vorstellung neuer KandidatInnen auf. Ein Absolvent der Beijing Normal University? Applaus aus dem Publikum. Bei der Bewerbung für ein Studium in Deutschland ist die Jury aber schon schwieriger zu beeindrucken, egal ob easy, normal oder difficult university.
Die Qual vor der Wahl
In China ist Studiengang nicht gleich Studiengang, denn Hochschule ist nicht gleich Hochschule. Genau genommen gibt es 2595 “Standard Higher Institutions (普通道等学校)”, die ich “Hochschulen” nenne, zwischen denen die AbsolventInnen der berüchtigten Gaokao-Prüfung in Festland-China wählen können. Anders als in Deutschland können sich chinesische SchülerInnen nach dem Schulabschluss nur an bis zu drei Universitäten bewerben. Das ist vielleicht nötig, um alle Plätze effizient zu verteilen, aber es macht die Uni-Suche zum strategischen Problem. Wenn ich einen Schnitt von 600 von 700 möglichen Punkten erreicht habe und der Numerus Clausus für die Nanjing University im letzten Jahr bei 599 Punkten lag, soll ich es probieren? Oder versuchen es dieses Jahr dann Hunderte mehr und ich pokere lieber richtig, etwa auf einen Platz für den im letzten Jahr 601 Punkte nötig waren? Welche Notlösung gebe ich auf dem dritten Platz an, die sicher sein muss aber trotzdem so gut wie möglich? Wer es in diesem Jahr nicht schafft, dem bleibt die Alternative nach einem weiteren Jahr pauken die Gaokao zu wiederholen.
Natürlich hängt die Wahl der Hochschule auch vom Fach ab. Hochschulen haben Stärken und Schwächen, allerdings sind viele chinesische Universitäten Generalistinnen, die exzellente Lehre und Forschung in allen Fachbereichen bieten und sich so als Qualitätsmarke etablieren. Trotzdem ziehen verschiedene Studiengänge mehr oder weniger Konkurrenz an: Informatik ist beliebter als Mathe, Englisch beliebter als Deutsch, Wirtschaft beliebter als Psychologie. Wer an der Traum-Uni für sein Wahlfach abgelehnt wird, bekommt oft das Angebot in ein weniger populäres Fach zu wechseln, wie von Anglistik zu Germanistik. Und viele tun genau das, denn das Prestige der Uni ist wichtig, um einen Masterstudienplatz oder Job zu finden. Arbeitslosigkeit unter Absolventinnen wurde in den letzten Jahren immer wieder diskutiert und das Traum-Studium ist nur perfekt, wenn es langfristig auch Arbeit verspricht.
Die Wahl der Hochschule, die eine Studentin besucht, hat auch Einfluss auf den Wechsel an eine Hochschule in Deutschland. Studierende der besten Universitäten haben es einfacher: nicht nur weil ihre Universität in der deutschen Zulassungsstelle bekannt ist oder es sogar eine Kooperation gibt, sondern auch weil sie formal eine frühere Zulassungsberechtigung erhalten. Denn die Gaokao an sich reicht in Deutschland nicht für eine Zulassung zum Studium aus. Bevor chinesische Schüler sich an einer deutschen Uni bewerben können, müssen sie in China bereits studiert haben; entweder ein Semester an einer der Top-Unis oder drei Semester an einer der anderen Universitäten, oder sie besuchen zur Vorbereitung – für meistens ein Jahr – das Studienkolleg in Deutschland.
Wie weit eine chinesische Uni in Deutschland Türen öffnet, hängt wohl zum Teil auf simpelste Weise vom Namen ab. Die Peking oder Shanghai University haben da einen klaren Vorteil, denn sie gehören zur Liste der Handvoll Städte, die Maxi Mustermensch so kennt. Ich vermute, dass Studierende der Fudan University leichter Pech haben, auch wenn ihre Alma Mater im Times Ranking auf Platz 3 in China und international einige Plätze vor der LMU liegt. Deutsche Prüfungsämter, diese Liste ist auch für euch!
Internationaler Name | C9 League (aus Projekt 985) | Double First Class Fachbereiche | THE* Rang (China 2017) | THE Rang (Welt 2017) |
Peking University | ja | 41 | 1 | 27 |
Tsinghua University | ja | 34 | 2 | 30 |
Zhejiang University | ja | 18 | 6 | 177 |
Fudan University | ja | 17 | 3 | 116 |
Shanghai Jiao Tong University | ja | 17 | 7 | 188 |
Nanjing University | ja | 15 | 5 | 169 |
Renmin University of China | nein | 14 | 13 | 501-600 |
Southeast University | nein | 11 | 13 | 501-600 |
Sun Yat-sen University | nein | 11 | 8 | 351-400 |
University of Science & Technology of China | ja | 11 | – | – |
Beijing Normal University | nein | 11 | – | – |
Wuhan University | nein | 10 | 9 | 401-500 |
China Agricultural University | nein | 9 | 23 | 601-800 |
Huazhong University of Science & Technology | nein | 8 | – | – |
Tongji University | nein | 7 | 9 | 401-500 |
Harbin Institute of Technology | ja | 7 | 13 | 501-600 |
Beihang University | ja | 7 | 23 | 601-700 |
Xi’an Jiaotong University | ja | 7 | – | – |
*Times Higher Education
Das Ansehen der einzelnen Universitäten zeigt sich in erster Linie in mehreren Systemen der staatlichen Förderung, vergleichbar zu der Exzellenzinitiative in Deutschland, und ist für Ausländer nicht offensichtlich. Knapp gesagt liefen seit Ende der 90er Jahre das “Projekt 211” mit 117 Hochschulen und “Projekt 985” mit davon 39 Hochschulen lange Zeit parallel, wobei sich die neun Gründungsmitglieder des Projekts 985 zusätzlich in der elitären C9 League zusammenschlossen. Beide Projekte wurden 2017 durch den Double First Class University Plan (auf Chinesische elegant 双一流) abgelöst, der insgesamt 137 Hochschulen benennt und in Rang A, Rang B und solche ausschließlich mit geförderten Fachrichtungen unterscheidet (die oben aufgelisteten Hochschulen haben alle den Rang A).
Mit dem Rang und der Anzahl der pro Universität geförderten Fachrichtungen bietet der Double First Class Plan eine neue Möglichkeit, um den Status der chinesischen Universitäten aus Sicht der Regierung zu evaluieren. Wie bei allen Rankings muss klar sein, dass auch hier nur ein Teilaspekt des komplexen Systems Hochschule abgebildet wird, der die Vielfalt der Studierenden und die Qualität der Mensa ignoriert. Zumindest bietet der Plan jedoch eine klare Indikation für die zu erwartende staatliche Förderung. Einen Vergleich bietet das Ranking des Times Higher Education Magazins. Interessant ist dabei, dass es einige hoch platzierte Hochschulen, z.B. die Huazhong University of Science and Technology (THE Platz 9) nicht in den Double First Class Plan geschafft haben.
Know me by my name
Wie in Deutschland sind Universitäten generell nach ihrer Stadt, ihrer Ausrichtung oder berühmten Persönlichkeiten benannt. Die Peking, Nanjing und Zhejiang Universitäten sind tragen jeweils ihren Ort im Namen, die letztere den ihrer Provinz. Bei mehr als 70 Universitäten allein in Beijing folgt die Lösung bei späteren Universitäten der Tradition bayerischer Dörfer und fügt noch die Berufsrichtung hinzu. International übliche Bezeichnungen werden dabei mitübersetzt, z.B. “Science & Technology” oder “Agricultural”. Allerdings gibt es zwei Ausnahmen: “Jiaotong” (交通 = Verkehr) ergibt sich aus Geschichte der Universitäten unter dem Ministerium für Verkehr und Kommunikation. “Normal University” oder vor hundert Jahren sogar deutsch “Normalschule” (师范) bezeichnet eine Einrichtung zur Lehrerausbildung. Heutzutage schränken sich die meisten Universitäten nicht auf ihr namensgebendes Gebiet ein, aber sind weiterhin zumeist in diesem Gebiet besonders gut.
Die ältesten Universitäten tragen auch die ungewöhnlichsten Namen. Der Name der Fudan Universität wurde 1905, ganz poetisch, einer Zeile aus einem der fünf konfuzianischen Klassiker entnommen, Tsinghua ist nach dem königlichen Garten benannt, an dessen Ort sie 1911 gegründet wurde. Die einzige Persönlichkeit, die chinesischen Universitäten ihren Namen leiht, ist Sun Yat-Sen (孙中山) – gemeinhin bekannt aus Geschichtsbüchern, Funk und Fernsehen als Arzt, Revolutionär, Gründer der Kuomintang-Partei, erster Präsident der Republik China und Verfasser der drei Prinzipien des Volkes. Es mag an dieser Vorlage liegen, dass sich die Namensgebung nach Personen nicht durchgesetzt hat. Auf dem Weg zur Unsterblichkeit ist aber auch nicht alles verloren. Es gibt über hundert Yifu-Universitätsbibliotheken, die von Filmproduzent Yifu Shao (邵逸夫) gesponsert und nach ihm benannt sind.
Einen besonderen Bezug zu Deutschland hat die Tongji Universität in Shanghai, die 1907 in Kooperation mit deutschen Ärzten in Shanghai als Ärzteschule des deutschen Krankenhauses entstand. Ihr Name ergibt sich aus einem Ausspruch, der fast im Wortlaut bedeutet “wir sitzen alle im selben Boot” und damit beweist, dass zeitlose Namen kein Vorrecht toter Vorfahren sind.
Es lässt sich darüber streiten, ob sich die Qualität von Forschung und Lehre auf eine Liste reduzieren lässt und reduziert werden muss. Fest steht aber, dass Studierende und Absolventinnen der Universitäten auf dieser Liste und vielen anderen chinesischen Universitäten hart gearbeitet haben, um nach der schwersten Prüfung ihres Lebens mit den fittesten Absolventinnen und Professorinnen Chinas weiterzulernen. Damit haben es auch verdient, dass die Namen ihrer Universitäten über die Landesgrenzen hinaus Anerkennung genießen.
Titelbild: Beijing University West Gate: 維基小霸王, Bild von Wikimedia Commons. Hehai Library, Bild von Wikimedia Commons.