5 Vlogs für alle sinonerds

Ein Blick in die chinesischsprachige YouTube-Landschaft

Ich begann mich zum ersten Mal für YouTube als Phänomen zu interessieren, als ich mit meinem zwölf Jahre jüngeren Bruder und seinen Freunden vor ein paar Jahren einmal „Wer bin ich?“ spielte. Buchstäblich jeder von ihnen wählte seine*n Lieblingsyoutuber*in als zu erratende Person und ich war völlig aufgeschmissen. Klar, auch ich kam damals um YouTube schon lange nicht mehr herum, aber eine*n Lieblingsyoutuber*in hatte ich mit Sicherheit nicht und ich kannte keine der Personen in unserem Spiel.

Das hat sich seitdem geändert und als sich die Idee eines sinonerds-Spotlights zum Thema digitales Leben formte, fand ich es höchste Zeit, einmal für euch in die chinesischsprachige YouTube/Youku-Welt einzutauchen. Nun ist YouTube selbst in China natürlich gesperrt, doch das tut der Vielfalt an chinesischsprachigen Vlogs und anderen Video-Formaten keinen Abbruch. Youku.com ist das chinesische Äquivalent zu YouTube, aber beliebte Kanäle sind häufig auf beiden Seiten zu finden.

Nun ist es nicht ganz so einfach, eine sinnvolle Liste von Channels zusammenzustellen. Der Versuch, die chinesischsprachige Vloggingkultur einigermaßen repräsentativ abzubilden, würde einerseits unendlich viel Recherche bedeuten und andererseits für viele Leser*innen unzugänglich bleiben – denn nur ein Bruchteil des Contents ist auf Englisch. Gleichzeitig wäre es zu einfach, auf beliebte Expat-Channels auszuweichen, da sie ohnehin für nicht-Muttersprachler*innen leichter zu finden sind und eben nur eine ganz bestimmte, wenn auch ebenso interessante, Perspektive abbilden. Diese Auswahl von fünf Channels ist daher eine Kompromisslösung. Ist dein Lieblingschannel nicht dabei, dann empfehle ihn uns in den Kommentaren!

Vlogs Bild 01

阿滴英文 – Raydu English

Raydu English, oder 阿滴英文 (Ādī Yīngwén) auf Chinesisch, ist eigentlich ein taiwanischer YouTube-Channel zum Englisch lernen, der sich hauptsächlich an chinesische Muttersprachler*innen richtet. Ich finde ihn jedoch wegen seiner hohen Produktionsqualität, den witzigen Videos und der Tatsache, dass er sich auch ziemlich gut zum (fortgeschrittenen) Chinesischlernen eignet, auch für Sinonerds empfehlenswert. 阿滴, mit dem englischen Namen Ray, und seine Schwester 滴妹 (Dī Mèi), alias Crown, präsentieren ihren über 1 Mio. Abonnent*innen mehr als 200 Videos, in denen es um Tipps und Tricks für die englische Sprache, nützliche Phrasen oder auch spezielleres Vokabular geht. Lernen tut man dabei aber eher nebenbei, denn Sketche und Schauspieleinlagen, in denen oft weitere YouTube-Kolleg*innen zu Gast sind, stehen in vielen Videos im Mittelpunkt.

Einige der Videos verfügen sowohl über chinesische (Achtung: Langzeichen!) als auch über englische Untertitel, und so erschließt man sich als Chinesischlernende*r zum Beispiel in der Playlist 10個常用英文句子 (Zehn häufig verwendete englische Sätze) eben nach und nach deren chinesische Entsprechungen. Die Videos mit dem Titel „English Corner“ sind zumeist sogar komplett auf Englisch – chinesisches Schlüsselvokabular wird dann einfach im richtigen Moment eingeblendet. In der Reihe 超難翻譯成英文的中文 (“Super schwer ins Englische übersetzbares Chinesisch”) lernt ihr, nun ja, genau das: Interessante Redewendungen, denen man kaum im Unterricht oder in Wörterbüchern begegnen würde. Aber das ist nur ein winziger Ausschnitt der kreativen Vielfalt von Videos auf diesem Kanal. In meinem bisherigen Lieblingsformat futtern sich Crown und ein weiterer YouTube-Gast durch verschiedenste Leckereien, quatschen dabei und lassen ab und zu ein bisschen entsprechendes Vokabular einfließen.

Als wahre Kinder des digitalen Zeitalters findet ihr Ray und Crown neben YouTube auch auf Facebook, Weibo und Youku. Crown hat außerdem ihren eigenen YouTube-Channel, auf dem sie hauptsächlich Reise- und andere Vlogs postet.

Yoyo Chinese

In einer Auswahl von YouTube-Kanälen mit Chinabezug darf natürlich das Chinesischlernen selbst nicht fehlen. Mein Favorit in dieser Sparte ist Yoyo Chinese, mit etwa 160000 Abonnent*innen und fast 300 (hauptsächlich englischsprachigen) Videos. Die professionelle Chinesischdozentin Yangyang Cheng verpackt knackige Lektionen in lehrreiche Videos unterschiedlicher Länge. Obwohl sie relativ viel Werbung für ihre kostenpflichtige e-learning Website macht, ist der frei auf YouTube zugängliche Inhalt sehr großzügig und die perfekte Begleitung für euren eigenen Chinesischkurs oder das selbstständige Lernen.

Die Kurs-Häppchen richten sich mal an komplette Chinesisch-Neulinge, die mit Yangyang Töne oder das Zählen auf Chinesisch lernen können, und mal an Fortgeschrittene, die bereits einfache Gespräche führen können und sich auf dem Gebiet verbessern möchten. Hierbei gefällt mir das Format besonders gut, in dem die Korrespondentin Tongtong auf der Straße in verschiedenen chinesischen Städten kleine Interviews mit chinesischen Muttersprachler*innen führt. Deren Sätze werden anschließend Stück für Stück auseinandergenommen und erklärt, was eine wunderbare Brücke zwischen einem manchmal etwas realitätsfernen Unterrichtschinesisch und tatsächlichem Alltagschinesisch schlägt .

Hin und wieder gibt es etwa einstündige Livestreams, oft gemeinsam mit Kollegen aus ihrem Team oder Freunden, in denen Zuschauer*innen per Livechat Fragen stellen können. Diese könnt ihr euch dann auch noch im Nachhinein anschauen. So gibt es zum Beispiel ein langes Video zu traditioneller chinesischer Musik und in einem anderen konnten sich Zuschauer*innen mit Yangyangs Eltern unterhalten.

Eine kleinere Auswahl ihrer Videos findet ihr auf dem Kanal 我是秧秧 (Ich bin Yangyang) auch auf Youku.

曼食慢语 – Amanda Tastes

Wie ihr alle wahrscheinlich auch, liebe ich die chinesische Küche. Und so habe ich es mir nicht nehmen lassen herauszufinden, was die YouTube/Youku-Landschaft zu diesem Thema so zu bieten hat. Amanda von Amanda Tastes oder 曼食慢语 (màn shì màn yŭ), wie ihr Kanal auf Chinesisch heißt, lebt in Großbritannien und kocht auf YouTube und Youku für je mehr als 500.000 Abonnent*innen. Ihre Videos sind sehr professionell gehalten und richten sich vor allem an chinesischsprachige Zuschauer*innen. Ein großer Teil der Videos verfügt aber auch über englische Untertitel.

Für mich persönlich dienen einige ihrer Kochanleitungen eher dazu, meinen eigenen Appetit anzuregen, als mich zum selbst kochen zu inspirieren – einige ihrer Gerichte und besonders ihre Torten und Desserts sind etwas anspruchsvoller, sodass ich mich wahrscheinlich demnächst nicht trauen werde, sie nachzukochen. Es macht aber Spaß, Amanda dabei zuzuschauen, wie sie formvollendete Baozi und Mondkuchen zaubert und es ist interessant zu lernen, wie verschiedene Klassiker der chinesischen Küche eigentlich zubereitet werden.

In der Playlist Amanda Fast (曼食快语, als Wortspiel auf den Namen des Channels) lernt ihr in Videos von einer bis zwei Minuten Länge einfache und schnelle Gerichte für jeden Tag. Der gekochte Reis mit Käse (anders als der Name vermuten lässt, enthält er auch Gemüse!) gehört für mich nun schon fest zum Kochrepertoire. Amanda ist jedoch nicht nur ein Profi in der chinesischen Küche – es gibt auch Anleitungen zu japanischen (selbstgemachte Udon-Nudeln, anyone?) und koreanischen, südostasiatischen und europäischen Gerichten. Außerdem findet ihr auch noch eine handvoll Reise-Vlogs auf ihrem Kanal, bei denen es sich natürlich vor allem ums Essen und Kochen dreht.

Amandas Rezepte gibt es auch in Blog-Form auf ihrer eigenen Website, und auf Weibo könnt ihr euch zu ihren über zwei Millionen Followern gesellen. Von sinonerds-Autor Johannes haben wir gerade gelernt, zu welchen Zwecken die chinesische App WeChat verwendet werden kann – der Austausch von Kochrezepten gehört anscheinend dazu, denn Amanda ist auch hier vertreten.

台灣吧 –  Taiwan Bar

Hinter Taiwan Bar (台灣吧) steckt ein kleines Team von Taiwaner*innen, die im monatlichen Rhythmus unglaublich informative, gut recherchierte und dazu auch noch selbst animierte und mit eigenem Soundtrack versehene Videos zu verschiedenen gesellschaftlichen Themen produzieren. Kurz und dennoch dicht beladen mit Informationen dank des hohen Sprechtempos und der knackigen Animationen, bieten sie einen recht kritischen und dabei witzigen Blick auf Geschichte und Gegenwart Taiwans.

Ein Großteil des Channels ist jedoch nur für Chinesisch-Profis zu empfehlen. Und selbst die könnten an ihre Grenzen stoßen – in einer Playlist über die Geschichte der Hakka, der zweitgrößten ethnischen Gruppe Taiwans, gibt es einige Videos, die komplett in der Sprache der Hakka gehalten sind (mit Untertiteln). Doch zum Glück gibt es eine Videoreihe zur Periode der japanischen Kolonialherrschaft über Taiwan, die mit englischen Untertiteln versehen wurde, und die ich euch hier ans Herz legen möchte. Diese Zeit von 1895 bis 1949 wird von den Machern von Taiwan Bar als Lücke im Geschichtswissen der Taiwaner*innen identifiziert, und sie haben es sich zum Ziel gemacht, diese Lücke zu schließen. Nicht-Taiwaner*innen wird es da nicht anders gehen, und wenn ihr schon immer einmal wissen wolltet, wie unter der japanischen Herrschaft mit dem Opiumkonsum, dem Abbinden der Füße von Frauen oder den taiwanischen Indigenen umgegangen wurde, dann solltet ihr euch diese etwa ein Dutzend Videos nicht entgehen lassen.

Selbst mit der Unterstützung durch die Untertitel fiel es mir jedoch teilweise schwer, den Videos zu folgen – zum einen ist die englische Übersetzung nicht ganz fehlerfrei, was bei dem bereits genannten Tempo zu Schwierigkeiten führen kann. Zusätzlich sind die Videos so versetzt mit schrägem Humor, kulturellen Anspielungen und Wortwitzen u.a. aus dem Japanischen, dass man sich schon sehr gut auskennen muss, um wirklich alles zu verstehen. Aber gerade deshalb finde ich diesen Channel interessant. Ohne diese Recherche hätte ich ihn vielleicht nie entdeckt, da er sich eben nur teilweise explizit an nicht-Muttersprachler*innen richtet. Dafür gibt er einen tollen Einblick in den aktuellen Umgang einer jungen Generation von Taiwaner*innen mit ihrer Geschichte und Gesellschaft, den man sich mit etwas Hartnäckigkeit nach und nach erschließen kann.

Papi酱

Wer sich nicht regelmäßig im chinesischsprachigen Netz bewegt, hat möglicherweise noch nie etwas von Papi酱 (Papi Jiàng) gehört. Dabei gehört sie zu den berühmtesten und auch finanziell erfolgreichsten Online-Persönlichkeiten in China. Als solche machte sie einerseits Schlagzeilen, als sie 2016 Förderungen inländischer Investoren in Höhe von 12 Mio. RMB erhielt. Diese Art von Aufmerksamkeit rief jedoch auch die chinesischen Behörden auf den Plan, die kurzzeitig einige ihrer Videos sperrten und sie dazu aufforderten, ihren Gebrauch von Schimpfworten zu reduzieren (mehr darüber könnt ihr hier lesen).

In ihren Videos kommentiert Papi, die studierte Schauspielerin ist, scharf, witzig und selbstironisch Themen, die die jüngeren Generationen von Chines*innen bewegen, von Beziehungsleben bis Arbeitswelt. Ihrem offiziellen Channel auf Youku folgen über 2 Mio. Fans (auf Weibo sind es 25 Mio.), ihre Klicks gehen in die hundert Millionen. Dass sie außerhalb der chinesischsprachigen Welt kaum bekannt ist, liegt sicherlich auch daran, dass nur sehr wenige ihrer Videos über englische Untertitel verfügen. Ihr Channel ist somit auch eher eine Empfehlung für Chinesisch-Profis, vor allem da Papi neben ihrem sarkastischen Content für ihr rapides, sogar noch digital verschnellertes, Sprechtempo bekannt ist. Aber vielleicht finden sich ja unter euch einige, die Lust haben, sich an User-generierten Untertiteln zu versuchen und dieses Internetphänomen auch einem anderen Publikum zugänglich zu machen.

Papi und ihr Team findet ihr auch auf Weibo, YouTube und Facebook. Außerdem gibt es noch den Channel Papitube, der mit einem größeren Team von Vloggern verschiedene Sparten von Beauty bis Popkultur abdeckt.

Die Bilder im Text sind von Jens Schott Knudsen (CC BY-NC 2.0) und Alexander Mueller (CC BY 2.0).

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sinonerds-Autor*in

Karoline Buchner

Karo studierte im Bachelor Asien- und Afrikawissenschaften an der HU in Berlin und der NTU in Taipei. In ihrem Master in Sozial- und Kulturanthropologie interessiert sie sich vor allem für Medizinethnologie sowie Science and Technology Studies. Ihr Lieblingsthema auf diesem Gebiet ist die Rolle der chinesischen Medizin in der heutigen Welt. Hierzu forschte sie auch in Taiwan für ihre Abschlussarbeit, an der sie zurzeit arbeitet. In ihrer Freizeit beschäftigt sie sich gerne mit Literatur, Videospielen und Popkultur.

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