Klingt nach Yellow-Press, ist aber ein persönlicher und lustiger Erfahrungsbericht: Sven Hänke erzählt in seinem Buch über seine sechs Jahre in China und erklärt nebenbei noch einiges an Besonderheiten aus dem Land der Mitte. Jost hat “Nackte Hochzeit” für uns unter die Lupe genommen und dabei auch gelernt, was eine “Nackte Hochzeit” überhaupt ist.
Im letzten Herbst war ich zum ersten Mal in China. Vieles hat mich sehr beeindruckt, nur eines hat mir Angst gemacht: der Moment, als der (Gast-)Vater meiner damals-Freundin und nun Ehefrau, nachdem wir unsere Heiratspläne offenbart hatten, im Restaurant eine Flasche Schnaps auf den Tisch stellte und mein Glas, das ich bis dahin wegen seiner Größe für ein Wasserglas hielt, bis zum Rand füllte. In Erwartung eines opulenten Abendessens hatte ich bis auf ein kleines Frühstück alle Mahlzeiten ausgelassen. Dafür hielt ich mich den Tag über für wahnsinnig schlau und nun auf einmal für ziemlich dumm. Es war so schon schwer genug, keinen interkulturellen Fauxpas zu begehen. Volltrunken würde es nochmal schwerer werden.
Liebesgeschichte, aber auch Information
Angesichts dieses (am Ende gut ausgegangenen) Erlebnisses spüre ich schon beim Durchlesen des Klappentextes von „Nackte Hochzeit“ eine Verbundenheit mit dem Autor Sven Hänke, der von seinen ganz eigenen Erfahrungen in China berichtet. Die erste Sympathie für den Autor begleitet mich dann auch durch das ganze Buch, in dem Sven Hänke auf amüsante und kurzweilige Weise darüber berichtet, wie er in sechs Jahren vom China-Newbie zum Panda-Knutscher wird und seine spätere Frau und deren Familie kennen und lieben lernt.
„Nackte Hochzeit“ schildert dabei nicht nur eine Vielzahl von mehr oder weniger kuriosen Erlebnissen, sondern gibt immer wieder konkrete Beispiele für die Eigenarten der chinesischen Kultur und das Leben der Menschen in China. Dabei geht es etwa um die Bedeutung von Zahlen und die sich in besonders hohen Preisen für Telefonnummern ausdrückende Wertschätzung für einzelne Ziffern, aber auch um bürokratische Besonderheiten wie das Hukou-System, durch das chinesische Bürger an ihren Wohnort gebunden werden und von dem ich als China-Anfänger bis dahin noch nichts gehört hatte.
Was passiert, wenn man im Ausland lebt?
Das Buch schenkt dem Leser damit viele Informationen über China und – ohne sich mit diesen theoretischen Aspekten eines Auslandsaufenthalts aufzuhalten – eine Schilderung dessen, was mit einem Menschen in einer fremden Umgebung passiert: das Erleben interkultureller Begegnungen und eines Kulturschocks, dessen Verarbeitung und die mehr oder weniger starke Vermischung von zwei Kulturen in einer Person. Typischerweise beginnt ein Aufenthalt in einer fremden Umgebung mit einer Phase der Faszination über all das Neue, das sich vor einem auftürmt, gefolgt von einer Phase massiver Frustration, wenn man bemerkt, dass man all das Neue nicht versteht und nicht deuten kann. Wenn man dann, wie zum Beispiel Sven Hänke mit der Hilfe seines zeitweise nervigen Kollegen Jupiter oder seiner späteren Ehefrau Dingding, hinter die Kulissen der ihm fremden Kultur schaut und langsam Zusammenhänge begreift, vollendet sich schließlich eine Phase der (bewussten oder unbewussten) Anpassung an die neue Kultur und eine mehr oder weniger starke Entwicklung der eigenen Persönlichkeit. Bei manchen China-Besuchern führt dies sogar dazu, dass sie zum „Ei“ mutieren (außen weiß und innen gelb), wie uns der Autor erklärt. Oder um es etwas weniger theoretisch zu sagen: der Sven Hänke, der in das Flugzeug nach China stieg, hätte wohl selbst nicht geglaubt, irgendwann Freude an der chinesischen Art der Hochzeitsfotografie zu empfinden.
Ebenso interessant ist deshalb in den abschließenden Passagen darüber zu lesen, wie Sven Hänke eine zweite deutsch-chinesische Hochzeit in Deutschland und die Hochzeitsreise samt chinesischer Familie erlebt und dabei feststellt, dass sich durch das Leben in China auch sein Blick auf Deutschland verändert hat.
Das Ganze geht stets mit viel Humor vonstatten und dies ist dann – zumindest ist das mein Eindruck nach den Äußerungen von Sven Hänke in einem Interview mit dem WDR – auch die eigentliche Botschaft des Buches: nämlich den Herausforderungen, Überforderungen und Unverständlichkeiten, denen man begegnet, wenn man für längere Zeit in China lebt, mit Humor und Ironie entgegenzutreten und sich nicht zu scheuen, auch mal das ein oder andere interkulturelle Fettnäpfchen mitzunehmen. Es wird schon schief gehen!
Für jeden etwas dabei
Damit eignet sich das Buch, das angenehmerweise ausdrücklich die Schilderung persönlicher Erlebnisse ist und gerade kein allwissender Ratgeber sein soll, insbesondere für China-Anfänger, die neben dem Reiseführer auch noch etwas Lustiges über China lesen möchten. Aber auch China-Erfahrene, die Lust haben ihre selbstgemachten Erfahrungen mit denen eines Anderen zu vergleichen, sich an vielen Stellen an eigene Erlebnisse zu erinnern und leise oder laut über die Kuriositäten der interkulturellen Kommunikation zu lachen, werden an „Nackte Hochzeit“ Freude haben. Ach ja: Nackt heiratet übrigens ein Bräutigam, der “nur” aus Liebe, aber ohne Karriere, Auto und Wohnung die Ehe eingehen will. Ganz schön gewagt.
Leseexemplar und Bildmaterial (Titel sowie Bild 2 – 4) wurden uns von Sven Hänke zur Verfügung gestellt. Danke, Sven!