Viele Menschen in Deutschland sehen Glutamat mit skeptischen Augen. Es gilt als künstlich, gesundheitsschädlich oder gar krebserregend. Unser Autor Moritz hält dagegen: Er findet Glutamat geil. Hier zeigt er auf, wieso der Geschmacksverstäker seinen schlechten Ruf nicht verdient, und warum man ihn mögen kann.
Bei der Recherche für diesen Artikel habe ich mich in eine der dunkelsten, aber auch überlaufensten Ecken des Internets vorgewagt: Online-Kochforen. Ich möchte wissen, wie Glutamat am besten zum Kochen eingesetzt wird. Aber das heraus zu finden, ist gar nicht so einfach. Finde ich einen Post, in dem es um Glutamat geht, überschlagen sich die Antworten abwechselnd zwischen Panik und Überheblichkeit.
Von „Ich kann kochen, ich brauche kein Glutamat“ über „Schmeiß das sofort in den Müll – MIR kommt das nicht ins Essen“ bis zum Klassiker „Als ich vor 2 Wochen beim Chinesen war, hatte ich danach für (beliebiger Zeitraum) mit (beliebige gesundheitliche Beschwerde) zu kämpfen! Das lag bestimmt am Glutamat!“
Glutamat – oder richtiger Mononatriumglutamat (MNG) – ist ein Geschmacksverstärker, der vielleicht aus Gesundheitsmagazinen oder Anti-Pickel-Empfehlungen bekannt ist. In China kommt es vor wie Sand am Meer: Dort steht eine Schale mit den kleinen weißen Kristallen (wèijīng 味精) in vielen günstigen Straßenimbissen ganz selbstverständlich neben dem Essig und der Sojasoße auf dem Tisch. Hier in Deutschland finden wir es für gewöhnlich nur in verarbeiteter Form in Fertiggerichten, Snacks und besonders in ostasiatischen Instant-Nudeln.
Aber das berüchtigte Zeug versteckt sich nicht nur in allen ungesunden Sachen: Glutamat kommt in vielen Gerichten natürlich vor. Es wurde vor circa 100 Jahren in Japan entdeckt, als Kikunae Ikeda bemerkte, dass die japanische Dashi-Brühe, die aus Bonitoflocken (geräucherter Tunfisch) und Kombu (eine Alge, die in der japanischen Küche seit über 1500 Jahren als Geschmacksverstärker benutzt wird), einen besonderen, noch nicht wissenschaftlich beschriebenen Geschmack habe.
Kikunae extrahierte verschiedene Glutamatsorten, von denen sich Mononatriumglutamat als am einfachsten zu verwenden und am leckersten herausstellte, und eroberte damit die verschiedenen ostasiatischen Küchen im Sturm. Es verstärkt den Eigengeschmack von Lebensmitteln und fügt eine zusätzliche umami-Note hinzu. Umami ist eine Geschmacksrichtung, für die es im Deutschen, anders als für süß, salzig, sauer, bitter keinen exakten Begriff gibt.
Wahrscheinlich ließe sich umami am besten als deftig oder würzig beschreiben. Eiweissreiche Nahrung wie beispielsweise Käse, Fleisch oder Sojabohnen schmecken umami. Auch die westliche Lebensmittelindustrie entdeckte Glutamat für sich, da es fade Fertiggerichte aufpeppt. Bald war es auch in Europa und Nordamerika in vielen Tiefkühltruhen zu finden.
In den 1970er Jahren wurde der Siegeszug des Glutamats jedoch aufgehalten. Viele Menschen – besonders in den USA, aber auch in Europa – klagten nach der Ente süß-sauer um die Ecke über Beschwerden, die nachträglich dem „Chinarestaurantsyndrom“ zugeschrieben wurden: Durchfall, Übelkeit, Ausschlag, Schlaflosigkeit und beliebige andere. Schnell wurde Glutamat als Sündenbock ausgemacht, viele Menschen verzichteten auf Produkte mit dem Geschmacksverstärker, und glutamatfreies Essen wurde angeboten.
Ärzt*innen und besorgte Ramen-Liebhaber*innen erzeugten mediale Aufmerksamkeit und Druck, sodass die vermeintlichen gesundheitsschädlichen Folgen mehrfach untersucht wurden. Es stellte sich heraus, dass schlechte Erfahrungen mit Glutamat auf eine Überempfindlichkeit zurückzuführen sind, die beileibe nicht alle Menschen betrifft. Das “Chinarestaurantsyndrom” wurde gar als Nocebo-Effekt bezeichnet, ausgelöst durch die Angst von Europäer*innen und Amerikaner*innen vor angeblich unhygienischem Essen aus asiatischen Restaurants – ein Vorurteil, das auch heute noch oft bedient wird.
Feststeht aber: Eine gesundheitsschädliche Wirkung von Glutamat konnte nie bewiesen werden – was nicht verwunderlich ist, da es in teilweise sehr starker Konzentration natürlich in vielen Lebensmitteln vorkommt. Hinter dem “Chinarestaurantsyndrom” derweil könnten sich auch allergische Reaktion auf Erdnüsse, Gewürze oder andere Zutaten verbergen, die sich manchmal in asiatischen Gerichten finden.
Ich gebe es offen zu: Ich habe mich ein bisschen in Glutamat verliebt. Mit Glutamat angereichertes Essen schmeckt intensiver, würziger, kurz: es macht mir mehr Spaß zu essen. Besonders gut schmeckt es im Hotpot, mit Tofu oder scharf angebratenen Gerichten. Leider sehe ich immer mehr chinesische Restaurants in Deutschland, die „glutamatfrei“ sind. Und ironischerweise schwappt der Trend langsam nach China über: Auch dort habe ich in der Werbung schon erste „frei von Glutamat“-Qualitätsversprechen gesehen.
Ich werde mir bei der nächsten Gelegenheit eine Familienpackung Glutamat besorgen. Das kann ich dann zum Kochen verwenden, oder ins Restaurant mitnehmen, zum nachwürzen. Keine Macht den Glutamat-Gegner*innen! Glutamat, ICH LIEBE DICH!
Dieser Artikel wurde vom Autor „gegendert“ – warum er das wichtig findet, kannst Du hier nachlesen.
Die Bilder in diesem Beitrag wurden unter Creative-Commons-Lizenzen verwendet:
“味什么 Rainbow-coloured Flavour Enhancer” von Alpha: Lizenz
“Drying kelp (kombu)” von Joi Ito: Lizenz
“kattebelletje” von Ajinomoto: Lizenz