Vor ein paar Wochen stolperte ich im Internet über eine Waschmittelwerbung der Marke Qiaobi (俏比), die inzwischen im Internet berühmt-berüchtigt geworden ist. Darin wird ein mit Farbklecksen übersäter schwarzer Mann von einer chinesischen Frau in ihre Waschmaschine gesteckt. Nach kurzer Waschzeit kommt er wieder heraus – nur ist er jetzt ein hellhäutiger Ost-Asiate.
Die Werbung wirft eine Reihe an Fragen auf: Ist der Videoclip rassistisch? Wie rassistisch sind die chinesischen Medien und die chinesische Gesellschaft? Kann ein westlicher Rassismusbegriff überhaupt auf China angewandt werden oder entfachten kulturelle Unterschiede die Wut vieler nicht-chinesischer Beobachter*innen? Können Chines*innen, die selbst oft Opfer von Kolonialismus wurden und immer noch von Rassismus betroffen sind, überhaupt rassistisch sein?
Es hat mich nur wenig Zeit und eine Google-Suche gekostet, um Beispiele für Diskriminierung gegenüber schwarzen Menschen in China zu finden. Neben besagter Werbung, für die sich Qiaobi inzwischen offiziell entschuldigt hat, gibt es zahlreiche gut dokumentierte Vorfälle.
Ich möchte hier nur einige nennen.
Der letzte Star Wars Film erhielt viel Lob, da er verstärkt schwarze Menschen als Schauspieler*innen einsetzt. Hollywood war bereits mehrmals dafür kritisiert worden, fast ausschließlich weiße Schauspieler*innen in ihren Filmen zu zeigen. Diese Diskussion war wohl in der chinesischen Medienlandschaft nicht geführt worden.
Finn, ein schwarzer Stormtrooper, der in „Das Erwachen der Macht“ von dem britischen Schauspieler John Boyega gespielt wird, ist auf dem Poster, das in China den Kinostart begleitete, deutlich kleiner als auf den amerikanischen und europäischen Postern. Kritiker*innen sagen, so etwas passiere nicht zufällig, sondern sei eine bewusste Entscheidung gewesen. Die chinesische Zeitung Global Times bestreitet das.
Ein weiterer Vorfall:
Lou Jing (娄婧), eine junge Sängerin aus Shanghai, wurde Opfer eines Shitstorms, nachdem sie an der populären shanghaier Reality-TV-Show Let’s Go! Oriental Angel teilgenommen hatte. Während alle anderen Teilnehmer in der Show nach ihren Hobbies und ihren Lieblingsfächern gefragt wurden, drehten sich die Fragen der Jury in Lous Fall nur um eines: Ihre Hautfarbe. Als Kind einer shanghainesischen Mutter und eines afrikanisch-amerikanischen Vaters entsprach sie nicht dem Bild einer Chinesin, das inner- und außerhalb von China dominiert: hellhäutig und ethnisch Han.
Ungeachtet der Tatsache, dass Lou einen chinesischen Pass besitzt, Mandarin ihre Muttersprache ist und sie ausschließlich in China aufgewachsen ist, wurde sie Opfer massiver Attacken online. Ihrer Mutter wurde außerdem vorgeworfen, sich mit einem „fremden“ schwarzen Mann eingelassen zu haben – eine Narrative, die wir auch hier in Deutschland gut kennen.
Ein letztes Beispiel:
Im Vorfeld der olympischen Spiele in Beijing wurden mehrfach schwarze Männer festgenommen, denen unterstellt wurde, dass sie Drogendealer seien. In US-amerikanischen Kontexten ist dies als „racial profiling“ bekannt, also die Verdächtigung einer kompletten Gruppe nur aufgrund ethnischer Zugehörigkeit. Auch The Shanghaiist, ein unter in Shanghai lebenden Ausländer*innen beliebtes Onlinemagazin, berichtete über mehrere Vorfälle, bei denen schwarzen Menschen der Zutritt zu Bars und Nachtklubs verwehrt wurde. Wieder war Verdacht der Türsteher: Drogendealer.
Rassismus ist nicht gleich Rassismus
Es lassen sich viele weitere Beispiele von Diskriminierungen und Anfeindungen finden. Rassismus ist aber nicht nur Diskriminierung. Wenn Rassismus in der westlichen Welt diskutiert wird, dann gehört definitorisch auch strukturelle Unterdrückung dazu. Gibt es diese in China? Viele chinesische Kommentatoren stellten und stellen dies in Frage, da China der kolonialhistorische Kontext fehle, der in Europa und den USA Rassismus etablierte. Allerdings sind diese Vorfälle keine individuellen Einzelfälle. Sie werden von einem erheblichen Teil der chinesischen Bevölkerung getragen, aber auch von den Medien und der Staatsgewalt.
Wenn also die beiden Merkmale, die Rassismus auszeichnen, strukturelle Unterdrückung und Diskriminierung sind, dann gibt es Rassismus in China. Aber irgendwie stimmt dieses Bild noch nicht so ganz.
Raymound Zhou, der für China Daily schreibt, bezog nach den Angriffen auf Lou Jing klar Stellung. In China funktioniere Rassismus anders als etwa in den USA, wo der Großteil der Rassismusforschung herkommt. „Viele von uns schauen auch auf dunkelhäutige Chines*innen herab, besonders auf Frauen“ schreibt Zhou. Helle Haut ist in China ein sehr weit verbreitetes Schönheitsideal.
Nicht nur schwarze Menschen, sondern auch dunkelhäutige Chines*innen müssen sich demütigende Kommentare zu ihrer Hautfarbe anhören. Direkte Sonnenstrahlen werden von vielen Chines*innen vermieden, um möglichst hell zu bleiben. Zhou betont, dass in China auch aus historischen Gründen dunkle Haut als nicht begehrenswert gelte. In feudalen Zeiten brachte die arme Landbevölkerung einen Großteil ihrer Zeit auf den Feldern in der Sonne zu, weshalb dunkle Haut bis heute mit Armut und Bäuerlichkeit assoziiert werde.
Damit hat die Bewertung von Hautfarbe im modernen China einen anderen historischen Hintergrund als in Deutschland. Das Bewerten von Äußerlichkeiten auch Fremden gegenüber ist in China viel akzeptierter als in Europa und den USA, und auch die Konzepte einer politisch korrekten Sprache, die sehr genau vorschreibt, wie und ob wir über Hautfarbe, Rassismus und Geschlecht reden, gibt es so in China nicht.
Was erleben schwarze Menschen in China?
Nach der Recherche vieler Artikel hat sich mir leider immer noch kein klares Bild ergeben. Irgendwie scheint Rassismus vorzukommen, gleichzeitig scheint er aber auch anders zu sein als hierzulande. Also tue ich, was ich von Anfang an hätte tun sollen. Ich frage eine Betroffene aus meinem Freundeskreis.
„Als ich zum ersten Mal nach China kam war ich mir über die vielen Hindernisse bewusst, die ich antreffen würde, besonders weil ich schwarz bin, und ich war mir nicht sicher, was ich erwarten sollte“ erzählt mir Nnendimma, die letztes Jahr durch ein Stipendium der chinesischen Regierung an der Fudan-Universität in Shanghai studiert hat. „Gleich am Anfang ist mir aufgefallen, dass ich angestarrt wurde – aber es war ein anderes Anstarren als zuhause in Amerika. Es war ein fasziniertes, neugieriges oder auch ängstliches Starren. Aber zuhause in den USA werde ich mit Ekel angeschaut, als wäre ich eine Perversität, als wäre ich unerwünscht.“
Die Afro-Amerkanierin, die jetzt wieder in den USA ist, fand das Starren und die Aufmerksamkeit manchmal ein bisschen viel, besonders wenn sie ständig nach Fotos gefragt wurde, diese mit oder ohne ihre Erlaubnis von ihr gemacht wurden oder Menschen zu ihr kamen, um ihre Haare anzufassen und zu fragen, ob diese echt seien. „Ich wusste, dass sie es aus Ignoranz taten, und nach einer Weile ging es mir wirklich auf die Nerven! Irgendwann ist auch meinen Freund*innen aufgefallen, dass ich besonders viel angestarrt wurde, obwohl auch meine Freunde Ausländer*innen waren.“
Viele der Probleme, die Nnendimma mir schildert, scheinen jedoch eher das Resultat von Unwissenheit als von Feindseligkeit zu sein. „Oft wurde mir nicht geglaubt, dass ich Amerikanerin bin, und immer wieder wurde mir gesagt, ich käme aus Afrika. Ziemlich bescheuert, aber dann habe ich gemerkt, dass die chinesischen Medien die USA als hauptsächlich mit weißen Menschen bevölkert darstellt – und das ist natürlich Quatsch.“
Aber sie kritisiert auch die amerikanischen Medien für dieses falsche Bild: „Ich wurde von chinesischen Mitstudent*innen gefragt, ob die Ereignisse und Ideen in amerikanischen TV-Shows die Wahrheit abbilden. Ich habe ihnen gesagt, dass TV-Shows und Filme natürlich immer ein bisschen übertrieben sind. Mir ist aufgefallen, dass Rassismus und Diskriminierung dafür sorgen, dass TV-Shows nie das richtige Amerika zeigen.“
Auch für ihre Geschlechtsidentität musste Nnendimma sich wegen ihrer kurzen Haare oft rechtfertigen: „Einmal hat mich ein chinesischer Typ gefragt, ob ich ein Mann oder eine Frau bin – das fand ich echt beleidigend! Ich habe das Gefühl, dass viele Gedanken, anders als in westlichen Kontexten, nicht erst gefiltert werden, bevor der Mund aufgemacht wird. All das war teilweise echt nervig, aber ich habe versucht, es hinter mir zu lassen und zu verstehen, dass viele Chines*innen nie über diese Themen unterrichtet wurden und einfach noch nie davon gehört haben.“
Aber: Eine Änderung ist in Sicht
Rassismus gegen dunkle und schwarze Menschen existiert auf jeden Fall in China. Aber: er ist anders ausgeprägt als hier, und: die Dinge scheinen sich zu ändern. Meiner Meinung nach ist es höchst problematisch, den amerikanischen, europäischen oder auch deutschen Rassismusbegriff auf China zu beziehen, ein Land, in dem ganz andere historische Ereignisse die Wahrnehmung von Hautfarbe, Rasse und Nationalität geprägt haben, als in Deutschland. Es ist einfach, China als rassistisch und die westliche Welt als „fortschrittlicher“, „toleranter“, „besser“ abzustempeln.
Beispiele für ein Umdenken gibt es in Teilen Südchinas. Die „Schokoladenstadt“ (巧克力城), wie sich der Teil Guangzhous nennt, in dem inzwischen die größte schwarze Community Asiens lebt, ist einer der Orte, an dem sich schwarze Menschen und Chines*innen treffen und austauschen. Auch im Rest von China haben immer mehr Chines*innen Kontakt zu Ausländer*innen, auch schwarzen. Wirtschaftlich investiert China inzwischen enorm in Afrika, viele Chines*innen sind im Zuge ehrgeiziger Wirtschaftsprojekte dorthin umgesiedelt.
Das alles spricht dafür, dass die Beziehungen von Chines*innen und schwarzen Menschen weltweit immer wichtiger werden. Ein verstärkter Dialog wird dringender gebraucht denn je und könnte der jüngeren Generation eine andere Wahrnehmung verleihen. In Zukunft wünsche ich mir mehr öffentliche Diskussionen darüber, wie in China mit Menschen umgegangen werden soll, die alte Ideen und Denkweisen in Frage stellen.
Dieser Artikel wurde von der*m Autor*in „gegendert“ – warum er*sie das wichtig findet, kannst Du hier nachlesen. sinonerds bedankt sich bei Roberto Castillo für die freundliche Zustimmung zur Nutzung seiner Bilder. Alle Bildrechte sind vorbehalten.