Mongolen leben nur in der Mongolei und Nordchina? Natürlich nicht! Wir begaben uns in Yunnan auf eine Spurensuche und fanden im Dorf Xìngméng 兴蒙 die lebendige Erinnerung an einen wichtigen Abschnitt der Geschichte dieser Provinz.
Eine Pferdestatue ragt in den hellblauen Himmel, auf ihrem Sockel findet sich mongolische Schrift. Der Baustil der sie umgebenden Häuser erinnert an Jurten und von einem Restaurant, das mongolische Küche im Angebot hat, weht uns ein deftiger Duft entgegen. Wir haben fast das Gefühl, tatsächlich in der Mongolei zu sein.
Aber nur fast, denn wir sind in Xingmeng in der Provinz Yunnan, im tiefen Süden Chinas, Tausende von Kilometern von der Mongolei entfernt. Und doch befinden wir uns mitten unter Mongolen. Wer verstehen möchte, wie es die Mongolen nach Yunnan verschlagen hat, wälzt am besten ein wenig die Geschichtsbücher.
Es war einmal ein Königreich…
…das hieß Dàlǐ 大理国. Bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts befand sich das heutige Yunnan nicht im Reich der damals herrschenden Dynastie Song, sondern in eben jenem Königreich. Von seiner gleichnamigen Hauptstadt aus beherrschte es ein Gebiet, das neben dem größten Teils der heutigen Provinz Yunnan auch Gebiete in Guizhou und Sichuan sowie nördliche Regionen von Myanmar, Laos und Vietnam umfasste.
Dali wurde 937 gegründet – zur gleichen Zeit wuchs ein gewisser Otto in Magdeburg zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches heran – und folgte dem Königreich Nánzhào 南诏. Es ist davon auszugehen, dass die Herrscher und der Großteil ihrer Untertanen der Bái-Ethnie 白族 angehörten, die auch heute noch überwiegend in und um Dali anzutreffen ist. Über drei Jahrhunderte hinweg lebte das Königreich Dali in Unabhängigkeit.
Yunnan wird „chinesisch“
Doch dann geriet Dali unter seinem König Duàn Xīngzhì 段兴智 ins Visier des sich ausdehnenden mongolischen Reiches. Dessen Herrscher Möngke Khan, Enkel von niemand Geringerem als Dschingis Khans, begann 1253 die Eroberung des Königreichs Dali, die schon ein Jahr später abgeschlossen war, als Duan Xingzhi sich den mongolischen Truppen ergab. Dali wurde ein Vasallenstaat der Mongolen und die letzten Verfechter der Song-Dynastie vertrieben oder getötet.
1271 begründete Möngke Khans Bruder und berühmter Nachfolger Kublai Khan die Yuan-Dynastie, 1274 wurde die Provinz Yunnan eingerichtet, in deren Gebiet nun das ehemalige Königreich Dali lag – dies stellt den Beginn der Zugehörigkeit Yunnans zu China dar. Kublai Khan bestimmte für das gesamte Reich eine strenge soziale Hierarchie, in der Südchinesen auf der vierten und untersten Stufe standen. Viele der Angehörigen der mongolischen Armee blieben in Yunnan; hinzu kamen Angestellte der Yuan-Verwaltung.
Das Ende der Mongolenherrschaft
Ein knappes Jahrhundert dauerte die Yuan-Dynastie. In dieser Zeit war auch unser Reiseziel Xingmeng Teil des mongolischen Weltreichs. Zu ihrem Ende hin stand die Herrschaft der Dynastie auf immer wackeligeren Füßen – sie sah sich mit Naturkatastrophen und den aus ihnen resultierenden Hungersnöten konfrontiert, mit hohen Militärausgaben, Hofintrigen und Machtverlust. 1368 gelang den Roten Turbanen der Umsturz der Yuan-Dynastie und ihr Anführer Zhū Yuánzhāng 朱元璋 ging unter seinem Ehrennahmen Hòngwǔ 洪武 als erster Ming-Kaiser in die Geschichte ein.
Viele Mongolen flohen vor den Ming-Truppen gen Norden, wo sie die Nördliche Yuan-Dynastie gründeten, die noch bis 1671 Bestand hatte. Doch die Mongolen Xingmengs verfolgten eine andere Strategie: Sie blieben in Yunnan und harrten in den Bergen aus, wo die Ming-Truppen sie nach ihrer Eroberung, die erst nach dreizehn Jahren (1381) beendet war, nie fanden.
Xingmeng heute
Heute ist Xingmeng die einzige mongolische Nationalitätengemeinde (mínzú xiāng 民族乡) der Provinz Yunnan. Die hier lebenden Mongolen heißen Khatso (kāzhuó rén 喀卓人), leben sesshaft und haben auch sonst über die Jahrhunderte hinweg viele Lebensgewohnheiten ihrer nicht-nomadischen Umwelt angenommen, wenngleich nicht alle. Nichtsdestotrotz findet auch hier eine Wiederbelebung der ethnischen Identität statt: Xingmengs Grundschüler lernen Mongolisch und Pferdekopfgeige, mongolische Feiertage werden begangen und es findet Austausch mit der Inneren Mongolei statt.
Was in Xingmeng tatsächlich von Kublai Khans Armee stammt, was hinzugefügt wurde, was Folklore ist, was gar Propaganda oder Tourismuskitsch, ist schwer auseinanderzuhalten. Unser Eindruck ist: Manches ist alt, manches wiederbelebt und Touristen nicht vorhanden. Fest steht, dass dieser Ort allein aus historischer Sicht eine Reise wert ist, und die Erfahrung, mitten in Yunnan in die Mongolei einzutauchen, gibt es kein zweites Mal.
Zu guter Letzt: Praktisches
Transport: Die nächstgelegene größere Stadt ist Tōnghǎi 通海, das z.B. ab Kunming per Zug und Bus erreicht werden kann. Gegenüber des Busbahnhofs Tonghais fahren lila Nahverkehrsbusse ins ca. 10 km entfernte Xingmeng und weiter – wichtig ist es daher, dem Busfahrer zu signalisieren, dass man aussteigen möchte, wenn man das Ortsschild für Xingmeng passiert hat. (Wenn man nach links abgebogen ist, ist man zu weit, denn der Weg nach Xingmeng führt nur geradeaus.)
Unterkunft: Ein schlichtes Standardzimmer kostet in Xingmeng 50 Yuan für zwei Personen pro Nacht.
Klima: Wie bei den meisten Orten um Kunming ist der beste Zeitpunkt für eine Reise kurz vor Beginn der Regenzeit, die ab Mai/Juni einsetzen und bis September/Oktober anhalten kann. Von November bis Januar herrscht Winter.
Gute Reise!
Ni ke nadie: wohin gehst Du?
Dieser Gruß könnte nicht besser zu Yunnan passen, denn die bunte Provinz im Südwesten Chinas bietet eine Fülle von Antworten. Zwischen Regenwald im Süden und Steppe im Norden führen ihre Wege zu den verschiedensten Gesichtern, Gerichten und Geschichten.
Seit nunmehr drei Jahren bin ich auf diesen Pfaden unterwegs und meine Begeisterung für Yunnan wächst und wächst. Meine Erkundungen und Erlebnisse teile ich mit euch in meiner Kolumne Ni ke nadie? Pfade durch Yunnan.
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