Excuse us, while we build new futures.

Eine Ausstellung in Leipzig zeigt, wie die Welt umgebaut wird und wer die Protagonisten sind.

Chinas kolossale Bauprojekte verändern nicht nur Städte wie Chongqing oder Shenzhen, sondern zunehmend auch andere Länder. Nicht zuletzt macht sich der Bauboom in Afrika bemerkbar. Obwohl Europa dabei an der Seitenlinie steht, vermittelt die Ausstellung Chinafrika. under construction in Leipzig einen guten Eindruck davon, was dort passiert.

Baustellen. Wenn es um Baustellen (in Deutschland) geht, sagt mein Vater vorzugsweise den Satz: “In China wäre das Ding schon seit drei Monaten fertig.” Vom chinesischen Bauboom und den vielen, überstundengeplagten Händen, die scheinbar unermüdlich in Chinas kleineren, mittelgroßen und megagroßen Großstädten die urbane Zukunft aus Glas und Beton bauen – davon hört und liest man hier schließlich nicht selten. Die immer höher wachsenden Wolkenkratzer stehen dabei meist für Wirtschafts-, manchmal für Bevölkerungswachstum.

Seltener werden die Geschichten derer erzählt, die Tag für Tag auf den Baustellen arbeiten und die Wohnungen errichten, die für sie selbst unbezahlbar sein werden. Aber ja, in China baut man schnell und hoch und viel – und eine Baustelle auf der einen Seite der Welt ist im Zeitalter der Globalisierung nicht mehr nur eine Baustelle an diesem konkreten Ort.

Mit der chinesischen Erzählung Yu Gong versetzt Berge (愚公移山 Yú Gōng yí shān) beginnt die Ausstellung Chinafrika. under construction, die derzeit in der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig (GfZK) zu sehen ist. Die Geschichte berichtet von dem Greis Yu Gong, der sich gemeinsam mit seinen Söhnen der scheinbar unmöglichen Aufgabe annahm, zwei Berge abzutragen, da diese den Weg zu seinem Haus versperrten. Trotz des Spotts, den er für dieses Vorhaben erntete, blieb der Greis beharrlich und wurde schließlich vom Himmelskaiser für seine Ausdauer und Hingabe belohnt: dieser schickte zwei Götter, die die Berge davontrugen und so den Weg freimachten. In der Kulturrevolution unter Mao wurde diese Parabel zu einem geflügelten Wort, die zwei Berge symbolisierten darin Imperialismus und Feudalismus.

Ausstellungsansicht Chinafrika. under construction, photo Wenzel Stählin

Der kühne Versuch des alten Yu in grauer Vorzeit ist heute Wirklichkeit geworden: Sprengungen von Bergen, die städtischen Bau- und Infrastrukturprojekten im Wege stehen, sind keine Seltenheit mehr. Unser Planet ist under construction. Und immer öfter baut Europa nicht mit.

Die Leipziger Ausstellung führt ihre BesucherInnen durch neun thematische Räume. Dabei werden die vielschichtigen Beziehungen und Netzwerke zwischen Afrika und China deutlich, gleichzeitig verschwimmen aber auch die Grenzen zwischen den Beteiligten: Da die einzelnen Werke nur mit Nummern gekennzeichnet sind, muss ich als Besucherin selbst den jeweiligen Kontext und die Biographien der Kunstschaffenden im Booklet nachschauen – und bin überrascht, wie selten die Herkunft der KünstlerInnen sich in den Ausstellungsstücken erkennen lässt. Doch vielleicht ist genau das der Punkt: Woher wir kommen ist nicht mehr entscheidend; was uns und unsere Arbeit prägt, sind die bunten Einflüsse der vielen Orte, die wie unzählige Fäden an einem Ort zusammenlaufen.

Der öffentliche Blick auf die Beziehungen zwischen China und Afrika haftet nach wie vor besonders an der wirtschaftlichen und politischen Ebene. Zu Recht werden hier auch die Absichten der Volksrepublik auf dem afrikanischen Kontinent hinterfragt, die häufig neokoloniale Züge an sich haben. Was Chinafrika zeigt, sind aber insbesondere die gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen und Diskurse, die durch diese neuen Beziehungen entstehen. Die Künstlerinnen und Künstler widmen sich lokalen Alltäglichkeiten und individuellen Lebensumständen im Kontext einer immer enger werdenden, interkulturellen Beziehung zwischen China und Afrika. Wie verändern sich Lebensperspektiven im neuen, internationalen Kontext? Welche Gegenstände, Bilder und Umgangsweisen der jeweils “anderen” Kultur dringen in den eigenen Alltag ein und wie verändern sich dadurch (städtische) Räume?

Besonders unter die Haut gehen mir die Videoinstallationen Excuse Me, While I Disappear von Michael Macgarry und The Land of many Palaces von Adam Smith, Song Ting und Wang Wihan. Erstere erzählt mit leisen Bildern die Geschichte eines jungen Mannes in Kilamba Kiaxi, einer von der chinesischen Baufirma CITIC gebauten Stadt außerhalb von Angolas Hauptstadt Luanda. Der Protagonist arbeitet tagsüber als Straßenkehrer in Kilamba und pendelt abends zurück in Luandas Altstadt. In unaufgeregten und zugleich starken Szenen bricht er in ein leerstehendes Apartment in einem der unzähligen Wohnblöcke in der Satellitenstadt ein, klettert auf das Hochhausdach und verschwindet schließlich leise im Nichts.

Trailer – ‘Excuse me, while I disappear.’ from Michael MacGarry on Vimeo.

The Land of many Palaces berichtet von den Umsiedlungen mehrerer tausend Bauernfamilien in die neugebaute chinesische Stadt Ordos (È’ěrduōsī Shì 鄂尔多斯市). Regierungsbeamtinnen versuchen nicht nur, den Familien in Informationsveranstaltungen die vermeindlichen Vorzüge des städtischen Lebens schmackhaft zu machen, sondern sind auch beauftragt, einen Lokalpatriotismus und die Identifikation der umgesiedelten Menschen mit “ihrer” neuen Stadt zu etablieren.

Beide Arbeiten widmen sich stark top-down gesteuerten Urbanisierungsprozessen, der verschwindend geringen Bedeutung, die dem Menschen als Individuum zugeschrieben wird, sowie der Diskrepanz zwischen vorgestelltem und tatsächlich gelebtem städtischen Leben im 21. Jahrhundert.

Auch Rassismus wird thematisiert. In einer Installation findet sich zum Beispiel die Waschmittelwerbung der chinesischen Filma Qiaobi wieder, die im vergangenen Jahr weltweit für Entsetzen und Empörung in den Sozialen Medien gesorgt hat.

Darüber hinaus bleibt die Frage nach (neo)kolonialen Mustern der chinesischen Investitions- und Baumaßnahmen auf dem afrikanischen Kontinent nicht unberührt: In seiner Arbeit Copper, Cobalt and Manganese Cabbage setzt sich der sambische Künstler Stary Mwaba mit den Effekten der wirtschaftlichen Kolonisierung seines Heimatlandes auseinander. Dort werden zunehmend die Bodenschätze Kupfer, Kobalt und Mangan für die Produktion von Kabeln und Mobiltelefonen abgebaut. Die Transformation der dortigen Agrarwirtschaft zeigt Mwaba durch den Einsatz der Farben dieser Bodenschätze, die langsam die Blätter des Chinakohls verfärben, während Stiele und Adern weiß bleiben.

Stary Mwaba, Copper, Cobalt and Manganese Cabbage, 2014, photo Wenzel Stählin_

Zwischendurch schweifen meine Gedanken ab und ich erinnere mich an meine Studienreise nach Kenia. Zwei Jahre ist es her, dass ich immer wieder meinen Reisepass herauskramte, um zu beweisen, dass ich Deutsche bin:

Are you really German?
Yeah.
But you look Chinese.
You think? People always guess wrong where I come from.
Yeah, but we know.
Why?
We know Chinese. Chinese are here. Everywhere.

Damals war ich weniger genervt als beeindruckt. Zuhause in Deutschland war es mir selten passiert, dass Unbekannte meinen chinesischen Hintergrund auf Anhieb richtig zugeordnet haben (auch wenn die Frage nach meiner eigentlichen, wirklichen Herkunft ständig aufkommt, obwohl ich hier geboren bin). Ginge es nach solchen Fremdzuschreibungen, wäre ich schon Hawaiianisch, Afghanisch, Türkisch und Griechisch gewesen. Nein, beeindruckt hat mich vielmehr, dass selbst die Menschen in den kleinsten Dörfern um den Mount Kenia ein Referenzbild von ChinesInnen hatten – und, dass ich selbst bis dahin mit der völlig überholten Vorstellung gelebt hatte, Globalisierung sei vordergründig ein urbanes Phänomen.

Ausstellungsansicht Chinafrika. under construction, photo Wenzel Stählin_Diesem Irrglauben lässt sich auch mit einem Besuch der Chinafrika-Ausstellung gut entgegenwirken. In ihren Inhalten kommen KünstlerInnen aus Afrika und China zu Wort und die gezeigten Perspektiven sind vielfältig. Nicht zuletzt verweist die Ausstellung deutlich auf die Tatsache, dass diese Entwicklungen ohne Europa und “den Westen” ihren Lauf nehmen und neue Zukünfte sowohl in Megastädten als auch im ländlichen Raum längst ausgerollt, aufgebaut und miteinander vernetzt werden.

Europa spielt hier scheinbar nur eine Nebenrolle, wird aber dennoch nie ganz unsichtbar. Irgendwie lässt es sich den Status der sturen Bauaufsicht nicht ganz nehmen, die aus der Ferne den Zeigefinger erhebt, wie um zu sagen: “ihr könnt ruhig ohne mich spielen, aber ich mache die Regeln.” Und ich werde den Gedanken nicht los, dass diese wirklich besuchenswerte Ausstellung eigentlich nicht nur hier in Leipzig stehen sollte, sondern eben gerade dort, wo die vielfältigen Verflechtungen der afrikanischen und chinesischen AkteurInnen alltäglich wirken und gelebt werden. Außerhalb Europas.

Chinafrika. under construction. ist noch bis zum 08. Oktober 2017 in der Leipziger Galerie für Zeitgenössische Kunst (GfZK) zu sehen. 

Alle Bilder © Wenzel Stählin mit großem Dank von sinonerds!

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sinonerds-Autor*in

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