Fahrt in die Berge: Eine Woche im Ailaoshan

Ni ke nadie #2

Die Ferien stehen vor der Tür und damit natürlich auch die Frage: Wohin soll die Reise gehen? Charlotte und ihre Freunde haben sich für das Gebirge Āiláoshān 哀牢山 entschieden, eines der weniger bekannten Reiseziele der Provinz Yunnan. In diesem kleinen Reisebericht lässt sie uns sinonerds ein bisschen Orangenluft schnuppern und hält praktische Tipps für alle bereit, die sich auch auf den Weg in den tiefen Süden Chinas machen wollen.

Gásǎ 嘎洒: Orangen im Gebirge

Das erste Ziel unserer Reise ist die am Fuße des Ailaoshan gelegene Stadt Gasa. Von hier aus lassen sich diverse Sehenswürdigkeiten im Gebirge, wie Wasserfälle oder Schluchten, erreichen. Auf geht‘s!

© Maz Johnrose

© Maz Johnrose

Wir möchten den Nán’ēn-Wasserfall 南恩瀑布 ansehen und finden einen Motorradfahrer, der uns auf den Berg bringt. Auf der Fahrt sehen wir anfangs noch an uns vorbeirauschende Dörfer und den Wald des Gebirges, schon bald allerdings nichts mehr: Nach und nach macht sich dichter Nebel breit. Wie sich der Fahrer orientiert, ist uns so schleierhaft wie unsere Umgebung.

Der Wasserfall ist beeindruckend. Das Wasser rauscht zwischen dem Grün des Waldes eine Schlucht hinab und setzt dort in einem reißenden Strom seinen Weg fort. Eine Handvoll Touristen halten posierend den Moment in ihren Handys fest. Mehrere Souvenirverkäufer haben ihre kleinen Buden aufgebaut und versuchen, Schlüsselanhänger und Snacks an den Mann zu bringen. Ein Polizeiwagen bahnt sich bergauf seinen Weg durch das Getümmel, seine uniformierten Insassen blicken grimmig.

Das Auftauchen der Polizei macht die Weiterfahrt unmöglich, denn das Gewerbe unseres Fahrers ist nicht so ganz legal, zumal er auf seinem winzigen Motorrad gleich zwei Passagiere transportiert, obendrein noch Ausländer. Neuer Plan: Wir fahren zu einer Orangenplantage, auf der man durch die Reihen der Orangenbäume spazieren und sich an den süßen Früchten sattessen kann. Ich bin bis dahin noch nie in den Genuss frisch gepflückter Orangen gekommen und genieße diese Köstlichkeit sehr. Wir erkunden Gasa und seine Umgebung zwei weitere Tage, dann fahren wir nach Mosha.

Im Orangenfeld © Maz Johnrose

© Maz Johnrose

Fazit Gasa: Ein vielseitiger, reisestrategisch günstig gelegener Ort.

Mòshā 漠沙: Dialektirrtümer und ein menschenleeres Tourismusdorf

Eines wissen wir an Mosha gleich bei unserer abendlichen Ankunft sehr zu schätzen: Hier herrscht nächtliche Stille. Im deutlich größeren Gasa vernahmen wir des Nachts den neben unserer Bleibe gelegenen Karaokeschuppen und die Hauptverkehrsader der Stadt, die auch spät von Fahrzeugen aller Art und jeden Alters knatternd genutzt wurde  – in Mosha hören wir nichts, bis auf Hahnenschreie am Morgen.

Ausgeschlafen erkunden wir die wenigen Straßen Moshas und fahren zu einem Dorf der Huayao-Dai, einer ethnischen Gruppe Yunnans. Es erscheint wie eines jener chinesischen Tourismusdörfer, die den Besuchern die als „typisch“ zu empfindende lokale Lebensweise zeigen sollen, doch sind wir merkwürdigerweise die einzigen Gäste. Unauffällig verlassen wir das touristische Zentrum und erkunden den Rest des Dorfes. Hier sehen wir die Hütten, in denen die Dorfbewohner tatsächlich leben, Menschen, die Reisfelder bestellen, und scharrende Hühner.

© Mario Johnrose

© Mario Johnrose

Tourismusdörfer dieser Art stimmen mich immer etwas nachdenklich. Natürlich bin ich nicht aus Kunming gekommen, um mir letztlich einen Zirkus anzusehen. Andererseits weiß ich auch, dass die Bewohner zumindest teilweise von den Einnahmen aus dem Tourismus leben. Kaufen möchten wir trotzdem nichts.

Schließlich kehren wir zum Hotel zurück und werden vom Zimmermädchen begrüßt, das eindringlich nach „youchi“ verlangt. Wir verstehen es als die Frage „有吃?“ (Yǒuchī? Habt ihr Essen?) und kramen in unseren Taschen besorgt nach den letzten vertrockneten Keksen. Doch nein, wir sind in die Dialektfalle getappt: Sie möchte den Schlüssel, auf Mandarin „yàoshi“ 钥匙 genannt – in einer Sprache also, die hier fast niemand dialektfrei beherrscht.

Fazit Mosha: Ein beschaulicher, angenehmer Ort. Das nahegelegene Tourismusdorf stimmt nachdenklich, ist aber nichtsdestotrotz hübsch.

Xīnpíng 新平: Chinesische Gastfreundschaft

Ganz Xinping macht einen sehr herzlichen Eindruck auf uns. Wir besuchen einen Freund, Jagger, dessen Eltern uns freundlich aufnehmen und zum Essen ausführen. Auch bringen sie uns eine der Xinping’er Spezialitäten, frittierte Bienen, näher – ein angenehm knuspriges Gericht. Außerdem sind wir während eines Barbesuchs mit Jagger auf einmal irgendwie exotische Stars. Es stößt jeder Gast mit uns an, Unmengen Fotos werden geschossen, aus dem Nichts erscheint Essen vor unseren Nasen und wir unterschreiben auf die Bitte seiner Besitzerin hin ihr iPhone(!).

Doch neben Gastronomischem hat Xinping noch viel mehr zu bieten, so z.B. den Mòpánshān 磨盘山, einen hübschen Berg des Ailaoshan-Gebirges. Wir wandern durch seinen üppigen Nadelwald, umrunden einen See, bestaunen eine tiefe Schlucht. Auf dem Rückweg treffen wir in der Innenstadt Xinpings auf einen Junggesellenabschied. Wie ich hier lerne, läuft das Spektakel ähnlich ab wie in Deutschland, einziger Unterschied ist, dass Braut und Bräutigam gemeinsam um die Häuser ziehen. Ansonsten ist es aber deckungsgleich: Kostümierung, Pflichten, Alkohol.

© Maz Johnrose

© Maz Johnrose

Nach drei Tagen begeben wir uns auf den Weg zurück nach Kunming. Es war eine recht ereignisreiche Woche mit vielen neuen Eindrücken aus einem kleinen Teil des Gebirges Ailaoshan. Wir werden wohl noch viele Ferien brauchen, ehe wir es in seiner Gänze und allen Facetten entdeckt haben.

Fazit Xinping: Hier wird Geselligkeit großgeschrieben!

Zu guter Letzt: Praktisches

Transport: Fernbusse fahren ab Kunming z.B. nach Yuxi oder Xinping, wo eine Verbindung zur Stadt Gasa besteht. Auch innerhalb des Gebirges ist der Bus das Hauptverkehrsmittel, darüber hinaus ist es möglich, für einen halben oder ganzen Tag ein Auto oder Motorrad samt Fahrer zu mieten.

Unterkunft: Eine schlichte Übernachtungsmöglichkeit findet sich in kleinen, als „bīn guǎn“ bezeichneten Hotels (宾馆). Sie kosten außerhalb von Feiertagen RMB 50-70 im „Standardzimmer“ für zwei Personen (biāo jiān 标间).

Kleidung, Klima: Während Wanderschuhe je nach Ziel nicht zwingend erforderlich sind, empfiehlt sich festes Schuhwerk auf jeden Fall. Die meiste Zeit des Jahres herrscht im Gebirge angenehmes Klima um die 20°. In höheren Lagen sinkt die Temperatur entsprechend.

Sprache: Mit Hochchinesisch kommt man in dieser Region Yunnans recht weit, vor allem das Verstanden-werden ist kein Problem. Aktive Englischsprecher finden sich hingegen weniger. Es empfiehlt sich, eher jüngere als ältere Menschen anzusprechen.

Gute Reise!

Ni ke nadie: wohin gehst Du?

Dieser Gruß könnte nicht besser zu Yunnan passen, denn die bunte Provinz im Südwesten Chinas bietet eine Fülle von Antworten. Zwischen Regenwald im Süden und Steppe im Norden führen ihre Wege zu den verschiedensten Gesichtern, Gerichten und Geschichten.

Seit nunmehr drei Jahren bin ich auf diesen Pfaden unterwegs und meine Begeisterung für Yunnan wächst und wächst. Meine Erkundungen und Erlebnisse teile ich mit euch in meiner Kolumne Ni ke nadie? Pfade durch Yunnan.

*Titelbild credit: Flickr photo by jpaulhart http://flickr.com/photos/61652362@N00/15978730032 shared under a Creative Commons (BY-NC-SA) license.

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Über den Autor

Charlotte Degro

Nach ihrem Bachelorstudium der Sinologie in Leipzig und Kunming zog es Charlotte zurück nach China, wo sie an der Kunming University of Science and Technology Rechtswissenschaften studiert. In ihrer Freizeit reist sie gerne, liebt Bücher ebenso wie chinesische Straßenküche und versucht sich an diversen Fremdsprachen, Geige und Badminton. Charlottes eigener Blog ist shenghuoshenghuo.tumblr.com.​

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