Gegen Räuber und Dämonen

Ein dunkelblauer Nachthimmel, fahles Mondlicht und aufsteigender Regendunst aus der Erde: An einem entlegenen Ort treffen sich maskierte Männer für eine Zeremonie. Sie beten zu den Geistern für Erfolg – und dass die Polizei ihnen dabei vom Hals bleibt.

Kurz darauf geht es zur Sache: Die Gruppe raubt eine Bank aus und hinterlässt bei der wilden Verfolgungsjagd mit der Polizei eine blutige Schneise. Gleichzeitig wird der Protagonist eingeführt; Dave Wu, ein verschlossener Polizeibeamter. Während der Schießerei wird der gefährlich-berüchtigte Bandenanführer Hon, der wegen der außergewöhnlichen Maskierung seiner Leute auch „Teufel“ genannt wird, angeschossen und flüchtet ins Krankenhaus, in dem Dave Wache steht. Ohne zu wissen, wen er vor sich hat, spendet Dave dem Verletzten Blut und rettet dessen Leben. Als er das Ausmaß seiner gut gemeinten Tat erkennt und Hon aus dem bewachten Krankenhaus fliehen kann, lässt ihn das Schicksal des Gesuchten nicht mehr los. Wie um seine eigene Schuld zu tilgen, verfolgt er obsessiv Hons Spuren. Vor allem aber löst das Ganze viel Unterdrücktes in Dave aus. Nachdem seine Vorgesetzte ihn auf die Psychiatercouch zwingt, erfahren wir, dass Dave unter Schizophrenie leidet. In seinen Anfällen wird er zu einer anderen Person, die sich nicht mehr um Gesetze schert und ungehemmt ihrem Gewaltdrang nachgeht. Eine gefährliche Entwicklung, da es immer entscheidender wird, einen klaren Kopf zu bewahren, während er den Verbrechern auf die Spur kommt.

Mit viel (vor allem Geld-)Aufwand hat Dante Lam ein Spektakel der Sinne geschaffen mit einem Bilderrausch über Hongkongs vor Leben strotzenden Dschungel und seine engen Straßen und Häusern, die bis auf den letzten Quadratzentimeter mit Gewimmel gefüllt sind. Auch für die Ohren gibt es Action satt: Schießereien, Autofahrten, schmerzhafte Auseinandersetzungen mit den Verbrechern, bei denen allerlei Werkzeug in den menschlichen Körper gerammt wird, sowie unheilvolle Gongklänge und körperlose Stimmen, wenn Dave einen seiner Anfälle hat. Der Zuschauer wird von einem Ereignis ins nächste geworfen, und so manch einem könnte diese Brachialität zu viel werden.

An mehreren Stellen bietet der Film vielversprechende Ansatzpunkte für die Weiterentwicklung der Handlung, vernichtet diese Möglichkeiten aber schnell wieder durch eine umfassende Erklärung, die keinen weiteren Deutungsspielraum zulässt. Das ist sehr schade, denn der Film hat viel Potential, und man fragt sich, warum der Regisseur es vermeidet, den Zuschauer mit der Entwicklung der Geschichte und der Figuren zu verwirren oder zu überraschen. Zuweilen entsteht der Eindruck, dass man dem Zuschauer nichts allzu Abstraktes oder Fantastisches zumuten will und deshalb lieber auf Nummer sicher geht und für alles eine lapidar-plausible Erklärung hat. Das bezieht sich vor allem auf die Hauptfigur David Wu, dessen Anfälle mit beeindruckender schwebender Kamerafahrt dargestellt werden, die den Zuschauer im wahrsten Sinne des Wortes vom Boden der Vernunft abheben lassen.

Dave scheint nicht mehr zwischen Realität und eigenen Wahnvorstellung unterscheiden zu können, und plötzlich stellt sich die Frage, wie viel er sich einfach nur eingebildet haben könnte. So manch einer mag an dieser Stelle an den Film „Fight Club“ denken, bei dem die Grenzen zwischen den beiden Protagonisten verschwimmen. Mit diesem Verdacht steigt die Spannung mit jeder Zusammenkunft von Dave und den Verbrechern –  und wird mit einem Statement zunichte gemacht, dass eine solche Deutung überhaupt nicht möglich sei. Es gibt mehrere Momente im Film, in denen man sich als Zuschauer über solche  Vorwegnahmen durch den Regisseur ärgert. Bei einem anderen Beispiel greift Dave als unsichtbarer Dritter in die Machenschaften der Kriminellen ein und spielt sie gegeneinander aus. Die Freude über diese Wendung von Dave zum genialen Manipulator, der die Verbrecher von innen heraus erledigt, wird aber genauso schnell wieder zugunsten einer weniger spektakuläreren Entwicklung zerstört. Verwirrend ist auch das Spiel mit dem Mystischen, wie etwa die Anbetung diverser Geister durch die Verbrecher, was dann wieder mit wissenschaftlicher Grundlage als bedeutungslos verworfen wird. Warum, fragt man sich, kokettiert der Film mit dem Mystischen (beispielsweise in den Anfangsszenen), wenn man dieses zugleich als wirkungslosen Aberglauben abwertet? Wenn man offenbar darauf bedacht ist, modern und aufgeklärt zu wirken, wäre es dann nicht besser gewesen, die Mystik ganz wegzulassen?

Der Film zieht sich vor allem in der zweiten Hälfte in die Länge. Die ausführliche Rückblende am Ende, in welcher Daves Kindheitserlebnisse geschildert werden, die zu seiner Schizophrenie geführt haben, ist vollkommen überflüssig. Der Regisseur scheint große Ambitionen gehabt zu haben, zeigt aber zu wenig Wagemut in der filmischen Umsetzung. Das ist bedauerlich, weil offenbar ein großes Budget für beeindruckende Bilder und imposanten Ton, wie es nur im Kino erlebbar ist, vorhanden war. Aber selbst die besten Aufnahmen können eine mittelmäßig erzählte Geschichte nicht retten.

Daten zum Film

Titel: 魔警 / That Demon within
Hongkong, China 2014 – Kantonesisch
Regisseur: 林超贤 (Dante Lam)
Darsteller: Daniel Wu, Nick Cheung

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sinonerds-Autor*in

Siyuan He

Siyuan kam bereits als Säugling in die Bundesrepublik und hat in unterschiedlichen Bundesländern gelebt, bis sie schließlich Berlin zu ihrer Heimat auserkoren hat. Ihre Passion fürs Schreiben verbindet sie am liebsten mit dem Kennenlernen neuer Menschen aus anderen Kultur- und Sprachräumen. Momentan setzt sie ihre Erkundungsreise in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba fort, wo es (nicht nur) viele chinesische Geschichten zu erzählen gibt.

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