Das Schriftzeichen 茶 hat es in sich. Es hat nicht nur alle seine Konkurrenten in der chinesischen Sprache abserviert – Über einige geographische Ecken und etliche Jahrhunderte hinweg ist sogar das deutsche Wort Tee mit ihm verwandt.
„Durch die Teefelder läuft ein Mensch, der Holzsandalen trägt.“ Das ist eine der vielen Eselsbrücken, die man sich ausdenken mag, um das Schriftzeichen 茶 zu lernen. Denn ⺾, 人 und 木 ergeben zusammen 茶. Naja, ungefähr jedenfalls. Bei genauerem Hinsehen sollte der untere Teil doch eher als 朩 (statt 木) geschrieben werden. Aber davon mal abgesehen: So hilfreich wie diese und andere Gedächtnisstützen auch sein mögen, führen sie inhaltlich schnurstracks auf den Holzweg.
Doch was zeigt uns das Zeichen 茶 wirklich? Gibt es eine besondere Verbindung zwischen seiner Form und dem Getränk Tee? Und überhaupt, war seine Bedeutung schon immer „Tee“? Fangen wir mal von hinten an. Wer ein bisschen nachforscht, stößt schnell auf einen ganzen Haufen Zeichen, die früher alle „Tee“ bedeutet haben sollen: 檟, 橈, 蔎, 茗, 荈, 葭 und…荼. Moment mal! Nicht 茶, wohlgemerkt, sondern 荼, mit einem Strich extra. Aber dazu später mehr.
Der Tee-Weise schafft Ordnung
Die verschiedenen Bezeichnungen für die gleiche Pflanze lassen sich auf die Dialektvielfalt der antiken Region 巴蜀 (bā shǔ), dem heutigen Sichuan, zurückführen. 巴蜀 ist einer der Ursprungsorte der Pflanze Tee und ein wichtiges Zentrum für die Verbreitung des Getränks in andere Teile Chinas, bevor es in die ganze Welt überschwappte. Wie die Zeichen genau entstanden sind und welche Aussprache sie einst repräsentierten, daran beißen sich Sprachforscher seit langem die Zähne aus. Vereinfacht darf man sich wohl vorstellen, dass die verschiedenen Ecken dieser Provinzen „Tee“ auf ihre besondere Weise sagten. Die Gelehrten verwendeten dafür ihrerseits im Geschriebenen Zeichen, die sie für passend hielten (siehe oben).
Die verschiedenen Bezeichnungen für Tee waren bis zur Tang-Zeit (618-906) in freiem Umlauf und führten gelegentlich zu Verwirrungen. Dann wurde es einem gewissen Lu Yu (陸羽) zu bunt. In seinem berühmten Werk 茶經 (chá jīng), dem „Buch vom Tee“, schrieb er „一曰茶、二曰槚、三曰蔎、四曰茗、五曰荈“ (der eine sagt 茶, der nächste 檟, der dritte 蔎 usw.) und hielt somit fest, dass alle Wörter die gleiche Bedeutung hatten. Obendrein verriet er schon im Titel, welches Zeichen er bevorzugte. Von Anbau über Verarbeitung bis zur Zubereitung und Trinkweise von Tee enthielt das 茶經 alles, was man über Tee zu der Zeit nur wissen konnte. Sein Werk brachte Lu Yu später sogar den Ehrennamen 茶神 (chá shén), der „Tee-Weise“, ein. Und da er sich auf das Zeichen 茶 festgelegt hatte, war die Frage nach der richtigen Bezeichnung ein für allemal geklärt.
Von 荼 zu 茶
Trotzdem muss noch eine Erklärung für das merkwürdige Zwillingspaar 荼 und 茶 her. Im Zeichen 荼 steht das Semantikum ⺾ (für Gewächse) über dem Phonetikum 余 (heute yú) und die Verwandlung zu 茶 geschah wohl kaum durch einen Flüchtigkeitsfehler oder Faulheit der Schreiberlinge. Vielmehr hatte jemand die großartige Idee, ein Zeichen zu schaffen, das die Bedeutung „Tee“ unmissverständlich widerspiegelte. Das ursprüngliche Zeichen 荼 hatte nämlich einige verschiedene Bedeutungen, von denen „Teeblätter“ neben „bitter“, „weiß“ und sogar „Unkraut“ nur eine war. Also wurde das Zeichen um einen Strich gekürzt, und das neue Zeichen 茶 wurde ausschließlich für „Tee“ gebraucht.
Darüber hinaus ist es wichtig zu wissen, dass 荼 zu alten Zeiten nicht wie im heutigen Mandarin als tú ausgesprochen wurde, sondern eher als „tsheai“. Man ahnt es schon: Die Aussprache des heutigen 茶, chá, war schon in dessen Vorgängerzeichen enthalten!
茶: chá, caa4, déi, ㄉㄟ ˊ
Natürlich gibt es heutzutage auch eine Reihe von verschiedenen Aussprachen für das Zeichen 茶. Je nachdem wo man sich aufhält, erinnert es in seinen verschiedenen Färbungen oft an die Standardaussprache chá. Aber da macht die sprachliche Vielfalt Chinas noch nicht halt. Im Minnan-Dialekt, der in Fujian und auf Taiwan gesprochen wird, wird 茶 nämlich „déi“ bzw. ㄉㄟ ˊ (im taiwanischen Bopomofo) ausgesprochen. Diese zwei phonetischen Entwicklungen breiteten sich über Asien bis in europäische Sprachen aus. Und während die Portugiesen ihr Wort chá wohl aus dem Kantonesischen caa4 ableiteten, lässt sich das deutsche Wort Tee über den Umweg durch das Niederländische wahrscheinlich auf das malaiische teh zurückführen. Man könnte fast sagen: An einer Kanne Rooibos-Ingwer-Orange-Tee ist die bloße Aussprache der letzten Silbe das einzige, was noch entfernt mit dem ursprünglichen Konzept 茶 zu tun hat! In unserem aktuellen Spotlight reisen wir durch die Teehochburgen Yunnan, Sichuan und Taiwan und gehen diesem Konzept auf die Spur.
Mehr zum Thema Tee gibt es auf der Seite des Spotlights Tee.
Bild: (c) Arseny Knaifel