Wie viele Schriftzeichen gibt es? Ist die Aussprache wirklich so schwer? Kann man Chinesisch überhaupt lernen? In unserer Inforeihe Der Mandarin-Code schreibt sinonerds-Autor Lewe über die vielen Fragen, denen frische oder angehende Chinesischlernende begegnen, und räumt so die eine oder andere Unklarheit aus dem Weg.
Chinesische Schriftzeichen: davon gibt es eine Menge, zigmal mehr jedenfalls als Buchstaben im deutschen Alphabet. Aber halt, dieser Vergleich macht gar keinen Sinn! Die beiden Sprachen benutzen völlig verschiedene Systeme. In diesem Teil stellen wir vor, warum Schriftzeichen nicht mit Wörtern (geschweige denn mit Buchstaben) verwechselt werden sollten. Außerdem haben Schriftzeichen einen Riesenvorteil: Sie zerlegen Fremdwörter in ihre Einzelteile und machen uns Lernern das Leben leichter.
Schriftzeichen – Ein Rätsel?
Wie viele Schriftzeichen gibt es denn eigentlich? Ganz klar ist das nicht: Größere Wörterbücher protzen mit 30.000 bis 50.000 Zeichen, die höchsten Schätzungen gehen sogar über 100.000. Aber für den Alltagsgebrauch machen solch kolossale Zahlen keinen Sinn. Viele der Schriftzeichen, die irgendwann in Chinas langer Geschichte einmal aufgetaucht sind, wurden obsolet oder können heute keiner Bedeutung mehr zugeordnet werden.
Alltagstaugliche Schätzungen sind beruhigender. Die Anzahl der Schriftzeichen, die Chinesen mit Schulbildung tatsächlich kennen und benutzen, liegt bei etwa 6000. Diese Zahl halbiert sich noch einmal, wenn man die am häufigsten verwendeten Zeichen herausfiltert. Als Chinesischlerner ist man also schon ziemlich weit, wenn man 3000 Schriftzeichen kann. Das klingt zwar immer noch viel, doch wird diese Zahl nach dem ersten Schreck überschaubar. In den Schriftzeichen sind viele kleine Elemente eingebaut, die sie einprägsam und wiedererkennbar machen. Diese sogenannten Radikale werden schnell zu alten Bekannten, und bevor man sich’s versieht, staunt man schon über die Menge an Schriftzeichen, die man lesen kann!
Was ist ein chinesisches Wort?
Ist man bei rund 3000 angelangt, hat man allerdings noch keinen Wortschatz, denn Schriftzeichen sind nicht gleich Wörter. Obwohl jedes Schriftzeichen eine Bedeutung hat, reicht diese Bedeutung oft nicht aus, um sich in einem bestimmten Kontext präzise auszudrücken. Die 3000 Zeichen, die wir ungefähr anpeilen, werden untereinander kombiniert und so zu Sinneinheiten geformt.
Anders ausgedrückt, im Chinesischen gibt es eine Unterscheidung zwischen den „Zeichen“ zì (字) und „Wörtern“ cí (词). Während ein zì immer nur ein einzelnes Zeichen ist, ist ein cí eine Aneinanderreihung von Zeichen, die zusammen ein Wort oder eine Phrase ergeben. Die meisten cí im Chinesischen sind aus zwei Schriftzeichen zusammengesetzt, einige haben drei und manche vier oder mehr.
Verwirrungen bei gleicher Aussprache
Ein weiterer Grund für die Verbindung von zwei oder mehr Schriftzeichen zu einem Wort liegt wiederum in der Aussprache. Da Chinesisch nur eine beschränkte Palette an Silben hat (siehe Der Mandarin-Code Teil 2), klingen sehr viele Schriftzeichen genau gleich. Die Verbindung von zwei Schriftzeichen – und damit zwei Silben – zu einer Sinneinheit ist also notwendig, um überhaupt die Bedeutung eines Wortes erkennen zu können.
Sage ich zum Beispiel die Silbe hàn, ist es nicht klar, ob ich „bereuen“ (憾), „die Han-Nationalität“ (汉), „Chinesisch“ (汉), „Dürre“ (旱) oder „Schweiß“ (汗) meine, denn das sind die Bedeutungen verschiedener Schriftzeichen, die alle hàn ausgesprochen werden. Eine ähnlich verwirrende Reihe an Bedeutungen kann man aufzählen, wenn man die bloße Silbe zì hört. Führe ich aber hàn und zì zu einem Wort zusammen, wird die Bedeutung klar: Ich meine chinesische Schriftzeichen, hàn zì (汉字).
Schriftzeichen sind Deine Freunde
Für jeden Lerner von Chinesisch als Fremdsprache haben die Schriftzeichen einen Riesenvorteil. Weil jedem Schriftzeichen eine Bedeutung zugeordnet ist, folgen die zusammengesetzten Wörter oft einer klar erkennbaren Logik. Wir als Lerner können die Bedeutung von unbekannten Wörtern im Chinesischen so viel leichter erraten, als das bei anderen Sprachen ginge — Deutsch zum Beispiel ist voll von lateinischen und griechischen Fremdwörtern.
Zum Beweis einige deutsche Fremdwörter, die das Chinesische mit seinen Schriftzeichen im Handumdrehen in einfache Bestandteile aufteilt.
Eine noch bessere Nachricht als die Fremdwort-Immunität ist, dass chinesische Schriftzeichen alles andere als kryptisches Gekritzel sind. Kein einziges besteht aus einer zufälligen Anordnung an Strichen. Vielmehr folgen 80 % aller Schriftzeichen einem ganz bestimmten System, das ideographische und phonetische Elemente miteinander verbindet. Über diesen Geniestreich geht es im nächsten Teil der sinonerds-Reihe Der Mandarin-Code.