Fan Popo (范坡坡) ist LGBT-Aktivist und Filmemacher und lebt in Beijing. Wir haben ihn in Berlin getroffen, wo er beim Geburtstagsevent des Berlin Asian Film Network seinen Film “The VaChina Monologues” vorgestellt hat. Für sinonerds hat er sich Zeit genommen und erzählt über seine Arbeit in der LGBT-Szene, Gender-Probleme in China und den internationalen Austausch. Das Interview haben wir für Euch auch in der chinesischen Originalfassung bereitgestellt!
sinonerds: Erst einmal vielen Dank, dass Du dir Zeit für ein Interview nimmst. Wir würden dich gerne näher kennenlernen. Was ist dein Hintergrund und wie hast Du als Filmemacher, Autor und Aktivist begonnen? Was war der Auslöser für dein Schaffen?
Fan Popo: Von 2003 bis 2007 habe ich an der Beijinger Filmakademie studiert. Dass es dazu kam, war aber Zufall. Ich war schlecht in Mathe und hatte gehört, dass man für kunstorientierte Hochschulen keine guten Noten in dem Bereich braucht. Ich hatte keine besonderen Fähigkeiten und so blieb mir nur die Filmakademie. So richtig habe ich erst im Studium Gefallen am Film gefunden.
Ich habe mich schon immer für soziale Probleme interessiert, und Dokumentarfilme sind ein wirksames Mittel, um die Gesellschaft unter die Lupe zu nehmen. So habe ich dann nach dem Studium angefangen, Filmkritiken zu schreiben, selbst Filme zu drehen und auch Events mitzuorganisieren. Wenn man sich die “社运电影人” (activist filmmaker) anschaut, ist das im Übrigen ein gängige Lebensart; man ist in viele unterschiedliche Vorhaben involviert und ergänzt sich gegenseitig.
Was den Aktivismus angeht, ging das anfangs von mir selbst aus. Ich habe schon sehr jung gespürt, dass meine sexuellen Interessen nicht mit den Menschen um mich herum eins waren. Ich hatte auch eine schwierige Zeit des Coming-Outs, spürte den Eingriff des Staats in den Selbstausdruck. Ich dachte, ich sollte etwas für die Gesellschaft tun. Später bemerkte ich sogar, dass man dafür gar nicht selbst dazugehören muss. Ich bemerkte, dass auch viele Heterosexuelle sich für die Gleichberechtigung von Homosexuellen einsetzten. Alle haben die gleichen Ziele, was Gleichheit und Freiheit angeht. Niemand sollte wegen ihrer oder seiner Identität diskriminiert oder unterdrückt werden.
Die Themen, die Du ansprichst, haben mit Gender und Gesellschaft zu tun – keine Themen, die man täglich im Mainstream antrifft. Wer ist dein Publikum und wie erreichst Du es? Wie würdest Du dein Berufsumfeld und die Szene beschreiben?
Meine Zielgruppe ist das einfache Volk in China. Film ist für mich ein Werkzeug zur Kommunikation, es lässt unterschiedliche Gruppen einander erblicken.
In China ist es nicht leicht im Independent-Filmbereich zu arbeiten, erst recht nicht im Queer-Indepent-Filmbereich. Wegen der Kontrollsysteme können wir unsere Filme nicht offiziell in den Kinos spielen und müssen kleinere Screenings in Gallerien, Cafés oder in den Unis durchführen. Unter diesen Umständen können wir das nicht kommerziell betreiben. Aktuell kommt die Unterstützung hauptsächlich durch internationale Stiftungen und einige lokale NGOs. Zum Glück habe ich einige enge Verbündete und bekomme oft Rückhalt aus unterschiedlichsten Richtungen – das gibt mir immer Vertrauen und Kraft. Darüber hinaus hat auch die Verbreitung des Internets in China eine Plattform und Raum für den Independent-Film geschaffen.
In deinem Film “Mama Rainbow” (彩虹伴我心) gibst Du Einblicke in die Rolle der Mütter für ihre homosexuellen Kinder vor dem Hintergrund der chinesischen Kultur. Wir haben eine Follow-Up-Frage: Was ist denn mit den Vätern?
Seit ich “Mama Rainbow” fertiggestellt habe, werde ich ständig danach gefragt. Eigentlich hatten wir bei der Produktion vor, einige Väter einzubauen. Leider war es sehr schwer jemanden vor die Kamera zu bekommen. Bis jetzt gibt es weitaus weniger Väter als Mütter, die bereit sind, öffentlich zu so etwas zu stehen. Alle fragen “Wo ist Papa hin?” (“爸爸去哪儿” ist auch der Name eines überaus erfolgreichen chinesischen Promi-Reality-TV-Formats, Anm. d. Redaktion) – Das kann ich auch nicht beantworten, aber mein neuer Dokumentarfilm wird sich genau um diese Frage drehen. Er wird nächsten Sommer erscheinen und “寻找爸爸” (Auf der Suche nach Papa) heißen.
In deinem Film “The VaChina Monologues” erzählst Du die Geschichte einer Feminismus-Welle, die auf die erste Aufführung einer chinesischen Aufarbeitung im Stil des Stücks “The Vagina Monologues” 2003 in Guangzhou folgte. Was sollten deiner Meinung nach China-Interessierte über Feminismus in China und die Bedeutung der “Vagina Monologues” wissen?
In China gibt es aktuell sehr ernsthafte Geschlechterdiskriminierung. Das schließt den Beruf, häusliche Gewalt oder sexuelle Belästigung ein, aber diese Phänomene werden oft ignoriert. Die landeseigene Version der “Vagina Monologues” verleiht diesen Problemen Ausdruck und zieht, mit ziemlich radikalen Mitteln, Aufmerksamkeit auf sich. Diese chinesischen, von den “Vagina Monologues” inspirierten Stücke, sind nicht nur lokal angepasste Fassungen, sie berücksichtigen auch noch mehr Gender. So tragen sie nicht nur Informationen an die Öffentlichkeit, sondern lassen auch die Teilnehmer als solche viel über sich selbst nachdenken.
Wie auch in anderen Teilen der Welt gibt es in China eine Kluft, wenn es um Bewusstsein in Gender-Fragen geht. Sagen wir mal, zwischen Akademikern in den Metropolen im Vergleich zu Menschen in stark ländlichen Gegenden. Wie siehst Du da den Unterschied? Erreicht Aktivismus alle in China gleich? Und wie kann das in der Zukunft aussehen?
Wie Du schon erwähnst, die Identität eines Menschen ist auf vielen Ebenen mit der Außenwelt verknüpft, wie es zum Beispiel die Gender-Identität mit der Wirtschaft, der Region, dem ethnischen Hintergrund und so weiter ist. Die Lage der LGBT-Gruppen in China ist ganz klar nicht auf dem gleichen Stand. Im Osten des Landes sind die Städte entlang der Küste verhältnismäßig tolerant und offen, auf dem Dorf und in den westlichen Teilen Chinas steht es schwierig um die LGBT-Identität. Ein schwuler Freund von mir ist auf dem Land in Shaanxi aufgewachsen und hat dort Jahrzehnte gelebt. Unter dem ganzen Druck sah er sich gezwungen zu heiraten. Er ist Papierschnitt-Künstler, bekannt unter dem Namen ““西亚蝶”” (der sibirische Schmetterling), was heißen soll: Als Schwuler in einer solchen Umgebung lebt man wie ein Schmetterling im bitterkalten Sibirien. Später zog er nach Beijing und begann, ein freieres Leben zu führen. Es gibt unzählige solcher Geschichten. Aber es können nicht alle in die großen Städte ziehen, daher ist es besonders wichtig, die Lebensumstände Homosexueller auf dem Land zu verbessern. Die Schwulenbewegung in China hat sich in den letzten Jahren dieser Problematik angenommen, doch es ist nach wie vor nicht leicht, etwas in dem Bereich auf die Beine zu stellen.
Du hast nicht nur im Sommer “The VaChina Monologues” in Berlin präsentiert, sondern auch an weiteren internationalen Begegnungen in anderen Teilen der Welt teilgenommen. Wie wichtig ist die internationale Community für deine Arbeit? Was bewegt dich, wenn Du in Deutschland und der Welt unterwegs bist?
In den letzten Jahren wird in immer mehr Ländern Interesse für China wach. Aber die Eindrücke, die es nach außen schaffen, sind oft überholt und veraltet. Im Bereich Gender hat sich in China schon sehr viel getan, aber die meisten Außenstehenden sehen das einfach nicht. Es ist wichtig, diese Informationen weiterzureichen. Auf der anderen Seite ist es für mich immer sehr inspirierend, die Werke anderer Menschen zu sehen, und sich mit dem Publikum in anderen Ländern auszutauschen.
Bei dem Screening auf dem Geburtstag des Berlin Asian Film Network dieses Jahr war ich überrascht – ich dachte, alle hätten schon sehr fortschrittliche Ansichten was Gender angeht, und mein Film würde nicht genug in die Tiefe gehen. Dann konnten aber doch viele etwas neues erfahren und Interesse für das Thema entwickeln. Außerdem hat mich ein Freund ins NGBK zu der Ausstellung “What Is Queer Today Is Not Queer Tomorrow” mitgenommen, die ich super fand. Ich hoffe ich kann mehr Zeit in Städten wie Berlin verbringen – aber Visapolitik ist ein frustrierendes Thema, das wir lieber gar nicht erst anschneiden.
Was sind deine Träume, Hoffnungen, Pläne für die Zukunft? Was können wir von Fan Popo erwarten?
Ich bin nicht wirklich ein Mensch für ferne Träume, ich konzentriere mich eher auf das, was vor mir liegt. Aber eine Sache, die ich aktuell unbedingt machen will, ist ein Erotikfilm. Ich habe mich schon immer für sexuelle Themen interessiert, aber in Beijing ist es nicht leicht, Leute für solche Sachen zu gewinnen. Vielleicht sollte ich nach Berlin ziehen?
Zum Schluß noch: Wie können unsere Leser dir und deiner Arbeit folgen? Hast Du Empfehlungen für uns?
Klar, ihr könnt euch zum Beispiel mal hier umschauen:
- Queer Comrades: ein chinesischer Videokanal, mit dem ich häufig kooperiere:
http://www.queercomrades.com - Mein Facebook: facebook.com/popofan1985
- Beijing Queer Film Festival: http://www.bjqff.com
- Beijing LGBT Center: http://www.bjlgbtcenter.org
Vielen Dank für deine Zeit, Popo! Wir wünschen dir weiterhin alles Gute und werden deiner beeindruckenden Arbeit folgen.
Noch mehr Fan Popo:
- Sinica Podcast: LGBT China mit Fan Popo
- Mama Rainbow (2012)
Das Interview wurde von Arseny Knaifel durchgeführt und von Lewe Paul ins Deutsche übersetzt.