Wenn uns ein Expertenjargon unverständlich erscheint, dann sprechen wir im Deutschen von „Fachchinesisch“ und das nicht ohne Grund: Chinesisch hat den weit verbreiteten Ruf, extrem schwer zu sein. Der Respekt, der einem Chinesisch-Lerner von außen begegnet, gleicht oft der Reaktion auf eine Besteigung des Mt. Everest. Völlig übertrieben, meint sinonerds-Autorin Jana, und erläutert warum Chinesisch einfacher ist als viele denken.
Die Hürden einer tonalen Sprache und noch dazu abertausende von Schriftzeichen… nur etwas für Sprachgenies, denken sich viele. Auch in China selbst scheint die Masse der Menschen von der überirdischen Komplexität ihrer Sprache überzeugt: 2013 krönte die englische Online-Edition der Renmin Ribao 人民日报 Chinesisch zur Nummer 1 der „Top 10 hardest languages to learn“. Und jeder westliche Chinesischlernende, der schon einmal in China war, weiß, dass man auch für die einfachsten und fehlerhaftesten Chinesischkenntnisse schon mit großen Bewunderungsbekundungen seitens der Muttersprachler überhäuft wird. Aber ist das gerechtfertigt? Ist Chinesisch wirklich die am schwersten zu lernende Sprache der Welt?
Blödsinn.
Denn wer sollte das überhaupt feststellen? Nicht einmal jemand, der alle ca. 6500 Sprachen der Welt gelernt hat, könnte das bestimmen. Nicht nur, weil wir uns mit jeder Sprache, die wir lernen, bereits einen Vorteil für die nächste Sprache verschaffen. Es kommen auch noch dutzende Faktoren wie die Nähe und Distanz verschiedener Sprachen, die Zugehörigkeit zu Sprachfamilien und die Bedeutung von Schriftsystemen hinzu, welche die Bestimmung einer universellen Schwierigkeit schlichtweg unmöglich machen.
So gehört Chinesisch aus der Sicht eines japanischen Muttersprachlers sicherlich NICHT zu den schwierigsten Sprachen der Welt – dafür gibt es einfach zu viele Ähnlichkeiten in der Schrift und in kulturell transportierten Konzepten und Anschauungen. Russisch gilt international als sehr schwierig zu erlernen und trotzdem empfinden es viele Tschechen und Ukrainer, in Relation zu anderen Sprachen, als einfach. Ähnlich die Situation bei den Hebräisch-sprechenden Israelis, die Arabisch lernen.
Wir deutschen Muttersprachler, die eine dem Deutschen so entfernte Sprache wie Chinesisch lernen, haben in dieser Hinsicht sicherlich kein Glück – und ja, dass Chinesisch für uns schwieriger zu erlernen ist als Englisch, das will ich nicht bestreiten. Aber auch aus deutschsprachiger Sicht ist Chinesisch einfacher als sein Ruf. Ich sag’ euch warum.
Wenn betont werden möchte, dass Chinesisch leichter ist als allgemein angenommen, dann wird in der Regel auf dem Punkt Grammatik herumgeritten. Das hat sicherlich seine Rechtfertigung, denn die Grammatik der modernen gesprochenen Sprache ist tatsächlich ziemlich simpel. Präsens: Ich nicht können sprechen Chinesisch. Zukunft: Morgen ich können sprechen Chinesisch. Toll. Einem Grammatikmuffel wie mir geht da das Herz auf. Und die Chinesisch lernenden Star Wars-Fans fragen sich zu Recht, ob Yoda nicht ein verkannter Chinese Native Speaker ist.
Aber ich möchte der Grammatik nicht zu viel Raum geben, denn ich denke, dass ein anderer Punkt noch mehr Gewicht hat: Die Verbreitung. Damit meine ich die aktive Verbreitung der chinesischen Sprache auf globaler Ebene innerhalb der letzten ca. fünfzehn Jahre. Denn eine Sprache wird einfacher, wenn sie einfach und vielseitig vermittelt werden kann, und eine gute Vermittlung lebt von interessanten und gut recherchierten Materialien und Lerntools. Deren Entwicklung hängt wiederum von der weltweiten Nachfrage gegenüber der jeweiligen Sprache ab, sowie den finanziellen Ressourcen der Länder und Institutionen, die an einer Verbreitung dieser Sprache interessiert sind.
Auf Grund von Chinas stark zunehmender Wirtschaftskraft, gepaart mit seiner Größe und politischen Bedeutung, boomt das Geschäft mit der chinesischen Sprache spätestens seit unserem Einstieg ins „Asian Century“. Sowohl on- als auch offline gibt es permanent neue Akteure, die ihre eigene, ganz neuartige, Methode gefunden haben wollen, das vorher ach so schwere (zentrales Verkaufsargument) Chinesisch zu zähmen und in einen sanften Pony-Ritt zu verwandeln.
Daher profitieren wir Chinesischlerner heute von einer schier unendlichen Anzahl von Webseiten, Apps, Podcasts, Youtube-Videos und – ja, die gibt es auch noch – Büchern, deren Auswahl so vielfältig ist, dass unsere eigentliche Herausforderung eigentlich nur noch darin besteht herauszufinden, was man am sinnvollsten mit was kombinieren kann. (Du suchst nach Inspiration? Unsere sinonerds-Empfehlungen zu Online-Ressourcen findest du hier.) Wer schon mal einmal eine einzige der vielen tausenden Sprachen gelernt hat, für die es nicht einmal ausreichend gut recherchierte Wörterbücher gibt, der weiß diesen Luxus zu schätzen und merkt, wie sehr das Chinesischlernen durch all diese Angebote vereinfacht wird.
Eine relativ simple Grammatik und zahlreiche sowie vielseitige Lernressourcen – reicht das, um (aus Sicht des deutschen Muttersprachlers) nicht mehr zu den wirklich schweren Sprachen zu gehören? Keine Ahnung. Aber mal ehrlich: Wollen wir das wirklich wissen? Natürlich kann man die Eigenheiten verschiedener Sprachen gegeneinander aufwiegen und daraus Schlussfolgerungen ziehen, welche Sprachen besonders schwierig sind. Letzten Endes ist „Schwierigkeit“ aber auch immer ein Gefühl, dass viel vom Grad der eigenen Motivation, von unseren persönlichen Stärken und Interessen, unserem Umfeld sowie von unserer akuten Gemütslage geprägt wird. Wenn wir uns für neue Schriftzeichen begeistern, es lieben, sie auf Papier zu bringen und zum Leben zu erwecken, uns womöglich noch Geschichten zu ihnen ausdenken oder uns für ihre historische Herkunft interessieren, dann wird das Lernen zu einer spannenden Reise, die mehr Spaß macht, als unerträglich schwierig erscheint.
Sich immer wieder vor Augen zu führen wie schwierig das ist, was man gerade tut, demotiviert und hemmt. Aber gerade bei einer Sprache sind alle Ängste, etwas falsch zu machen, fehl am Platz. Wer wirklich Chinesisch lernen will, sollte sich lieber etwas anderes bewusst machen: Dass es inzwischen viele Leute, auch deutsche Muttersprachler, gibt, die erst im Erwachsenenalter angefangen haben Chinesisch zu lernen und heute sehr gut Chinesisch sprechen. Die meisten dieser Leute sind keine Sprachgenies, sondern Menschen, die Ausdauer gezeigt und den intensiven Kontakt mit chinesischen Muttersprachlern nicht gescheut haben. Und überhaupt: Am Ende ist doch jede Sprache „schwer“, denn das Sprachenlernen erfordert immer viel Zeit und auch Französisch lernt sich nicht über Nacht. Zu lieben was man tut, darauf kommt es am Ende wirklich an.
Bilder: © Jasmin Oertel