Schon einmal über ein Studium mit China-Fokus in England nachgedacht? sinonerds-Autorin Carolynn Look fasst zusammen, was derartige Studiengänge in England auszeichnet und beleuchtet die Unterschiede zu Deutschland.
Eine dunkle historische Entwicklung, ein etwas zynischer Humor und eine außergewöhnliche Liebe zum Tee – all das könnten China und Großbritannien gemeinsam haben. Schon seit mehr als einem Jahrhundert haben chinesische Einwanderer in Großbritannien ein Netzwerk kultureller Merkmale aufgebaut, von den berühmten China Towns in London, Manchester und Liverpool (welches die älteste chinesische Gemeinschaft in Europa ist!), zu den vielen interkulturellen Veranstaltungen, die das ganze Jahr über stattfinden.
Seit Chinas wirtschaftlichem Aufschwung beruht das Interesse am jeweils anderen Land auch auf Gegenseitigkeit, denn viele Briten wandern nun auch nach China aus, um dort Geschäfte zu machen, zu studieren, oder um die Kultur kennenzulernen. Um diesem wachsenden Interesse an China entgegenzukommen, bieten Schulen und Hochschulen in Großbritannien immer mehr Möglichkeiten, sich mit dem Land vertraut zu machen.
Chinesischunterricht an britischen Schulen
Im Jahre 2003 gab es ungefähr 70 Sekundarschulen, die Chinesisch als Fremdsprache anboten. Bis 2008 hatte sich diese Zahl auf 500 vervielfacht. Seit 2013 gibt es sogar Initiativen, Chinesisch in den Lehrplan einiger Grundschulen einzubauen. Dennoch könnte man fast meinen, dass Chinesisch auf der Grund- und Sekundarschulebene fast nicht existiert; denn im Vergleich zu Deutsch und Französisch sind Schüler, die Chinesisch lernen, noch immer stark in der Minderheit.
An britischen Hochschulen ist die Situation jedoch sehr anders. Dort sammeln sich Menschen aus aller Welt, um mehr über das Reich der Mitte zu lernen. Dies liegt nicht nur daran, dass Universitäten in Großbritannien oft international anerkannt sind und einen gleichzeitig auf den Umgang mit der Businesssprache Englisch vorbereiten. In der Tat halten sich viele der angesehensten Sinologie-Experten an Institutionen wie Cambridge oder Oxford auf.
Chinastudium in Großbritannien: Vor- und Nachteile
Mit dem neuen Semester vor der Tür befinden sich viele junge Menschen vor einer Gabelung, an der sie sich entscheiden müssen, welcher Weg zu ihrem späteren Traumberuf führen wird. Vor allem Menschen wie wir, die sich für Sinologie interessieren, haben eine breite Auswahl an Möglichkeiten.
Ein Grund für meine Entscheidung, in Großbritannien zu studieren, war mein bilingualer Familienhintergrund. Als akademische Sprache fällt mir Englisch leichter als Deutsch. Mit der Zeit wurde mir aber bewusst, dass es in beiden Systemen Vor- und Nachteile gibt, und dass es für einige sogar mehr Sinn macht, direkt in China zu studieren.
Für ein Sinologiestudium in England spricht, dass es – vor allem in London – einen intensiveren kulturellen Austausch mit China gibt, als in Deutschland. Da mehr Chinesen nach London kommen, um dort zu studieren, aber generell auch viele andere internationale Studenten präsent sind, hat die Stadt immer etwas Aufregendes zu bieten. Ob dies in Form eines Chinese Film Festivals ist oder durch das Feiern des chinesischen Neujahrs auf dem Trafalgar Square, für sinonerds gibt es immer Möglichkeiten auch aus der Ferne ihr Lieblingsland zu entdecken. Das heißt nicht, dass es in Deutschland diese Veranstaltungen nicht gibt. Vor allem in den letzten Jahren hat sich die chinesische Kunstszene auch nach Deutschland bewegt, aber die kulturelle Beziehung scheint in England etwas stärker entwickelt zu sein, da sie schon länger vorhanden ist.
Für mich persönlich spielt außerdem die große Auswahl an anderen kombinierbaren Studienfächern eine große Rolle. In Großbritannien werden Chinesisch oder Sinologie zwar als einzelne Bachelorgänge angeboten, werden aber üblicherweise in Kombination mit z.B. VWL oder Politikwissenschaften studiert. An der University of Leeds gibt es viele Kombinationsmöglichkeiten; dort kann man sein Doppelstudiengang in Sinologie mit Philosophie, Portugiesisch oder sogar Russisch absolvieren. An der School of Oriental and African Studies (SOAS), wo ich studiere, kombinieren viele meiner Kommilitonen ihr Interesse an China mit Musik, Religionswissenschaften oder Tibetisch. Ich selber studiere nebenbei Entwicklungsstudien, was für mich eine gute Abwechslung zum ständigen Zeichenlernen ist.
Was für Deutschland spricht
Oft werde ich gefragt, warum ich für mein Studium nicht in Deutschland geblieben bin. Mittlerweile weiß ich die Antwort nicht mehr genau, denn obwohl die Situation in Großbritannien sehr aufregend ist, hat Deutschland auch seine Vorteile. Der größte davon sind natürlich die geringeren (fast nicht existenten) Studiengebühren. Der Start in das Berufsleben ist natürlich viel einfacher, wenn man nach dem Abschluss nicht £36,000 in Darlehen zurückzahlen muss. Außerdem bietet Deutschland (für Deutsche) viel mehr finanzielle Möglichkeiten, hier und da Unterstützung vom Staat oder von anderen Organisationen zu bekommen. In Großbritannien gibt es zwar Äquivalente, aber diese stehen meistens nur britischen Staatsbürgern zu.
Trotz der engen Beziehung, die im Moment zwischen England und China besteht, scheint sich die Beziehung zwischen Deutschland und China rasanter zu entwickeln. Dies sieht man allein schon an der wachsenden Anzahl von kulturellen Veranstaltungen. Beide Länder legen immer mehr Wert auf ihre Zusammenarbeit, und es wird in den nächsten Jahren wahrscheinlich zunehmend Möglichkeiten geben, in Deutschland mit einem China-Fokus zu arbeiten.
Welche Unis sind für Sinologie bekannt?
Wer sich doch für ein Studium in Großbritannien entscheidet, hat viele Möglichkeiten. Cambridge steht für sein Programm Ostasien und Naher Osten am höchsten im Kurs, danach Oxford. SOAS ist eine der weltweit anerkanntesten Institutionen, wenn man nach einem Studium sucht, das sich ausschließlich mit China beschäftigt. Ebenso Manchester und Leeds sind für ihre Chinesischprogramme sehr bekannt – und auch in Deutschland gibt es viele interessante Chinastudien-Programme, die hier aufgelistet sind.
Wer anstatt Mandarin lieber andere Sprachen Chinas lernen möchte, hat auch einige Optionen. SOAS bietet als Bachelorstudiengang oder als Nebenfach Kantonesisch, Hokkien und Tibetisch an. Wer Uighurisch lernen möchte, kann dies aber am besten in Deutschland an der Humboldt Universität tun, oder auch an der University of Kansas in den USA.
In Endeffekt kommt es darauf an, was man während seines Studiums als Priorität sieht. Da es mein Ziel war, Chinesisch fließend zu sprechen, denke ich manchmal, ich hätte lieber direkt in China studieren sollen. Wer aber gerne gleichzeitig andere Fächer studieren möchte, hat wahrscheinlich in Deutschland oder Großbritannien mehr Auswahl. Am Ende zählt vor allem eins: hǎo hǎo xué xí!