Erinnert ihr euch noch an Sebastian und Weiwei? Arseny beschrieb in seinem Spotlight-Beitrag Yellow Fever: Raus aus der Schublade ihre Geschichte. Sebastian: Weiß*, Wirtschaftssinologiestudent, hatte schon einige asiatischstämmige Freundinnen. Weiwei: kommt aus Beijing, studiert deutsche Literatur. Über die beiden wird getuschelt und sie werden stereotypisiert: Sebastian als der Typ mit dem Asienfetisch, Weiwei als unterwürfige, exotische Sexmieze. Oder so ähnlich.
In seinem Artikel kam Arseny zu diesem Schluss: das Schubladendenken über diese asiatisch-westliche Paarkonstellation nervt und pauschalisiert – und Liebe kennt keine Grenzen.
Ich finde: Zunächst stimmt das. Zum einen, weil ich meine jugendlich-naive Vorstellung der grenzenlosen Liebe auch mit Mitte 20 noch nicht aufgeben will. Und außerdem haben natürlich nicht alle weißen Typen, die Asiatinnen daten, eine racial preference oder einen Fetisch (oder andersherum). Natürlich belastet eine solche Wahrnehmung und Stigmatisierung von außen die Beziehung zwischen zwei Menschen. Natürlich kann es sein, dass Sebastian und Weiwei zusammen sind, weil sie die gleichen Hobbies teilen und weil es einfach gefunkt hat. Liebe ist eben oft nicht rational zu erklären und am wenigsten steht es wohl Außenstehenden zu, Sebastian und Weiweis Beziehung zu deuten. Wollen sie aber. Nur, wieso eigentlich?
In aller Regel sind romantische Beziehungen nicht ausschließlich privat. Wir teilen unser Liebesleben zu einem gewissen Grad mit uns wichtigen, und manchmal auch weniger wichtigen Menschen. Wir werden zusammen gesehen. Es wird über uns geredet und wir reden über andere. Vielleicht fallen wir auf, vielleicht passen wir nicht ins Bild. Wir alle sind irgendwie Teil eines größeren Ganzen mit konstruierten Identitäten, die auch unsere Sexualität betreffen. Attraktivität wird an gesellschaftlichen Normen gemessen, obwohl sie etwas individuelles und persönliches sein sollte.
Alle sehen Farben, immer und überall
Neben fragwürdigen Idealen des Körperbaus, Gewichts, der Behaarung oder Bekleidung, berührt das auch die Farbe unserer Haut. Körper sind offenbar nicht einfach nur Körper. Anders als in der Liebe sind wir bei Äußerlichkeiten nicht farbenblind. Und damit einhergehend sind wir Tag für Tag Sender und Empfänger von Stereotypen, die eine ethnische Herkunft und unser Aussehen an Sexualitäten koppeln. In der Wahrnehmung mancher ist Weiwei die unterwürfige, devote, mädchenhafte Geisha; eher die exotische Mätresse des Weißen Mannes, als die starke, auch sexuell selbstbestimmte Frau. Und – gerade als Freundin von Sebastian – ist Weiwei dann im Grunde nicht mehr, als jemandes Fetisch.
An dieser Stelle könnten wir auf die historische Konstruktion der breiten Skala rassistischer Sexualisierungen eingehen, das würde aber ausufern. Das Internet ist derzeit voll von Beiträgen, die sich mit Themen wie der Exotisierung von asiatischen Frauen oder der Geschichte asiatischer sexueller Stereotype beschäftigen.
Nicht nur in alltäglicher Print- und Fernsehwerbung, sondern auch in Literatur, Kino und Theater sind Bilder von Asiatinnen hierzulande meist entweder Bilder von Nerds, oder Bilder der Unterwürfigkeit, Exotisierung und Hypersexualität. Vom Klassiker Madame Chrysanthème und der vom Buch inspirierten Oper Madame Butterfly über Kinoerfolge wie Full Metal Jacket: Die asiatische Frau gibt dem Weißen Mann Sex. Dabei ist es meist irrelevant, dass Asien ein riesiger, heterogener Kontinent ist, ob sich Weiwei selbst überhaupt als “asiatisch” verstehen will – von ihrem sexuellen Selbstverständnis mal ganz zu schweigen. Das ist vielleicht Sebastian nicht egal, aber Weiwei hat womöglich schon dutzende schlechte Flirtversuche abgeschmettert, die etwa klangen wie “Wow, ich steh einfach total auf Asiatinnen” oder “Konichiwa, ni hao!”. Und das sind noch die harmloseren Sprüche.
Sexuelle Präferenz ist nichts, womit wir geboren werden. Sie hat mit unserer Persönlichkeitsentwicklung zu tun und wird uns in vielerlei Hinsicht anerzogen. Die medialen Bilder, die um uns herum gezeichnet werden, beeinflussen unsere Sicht auf die Welt und unser Verständnis davon, wie sie funktioniert. Es gibt so etwas, wie die politics of sexual attraction, es gibt sexuellen Rassismus und es gibt Regeln der Partner_innenwahl, innerhalb derer wir uns auch auf der Suche nach der großen oder kleineren Liebe bewegen. Die Frage ist nur: Wer macht diese Regeln?
Arseny stellt in seinem Beitrag die Frage, ob das asiatische Äußere oder die Herkunft der Frau im Falle von Sebastian und Weiwei überhaupt eine primäre Rolle spielen. Ich finde: leider ja. Selbst wenn nicht für die beiden, dann eben doch für das größere Ganze. Die Liebe, oder zumindest deren Wahrnehmung, kennt also Grenzen, ob sie will, oder nicht.
Von Schneewittchen zu Mulan: Stereotype in Aktion
Für mich bleibt daher am Ende die Frage: Wie schaffen wir es, Weiwei nicht mehr als die kleine, zurückhaltende asiatische Freundin von Sebastian zu sehen, und Sebastian nicht mehr als den Weißen Nerd mit Asienfetisch? Vielleicht indem wir darüber reden, warum wir diese nicht-Weiß-Weißen Partnerschaften mit Stereotypen besetzen. Warum es eigentlich kein “White Fever” gibt, warum das Daten von Weißen Menschen die gesunde Norm ist, und nicht der sonderbare Fetisch. Das alles fängt zu allererst bei uns selbst an, auch wenn es meistens ganz schön schwer ist, die eigene Position in Frage zu stellen.
Als junges Mädchen habe ich unbewusst gelernt, dass mein zukünftiger Lebenspartner bestimmten optischen Normen entsprechen soll: Ken war groß, muskulös und Weiß, er hatte gepflegte Haare und ein teures Cabrio. In Hollywoodfilmen waren die guten Männer immer ein bisschen wie Ken, zumindest optisch. Über mich habe ich gelernt, dass ich beim Fasching im Kindergarten gerade so als Schneewittchen durchgehe, besser aber als die chinesische Prinzessin im Qipao oder gleich als Mulan. Ich bin nicht Hermine Granger, sondern Cho Chang, nicht die Haupt-, sondern die Nebenrolle.
Es geht gar nicht mehr darum, die konkrete Beziehung unseres Beispielpärchens zu analysieren. Was Weiwei und Sebastian zusammengeführt hat, können die beiden einander erklären und dann, wenn sie wollen, vielleicht auch uns. Darüber reden wäre für mich vielmehr die Anerkennung der Tatsache, dass sexuelle Präferenzen und Datingvorlieben nicht im luftleeren Raum existieren. Das beinhaltet auch die Sichtbarmachung hegemonialer Geschichtsschreibung, von white privilege und white supremacy in Hinblick auf Attraktivitätsnormen. Helfen könnten da differenziertere Bilder von Asiat_innen in dem größeren Ganzen, das uns umgibt. Weniger dragon ladies und tiger moms, dafür mehr Repräsentation von dem, was wir ganz abgesehen von “irgendwie asiatisch” eigentlich sind.
*Weiß wird in diesem Artikel durchgängig großgeschrieben. Damit verfolgt die Autorin die Absicht, den Begriff als Konzept zu kennzeichnen und ihn nicht als rassistische Beschreibung, die ein körperliches Merkmal hervorhebt, zu verwenden.
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