Während die meisten von uns an ihrem Lehrbuch-Mandarin tüfteln, macht unsere Ni-ke-nadie-Kolumnistin Charlotte in Yunnan ganz besondere Erfahrungen mit der Vielfalt chinesischer Sprachen.
Als Mandarinsprecherin im Südwesten Chinas
Die Shouzhuabing-Verkäuferin und ich sehen einander an. Kein einziger feindlicher Blick erfolgt zwischen uns – doch zu sagen haben wir uns trotzdem nichts.
Es fing ganz harmlos an, mir war nach einem Shouzhuabing, einer Art Pfannkuchen, dessen Duft von einem Straßenstand herüberwehte. Mit Fisch sollte er sein, und so teilte ich es der Dame auf der anderen Seite besagten Standes mit. Und irgendetwas mit meiner Bestellung scheint nun nicht zu stimmen. Aber was? Die Krux ist, dass wir verschiedene Sprachen sprechen, ich Mandarin („Hochchinesisch“), sie Yunnanhua, einen der vielen Dialekte Chinas. Sie versteht mich, aber ich habe keinen blassen Schimmer, was sie mir mit viel Gestik und unter wachsender Beobachtung der übrigen Kundschaft mitzuteilen versucht.
Yunnanhua heißt der Dialekt der Provinz Yunnan im Südwesten Chinas, der mit dem in meinem Studium gelernten Mandarin zwar verwandt, aber bei Weitem nicht identisch ist. In Kunming sind die meisten Menschen bilingual: Sie sprechen in der Schule und am Arbeitsplatz Mandarin und zu Hause Yunnanhua. Der Trend geht zwar in Richtung Mandarin, aber nach wie vor finden sich eingefleischte Dialektsprecher, die zwar beide Sprachen verstehen, aber nur eine sprechen.
An und für sich hat man hier noch „Glück im Unglück“: Durch die (relativ) nahe Verwandtschaft beider Sprachen können sich Mandarinsprecher in Kunming (im Gegensatz zu Shanghai oder Guangzhou) in begrenztem Maße in die lokale Sprache einhören – Yunnanhua und Mandarin sind sich ähnlich nah wie Holländisch und Deutsch. Aber es dauert seine Zeit. Und bis dahin muss man sich irgendwie anders durchschlagen und zu helfen wissen.
Die Verkäuferin des benachbarten Standes ist herbeigeeilt und bietet ihre Hilfe an, denn sie ist des Mandarins mächtig. Und sie dolmetscht: Es gibt heute keine mit Fisch, aber die mit Huhn seien lecker. Ich danke ihr für den Tipp, entscheide mich aber trotzdem für einen Shouzhuabing mit Ei.
Vor einer Weile stellte eine Freundin aus Anhui, das wiederum mit einem komplett anderen Dialekt ausgestattet ist, zuversichtlich fest: Yunnanhua ist eigentlich ganz einfach, man muss einfach nur Mandarin sprechen und alle Töne falsch setzen. Ganz so simpel ist es nicht, aber ein wesentliches Merkmal hat sie erfasst: Die Töne der einzelnen Wörter sind oft anders als im Mandarin (siehe Mini-Sprachführer unten).
Doch damit nicht genug. Es gibt auch ganze Lautverschiebungen. Statt eines Hs spricht der Einwohner Kunmings ein F, der berühmte See Kunmings, der Cuihu, wird hier also liebevoll Cuifu genannt. Statt „ei“ sagen sie „ai“, an die Stelle eines Ns tritt ein L, ein E wird eine Art „Ääääh“-Laut usw. Und so färbt sich im Herbst der Gingko „fuangse“ (statt „huangse“, gelb), Norden und Süden nennen sich „Bai“ und „Lan“(und nicht „Bei“ und „Nan“), und mein Heimatland ist nicht Deguo, sondern Dääääääguo. Es sind Kleinigkeiten, aber sie sind listig. Und sie treten nicht immer auf. Man muss also auf alles gefasst sein.
Mit dem Shouzhuabing scheint alles zu klappen. Puh! Doch halt – holt die Verkäuferin da etwa gerade Huhn hervor? Es hilft alles nichts: Ich hake nach und erkläre, dass ich Ei möchte, in der Hoffnung, mit keiner weiteren Nachfrage konfrontiert zu werden. Aber irgendetwas scheint mir die Dame, weiterhin bei bester Laune, mitteilen zu wollen. Ich konzentriere mich, werde aber aus ihren Sätzen nicht schlau. Die ungeteilte Aufmerksamkeit der übrigen Kundschaft ist mir wieder gewiss. Schließlich erscheint meine Rettung in Gestalt eines anderen, Mandarin sprechenden Straßenstand-Verkäufers, der sicherstellt, dass ich meinen Pfannkuchen mit Ei bekomme. Wobei ich mittlerweile eigentlich alles essen würde.
Wer bezüglich der Laute des Yunnan-Dialekts den Bogen raus hat, muss sich mit der Grammatik auseinandersetzen, denn auch diese ist anders als im Mandarin. Beispielsweise werden Ja/Nein-Fragen mit der Partikel „ge 铬“ gebildet, die zwischen Subjekt und Verb tritt: Sagt man auf Mandarin für „Kommst du?“ „Ni lai ma? 你来吗?“, so heißt es auf Yunnanhua „Ni ge lai? 你铬来?“. Und dies ist nur ein Aspekt von vielen.
Kurzum: Es ist nicht ganz leicht, aber ganz schwer kann es auch nicht sein. Etwas frustrierend ist die ganze Sache allerdings schon: Egal, wie lange und wie gründlich ich Mandarin gelernt habe – sobald ich einen Yunnanhua-Sprecher treffe, muss ich wohl oder übel die Waffen strecken. Zumindest bis zu dem Tag, an dem ich mir diese Sprache, ob nun knifflig oder nicht, angeeignet habe. Lohnen wird es sich schon: Nicht nur werden die Preise niedriger, auch erschließt sich einem die unmittelbare Umgebung viel mehr.
Aber nun esse ich erstmal meinen Shouzhuabing.
Mini-Sprachführer Yunnanhua
Ni ke nadie: wohin gehst Du?
Dieser Gruß könnte nicht besser zu Yunnan passen, denn die bunte Provinz im Südwesten Chinas bietet eine Fülle von Antworten. Zwischen Regenwald im Süden und Steppe im Norden führen ihre Wege zu den verschiedensten Gesichtern, Gerichten und Geschichten.
Seit nunmehr drei Jahren bin ich auf diesen Pfaden unterwegs und meine Begeisterung für Yunnan wächst und wächst. Meine Erkundungen und Erlebnisse teile ich mit euch in meiner Kolumne Ni ke nadie? Pfade durch Yunnan.
*Titelbild credit: Flickr photo by jpaulhart http://flickr.com/photos/61652362@N00/15978730032 shared under a Creative Commons (BY-NC-SA) license.