Vor dem Museum: Überlebensgroß hängt ein Bild des großen Vorsitzenden über dem Eingang des Übersee Museums. In der rechten Hand ein Pinsel, mit der Linken winkt er den Menschen auf dem Bahnhofsvorplatz zu. Zwei kleine Steinlöwen bewachen den Eingang. Das Licht ist gedämpft. Die Wände und der Boden sind gestrichen im Blau der Qing-Dynastie. Die Sonderausstellung „China unter Mao“ im Übersee Museum Bremen sorgt von Anfang an für eine angemessene Atmosphäre.
„China unter Mao“ beginnt mit dem Ende der mandschurischen Qing-Dynastie und verschafft dem Betrachter einen fundierten Überblick über die chinesische Geschichte des späten 19. und 20. Jahrhunderts. Dr. Renate Noda, Leiterin der Asien-Abteilung und meine Chefin während meines dreieinhalbmonatigen Praktikums, erweiterte die Mao-Ausstellung des Weltmuseums Wien von 2011 um einen großen Abschnitt über die späte Kaiserzeit, die Kolonialherrschaft und den Wandel, den China von 1911 bis 1949 durchlebte. Wie der Titel schon ankündigt, bildet das Kernelement jedoch ein umfassender Abschnitt über den Werdegang und die Herrschaft Maos.
Ohne zu übertreiben, glaube ich, dass die Herzen aller Sinonerds bei den seltenen Exponaten höher schlagen werden, die dort zu sehen sind.
Zu meinen ganz persönlichen Lieblingsstücken zählen neben den goldgelben Dachornamenten aus der Verbotenen Stadt (deren Vitrine ich entwerfen durfte) die reichverzierten, seidenen Gewänder der chinesischen Oberschicht und Beamtenschaft.
Die schöne, bunte Rikscha auf dem Podest lässt mich immer wieder an einen Bericht von Egon Erwin Kisch denken, der 1932 in Shanghai schrieb: „Fast täglich sieht man, dass Rikschas angefahren werden, und bei jedem Zusammenstoß steigt der Chauffeur vom Auto und verprügelt den Kuli. Überanstrengung […], Gefahr und Misshandlung sind des Rikschakulis Los. Fünfeinhalb Jahre lang. Dann stirbt er.“
Die Lebenswirklichkeit der einfachen Chinesen findet hier ihren Platz gleich neben den Zeugnissen filigranster Handwerkskunst. Rechts von der Rikscha steht eine mit grünem Stoff bezogene Sänfte, die ein schönes Beispiel für die Arbeit der drei Restauratorinnen darstellt. Bereits sechs Monate vor Ausstellungseröffnung begannen die Restauratorinnen mit den Ausstellungsvorbereitungen für die zum Teil hoch empfindlichen Objekte. Die genannte Sänfte verfügt über ein umlaufendes Netz als Sicht- und Insektenschutz. Wer sich eine kleine Vorstellung von der Fummelarbeit machen möchte, die diese Abteilung jeden Tag leistet, der suche in diesem Netz nach den ausgebesserten Löchern.
Vorbei an den Opium-Kriegen, dem Boxeraufstand und der Revolution von 1911 geht es weiter durch einen kleinen Tunnel und auf einmal ist alles rot. Kein Zweifel, man ist in der Mao-Ära angekommen: Boden rot, Wände rot, Vitrinen rot, Exponate rot.
Hier ausgestellt ist vor allem die Sammlung Opletal, einem Fundus von mehreren Tausend Objekten aus der Zeit der Kulturrevolution. Schnell bekommen die Besucher einen Eindruck davon, wie omnipräsent die Propaganda der KPCh in jener Zeit im Alltagsleben der Menschen war: Mao-Buttons in allen Formen und Größen, Tassen mit Figuren aus revolutionären Opern, Büsten des „großen Steuermanns“, und selbst auf dem Griff eines Rasierers prangt noch in roten Schriftzeichen der Leitspruch „Dem Volke dienen“ (为人民服务 wèi rénmín fúwù).
So bunt, glänzend und teilweise schrecklich kitschig sind die Objekte der maoistischen Propaganda, dass man für einen kurzen Moment vergisst, dass die fortschrittlichen Fabriken, die glücklichen, wohlgenährten Kinder und die stets lächelnden Arbeiter nie die gesamtchinesische Realität darstellten. Die Ausstellung schafft den Balanceakt sich ausführlich der maoistischen Ideologie zu widmen, ohne die Opfer der Repressionen der Roten Garden und die Hungertoten des katastrophalen „Großen Sprungs nach vorne“ zu vernachlässigen. Die gebetsmühlenartig wiederholten Sprüche bekommen spätestens dann einen bitteren Beigeschmack, wenn man sie auf einem Vorhängeschloss wiederfindet, das in einem Arbeitslager gefertigt wurde.
Obwohl ich viele der Objekte kannte, teils aus der Sammlung, teils von den Listen und aus der Ausstellungsplanung, war es doch etwas ganz Besonderes, sie in der neuen Ausstellung zu sehen. Die teilweise beklemmende Faszination, die manche Ausstellungsstücke auf den Besucher ausüben, wirkt auf Mitarbeiter und Besucher, auf Sinonerds und Neulinge gleichermaßen.
Die Ausstellung hat noch weitere Teilbereiche, die ich euch hier aber nicht alle vorweg nehmen möchte. Noch bis zum 5. April 2015 könnt ihr euch die Ausstellung angucken. Nutzt die Möglichkeit, es lohnt sich!