Sonnenblumen-Bewegung: Taiwans Jugend protestiert (Teil 2)

Von 18. März bis zum 10. April fand in Taiwans Hauptstadt Taipeh die sogenannte Sonnenblumen-Bewegung statt. Sie wurde von Studenten und Bürgerinitiativen initiiert und richtete sich gegen ein wirtschaftliches Rahmenabkommen unter dem 2009 unterzeichneten ECFA Handelsabkommen mit der Volksrepublik China.  Die 24-tägige Besetzung des Parlaments führte letztlich dazu, dass der Abkommensentwurf jetzt Artikel für Artikel einer Revision unterzogen werden muss. Ein Teilsieg zumindest für die Bewegung. Oder ein Anfang, wie die taiwanische Studentin Nai-fei Wu, eine der Organisatorinnen des Solidaritätsprotests vom 30. März am Berliner Alexanderplatz, sagt.

Im ersten Teil des Interviews hat sinonerds mit ihr über die Gründe und ihre Rolle in der Bewegung in Deutschland gesprochen. Im zweiten Teil des Interviews stehen die Unterschiede zwischen Taiwan und der Volksrepublik China, Hintergründe der Proteste in Taiwan sowie ein Ausblick auf die Zukunft der Bewegung im Fokus:

sinonerds: Welche Unterschiede meinst Du?

Nai-fei Wu: In einer Demokratie oder einer Diktatur aufzuwachsen…

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Foto: HenryWang@Taiwan (CC BY-NC-ND 2.0)

Du würdest China als Diktatur bezeichnen?

Ja (lacht). China ist eine Diktatur.

Die Demokratisierung in Taiwan begann schon in den 1970er Jahren aber vor allem durch die ersten Wahlen eines Präsidenten in 1995 begann die Bevölkerung von Taiwan eine common identity zu bilden. Diese Wahlen haben wirklich einen Unterschied gemacht. Vor 1995 war die Bevölkerung zu diesem Thema noch geteilter Meinung, aber die Demokratisierung, diese erste Präsidentschaftswahl in Taiwan, hat sehr viel verändert. Meiner Meinung nach ist Taiwans Demokratie nicht nur ein politisches System, sondern gibt eben auch eine common identity, ein ganz besonderes  Gemeinschaftsgefühl. Wir haben freie Meinungsäußerung, Pressefreiheit, und wir können für unsere Rechte kämpfen.

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gestürmtes Parlament,
Foto: cypherone (CC BY-NC-SA 2.0)

Waren auch Chinesen an Eurem Protest beteiligt?

Nein, natürlich nicht. Chinesische Studenten hier in Deutschland werden von der Botschaft überwacht. Sie müssen auch regelmäßig Berichte abgeben. Vielleicht wäre es nicht gefährlich, aber schon unklug für chinesische Studenten an einem pro-Taiwan Protest teilzunehmen.

Allerdings haben wir nach dem Protest eine Lern- und Diskussionsgruppe zu denselben Themen gegründet, an der auch ein paar Chinesen teilnehmen. Wir haben sehr offene und konstruktive Diskussionen über kulturelle Identität und die Zukunft Taiwans. Natürlich sind die chinesischen Austauschschüler hier sicherlich auch viel offener und liberaler als der Durchschnitt Chinas.

Gibt es grundlegende Unterschiede zwischen Taiwanern und Chinesen?

Ich denke, Taiwaner sind westlicher und internationaler. Wir hatten einfach in unserer Geschichte seit dem 16. Jahrhundert unglaublich viele internationale Einflüsse. 
Chinesen sind in meinen Augen viel traditionsverbundener. Konfuzianismus und traditionelle Ansichten sind dort noch viel präsenter in der heutigen Gesellschaft als in Taiwan. Verschiedene politische Systeme prägen die Mentalität der Gesellschaft. Das ist vor allem auch bei Jugendlichen meiner Generation sehr offensichtlich.

Was hat die Bewegung bewirkt?

In meinen Augen hat die Bewegung viele Menschen drastisch verändert. Vor der Bewegung waren die meisten Jugendlichen politisch uninteressiert, aber durch diese Bewegung wurde sehr vielen klar, dass wir für die Zukunft Taiwans selbst kämpfen müssen; die Regierung  vertritt nicht immer unsere Interessen.

Zum ersten Mal waren so viele Menschen auf der Straße und diskutierten Politik. Innerhalb, aber auch außerhalb der Regierung, hat sich die Bewegung in einen nationalen Diskurs entwickelt.

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Foto: Bohuei (CC BY-NC-ND 2.0)

Ist der Protest jetzt vorüber?

Auf keinen Fall. Den Studenten wurde zwar nach zwei Wochen klar, dass eine Verfassungsänderung länger dauern würde und sie das Parlament nicht weiterhin besetzen können, aber viele haben andere Wege der Beteiligung gefunden, wie zum Beispiel mit Aktionen wie: denounce the legislatures (Appendectomy Project), kill the bad media (Tumorectomy Project) und das beez movement. Das beez movement zum Beispiel ist eine Flyer-Aktion, um die Bewegung aus dem Internet zu holen und auch für ältere Generation zugänglich zu machen.

Ich muss zugeben, dass wir unser Hauptziel – ein Kontrollsystem auch für zukünftige Handelsabkommen zwischen China und Taiwan – nicht erreicht haben. Aber wir müssen einfach weiter kämpfen.

Zum Schluss würde ich noch gerne wissen, wie der Name Sonnenblumen-Bewegung entstanden ist?

Oje (lacht), eigentlich hasse ich diesen Namen! Es klingt einfach viel zu süß. Ich persönlich hatte eigentlich auf eine Revolution gehofft, aber da bin ich wohl eher radikal (lacht wieder). Ich glaube, der Name ist entstanden, weil jemand Sonnenblumen als Blumen der Hoffnung an das Parlament schickte, und so haben die Medien den Namen aufgegriffen. Für uns Studenten ist es einfach nur eine Bewegung.

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Nai-fei Wu, Foto: Yi-jou Chuang

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sinonerds-Autor*in

Zita Fuxjaeger

Seit ihrem Abitur in Österreich lebte und studierte Zita knapp vier Jahre in Shanghai. Seit letztem Jahr vertieft sie ihr Studium der Sinologie an der Freien Universität Berlin.

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