Vom 3.-6. November 2022 findet in Berlin das erste NewGen Chinese Film Festival statt. Gezeigt wird eine Bandbreite von Filmen junger, chinesischer Regisseur:innen. Wir haben Mitgründerin und Festivalleiterin Zhao Huangdan interviewt, um mehr darüber zu erfahren:
Was bringt dich nach Berlin?
ich komme ursprünglich aus Foshan in China, aber momentan arbeite ich für den Sino-Europäischen Produzentenverband „Bridging the Dragon“ in Berlin. Ich bin erst im August 2021 nach Berlin gezogen. Der Umzug nach Berlin war vor allem eine praktische Überlegung. Ich habe meinen Master-Abschluss an der Universität Konstanz gemacht. Konstanz ist eine sehr schöne, kleine Stadt, aber man findet dort kaum einen richtigen Job, vor allem wenn es um Filme geht. Mir persönlich gefällt Berlin auch sehr gut. Ich war 2015 Austauschstudentin an der Freien Universität Berlin und habe mich hier sehr frei gefühlt. Man kann hier so viel erkunden, wie man möchte.
Was bedeuten Filme für dich? Woher kommt deine Faszination für das Medium?
Diese Frage stelle ich mir oft und bis heute habe ich keine klare Antwort darauf gefunden. Aber zum jetzigen Zeitpunkt halte ich den Film für eine ganz besondere Form der Kommunikation. Einerseits lassen sich damit tiefe, schwer zu kommunizierende Emotionen visualisieren, was es uns ermöglicht, mit den Figuren auf der Leinwand in Austausch zu treten und mit ihnen mitzufühlen. Andererseits sehe ich das Kino selbst als eine räumliche Erfahrung. Ich liebe es, mit einer Gruppe von Menschen an einem Ort zu sein und gemeinsam einen Film zu genießen. Dabei entstehen emotionale Resonanzen und eine starke Verbindung zwischen den Zuschauern, wenn wir alle gleichzeitig bei einem Film weinen oder lachen. Ich glaube, das ist es, was mich am Kino fasziniert. Es bietet die Möglichkeit der wortlosen Kommunikation.
Was hat dich dazu bewegt, ein chinesisches Filmfest zu organisieren? Warum jetzt?
In meinem Arbeitsalltag beschreiben wir europäischen Filmemacher:innen oft die Entwicklung der chinesischen Filmindustrie. Dabei bestürzt es mich, dass die große Mehrheit des europäischen Publikums das chinesische Kino automatisch mit Propagandafilmen gleichsetzt. Tatsache ist jedoch, dass es in China eine Reihe sehr mutiger und kreativer junger Regisseur:innen gibt, die im Mainstream der Weltkultur weitgehend unbekannt sind. Das finden wir unglaublich schade und wir glauben, dass das NewGen Filmfestival dazu beitragen kann, ihre Filme einem größeren Publikum bekannt zu machen. Natürlich stellen die jüngsten geopolitischen Spannungen eine große Herausforderung für viele Aktivitäten im Zusammenhang mit China dar, insbesondere im kulturellen Bereich. Wir glauben jedoch weiterhin an die Kraft des Dialogs und der Kommunikation sowie an die potentielle Wirkung des Kinos zur Förderung der Solidarität zwischen den Menschen. Filme können die Gesellschaft oder den Lauf der Geschichte nicht grundlegend ändern, aber sie können die Wahrnehmung der Menschen unbewusst verändern. Wir hoffen, dass am Ende mehr Menschen offen für andere Stimmen aus China sind.
Warum der Name „NewGen“? Besteht eine Verbindung zu den früheren Generationen chinesischer Filmemacher:innen aus Festland-China?
NewGen steht für New Generation und wie der Name schon sagt, konzentrieren wir uns auf eine neue Generation von jungen Regisseur:innen in China. Wenn es um das chinesische Kino geht, denkt die große Mehrheit des westlichen Publikums immer noch zuerst an die fünfte und sechste Generation von Regisseur:innen [Regisseur:innen, die etwa in den 1980er Jahren Film studierten, u.a. Zhang Yimou (“Rotes Kornfeld”, “Hero”) oder Jia Zhangke (“Still Life”), Anm. d. Red.], die in gewisser Weise die Sicht des westlichen Publikums auf das chinesische Kino geprägt haben. Aber wenn wir uns die Arbeiten der neuen chinesischen Filmemacher:innen ansehen, stellen wir fest, dass sich ihr Stil sehr von dem ihrer Vorgänger:innen unterscheidet. Es ist schwer, die neue Generation junger Regisseur:innen in einem Wort zusammenzufassen, denn sie experimentieren mit verschiedenen Themen und erkunden unterschiedliche künstlerische Stile. Ich denke, das ist es, was NewGen präsentieren möchte: eine Reihe chinesischer Filme, die sich von dem unterscheiden, was die Zuschauer:innen erwarten, eine unentdeckte Welt voller unendlicher Möglichkeiten.
Was möchtest du mit dem Filmfestival erreichen?
Auf der Mikroebene hoffen wir, dass ein breiteres Publikum verschiedene chinesische Filme und Filmemacher:innen sehen und schätzen lernen kann und daraus eine andere Wahrnehmung des chinesischen Kinos entwickelt. Natürlich hoffen wir auch, dass die Zuschauer:innen China aus einer vielfältigeren, soziokulturellen Perspektive erleben. Wenn wir uns das Chinabild in den westlichen Mainstream-Medien genau ansehen, stellen wir fest, dass es sehr eindimensional und reich an Klischees ist. Wir hoffen sehr, dass die Zuschauer:innen durch die Arbeit der jungen chinesischen Filmemacher:innen eine diversere und lebendigere chinesische Gesellschaft zu sehen bekommen.
Was für Filme werden beim NewGen Chinese Film Festival gezeigt? Wie wurden sie ausgewählt? Gibt es eine thematische Ausrichtung?
Auf dem Festival werden 6 Spielfilme und 19 Kurzfilme gezeigt, meist von einer neuen Generation junger Regisseur:innen. Die einzige Ausnahme ist der Eröffnungsfilm „Lan Yu“ des Hongkonger Regisseurs Stanley Kwan aus dem Jahr 2001. Als erstes chinesischsprachiges Filmfestival in Berlin, das sich auf junge Regisseur:innen konzentriert, haben wir lange überlegt, was für einen Beitrag wir für diese Stadt leisten können. In einer so multikulturellen und toleranten Stadt wie Berlin sind zu jeder Zeit die verschiedensten Stimmen zu hören. Als chinesische Gemeinschaft wollen wir auch, dass unsere Stimmen gehört und unsere Kultur und Identität wahrgenommen und respektiert werden. In den Filmen, die wir beim Festival zeigen, schauen wir auf die Menschen unserer Zeit, von denen einige im Betondschungel der Großstadt ums Überleben kämpfen, während andere in Kleinstädten umherziehen. Durch die Kameralinse junger Filmemacher:innen erleben wir die sozialen Muster und Lebensbedingungen von Menschen unabhängig von Ort, Geschlecht, Alter, ethnischer Zugehörigkeit und kulturellem Hintergrund. Jede einzelne ihrer Stimmen verdient es, gehört zu werden.
Vielen Dank für das Interview, Zhao Huangdan. Wir wünschen ein erfolgreiches Festival!
Die Filme des NewGen Chinese Film Festivals werden vom 3.-6. November auf Chinesisch mit englischen Untertiteln im Moviemento in Berlin zu sehen sein. Das volle Programm findet ihr hier: