One ring to rule them all: Die Macht der Handys

In China werden die mobilen Geräte immer wichtiger

Mobiltelefone sind ein zentraler Teil der modernen chinesischen Kultur und für unzählige Geschäftige im Alltag unabdingbar. Ein genauerer Blick auf die Verhältnisse führt zu dem Schluss, dass ein Handy in China praktischer und wichtiger ist, als in Deutschland.

Der Durchschnittsbürger hat mehr Mobiltelefone als Kinder – das ist in Deutschland genau wie in China. Wie so oft finden sich aber in den kleinsten Dingen des Lebens auch die größten Unterschiede. Wie Handys und ihre Verträge in China funktionieren, ist dabei insbesondere für Menschen interessant, die sich gerade nicht dort aufhalten. Das klingt erstmal paradox, aber warum unterscheiden sich eigentlich Bedingungen und Preise von Land zu Land so stark? Einen großen Einfluss haben die bisherigen Entwicklungen und die Erwartungen der Kunden. Um zu wissen, was hier möglich ist, lohnt es sich deshalb auch in die Ferne zu schauen.

Wer sich in letzter Zeit über sein Datenlimit geärgert hat, wird sich zum Beispiel für diese Nachricht interessieren: Nachdem chinesische Nutzer lange protestierten, dass bezahltes Datenvolumen am Ende des Monats einfach verschwand, können ungenutzte Bytes seit letztem Jahr in den nächsten Monat übertragen werden. In Deutschland verbreiteten sich gleichzeitig Verträge mit “Datenautomatik”, bei denen überzogenes Volumen unangenehmerweise automatisch im Block nachgebucht wird. Diese News waren für mich Grund, die “Mobilkultur” der Volksrepublik unter die Lupe zu nehmen.

Die 200.000-Euro-Nummer

Zunächst die Anschaffung: In China gibt es drei (staatliche) Telekommunikationsanbieter. Geordnet nach Marktanteil sind das China Telecom (中国电信), China Unicom (中国联通) und China Mobile (中国移动). SIM-Karten kauft man normalerweise im jeweiligen Laden oder am Straßenkiosk, seit 2013 müssen sie mit einem Ausweis auf den Nutzer registriert werden.

Was ist deine Nummer?

Allerdings lässt man sich keine beliebige Karte geben, denn die Telefonnummer wählt der Nutzer selbst von einer Liste aus. Und das kann ganz schön ins Geld gehen: Die bisher teuerste chinesische Nummer, nämlich 8888 8888, kaufte Sichuan Airlines bereits 2006 für gut 200.000 Euro. Generell gilt die Faustregel “Je mehr Achten, desto teurer, je mehr Vieren desto günstiger” (die Zahl acht klingt ähnlich wie Wohlstand, die Zahl vier so ähnlich wie Tod). Fortgeschrittene achten außerdem, wie wir erklärt haben, auf Zahlencodes für bestimmte Ausdrücke. Meine Lieblingsnummer in China ist ganz in diesem Sinn die Hotline des McDonald’s-Lieferservice 4008-517-517, denn 517 klingt wie “Ich will essen” (我要吃, wǒ yào chī). Und ja, McDonald’s in China liefert auch nach Hause.

Nach dem Kauf der Karte bieten die chinesischen Mobilfunkpreise ein schönes Beispiel für die Größe und den Föderalismus der Volksrepublik. Die Verträge unterscheiden sich nämlich deutlich von Provinz zu Provinz und Verbindungen zwischen verschiedenen Provinzen sind als “Ferngespräche” teurer. Sehr spürbar ist die Grenze zum inländischen Ausland Hongkong und Macao, für das SIM-Karten vom Festland den Auslandstarif veranschlagen.

Die Unterschiede zwischen den Provinzen machen einen direkten Preisvergleich mit Deutschland schwierig, aber ein Beispiel der Kosten für China Mobile in Shanghai schafft einen kleinen Eindruck. Mich hat überrascht, wie teuer Internet im Vergleich zum Telefonieren ist. Ein Vertrag mit 500 MB und 50 Freiminuten kostet etwa 6 Euro, für 12 Euro bekommt man 700 MB und 220 Freiminuten. Über das Limit hinaus kostet jede Minute 3 Cent, hundert Megabyte extra gibt es für je 4 Euro. Fast alle dieser Verträge laufen übrigens über Prepaid-Karten, sodass feste monatliche Kontingente flexibel dazugebucht und bei Bedarf gekündigt werden können.

Wenn der Postmann zweimal durchklingelt

Richtig spannend wird es bei der Benutzung von Handys im chinesischen Alltag. Anders als zumindest zu meiner deutschen Schulzeit, nutzen chinesische Schulen und Lehrer schon seit Jahren SMS und Apps zur Kommunikation mit Schülern und deren Eltern. Ausfallender Unterricht und die Einladung zum Schulfest können auf diese Weise schnell und direkt kommuniziert werden, und gehen nicht im Schulranzen verloren. Allerdings freuen sich die Kinder sicher nicht darüber, dass die morgendliche Verspätung und vergessene Hausaufgaben ebenfalls direkt an ihre Eltern gepetzt werden.

Auch chinesische Universitäten schließen bei der Immatrikulation im Namen jeder*s Studierenden einen Handyvertrag ab. Dadurch haben die Kommilitonen nicht nur fast die gleiche Nummer, Erstsemester aus anderen Provinzen müssen sich auch nicht selbst um eine lokale SIM-Karte kümmern. Kritisch sehe ich dabei, dass sich die Universitäten die Wahl des Anbieters sicher gut entlohnen lassen. Studierende erhalten jedenfalls standardmäßig Informationen auf diesem Kontaktweg und werden bei Fragen über diese Nummer kontaktiert. Im Gegenzug ist es aber auch normal, dass viele Professoren – insbesondere die Jahrgangsbetreuer – den Studenten ihre Handynummer geben.

Früh übt sich

Eine Handynummer ist außerdem unabdingbar für das Einkaufen im Internet. Denn der Postbote ruft möglicherweise an, um die richtige Zeit für eine Lieferung zu erfragen. Natürlich klingelt er manchmal auch nur durch, um zu sagen, dass er vor dem Haus steht und nicht bis in den 18. Stock kraxeln will. Auf einen “Wir haben ihr Paket bei Ihrem Nachbarn abgegeben”-Zettel können sich Chinesen jedenfalls nicht freuen, höchstens auf eine SMS.

Ich erinnere mich auch an einen besonders gewissenhaften Taobao-Verkäufer, der mich zu meinem Entsetzen auf dem Handy anrief, weil die Farbe, die ich bestellt hatte, nicht mehr auf Lager war. Trotz Überraschung war es ziemlich praktisch, so direkt eine Alternative auszumachen.

Geht das auch per SMS?

Endlich Feierabend

Überhaupt scheinen “offizielle” Mitteilungen selten als Brief anzukommen. Automatische SMS von der Bank sind ein beliebter Weg, um in Echtzeit ein Auge auf Kontobewegungen und Kreditkartenzahlungen zu haben. Meine Bankkarte konnte ich am Schalter mitnehmen und die PIN dazu habe ich direkt vor Ort selbst gewählt. Selbst meine Universität zitierte mich lieber über das Handy des Betreuers ins Sekretariat, als zu schreiben, und Vermieter rufen wohl eher an oder kommen vorbei.

Mein Eindruck ist deshalb, dass generell gesprochen in China lieber telefoniert oder gechattet, als per E-Mail oder Post kommuniziert wird. In vielen Fällen scheinen so Fragen und Probleme schneller und effizienter geklärt zu werden, als in meinem papierlastigen Leben. Gleichzeitig bin ich aber froh, in China immer einen Freund in der Nähe zu haben, denn selbst ans Telefon gehe ich als Telefonmuffel und Nicht-Muttersprachler lieber nicht.

In China selbst etwas Ungewöhnliches mit deinem Handy erlebt oder schon einmal einen Brief bekommen? Dann hinterlasse unbedingt einen Kommentar!

Die Bilder im Text wurden unter Creative-Commons-Lizenzen verwendet:

“Addicted” von leniners: Lizenz

“Good Karma” von Mike: Lizenz

“Mobile Phone” von Sheila: Lizenz

“Texting” von Jens Schott Knudsen: Lizenz

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sinonerds-Autor*in

Johannes Haupt

Als Deutschlehrer in Gansu und Austauschstudent in Shanghai und Nanjing ist Johannes viel in China herumgekommen. In seiner Freizeit ist er ein Freund von allem Digitalen und Fan des chinesischen Internets. Johannes findet Chinesisch einfach cool und möchte das Leben in China für Deutsche greifbar machen.

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