Sofort anfangen zu studieren, um bloß keine Zeit nach dem Abitur zu verlieren. Das war mein eigentlicher Plan gewesen. Doch dann wurde ich auf kulturweit aufmerksam, ein Freiwilligendienst des Auswärtigen Amtes in Kooperation mit der UNESCO–Kommission.
kulturweit hat viele Partner: Der DAAD (Deutscher Akademischer Austauschdienst), das Goethe-Institut und die Deutsche Welle sind einige der großen Namen, mit denen die Austauschorganisation zusammenarbeitet. Sie bieten jungen Menschen die Möglichkeit, sechs oder zwölf Monate in einem fremden Land zu verbringen und die dortige Kultur kennen zu lernen, aber auch selbst etwas von der deutschen Kultur zu vermitteln. Mich reizte besonders der Programmfokus auf Kultur. Deshalb bewarb ich mich um einen Platz im asiatischen Raum und wurde tatsächlich für eine Stelle beim DAAD Information Center (IC) Guangzhou ausgewählt.
Nun stamme ich aus einer deutsch–chinesischen Familie und kenne bereits einiges vom Alltag in China. Nach den regelmäßigen Besuchen bei meinen chinesischen Großeltern und zehn Tagen kulturweit–Vorbereitungsseminar über Kulturschocks, interkulturelle Kompetenz, Landeskunde, Einsatzstelle usw. kann mich doch nichts mehr überraschen – dachte ich. Zum ersten Mal brach ich alleine nach China auf und war bei meiner Ankunft in Guangzhou doch schier erschlagen von der Vielfalt dieser Megastadt und ihrer 10 Millionen Einwohner. Die Menschenmassen, der Lärm, die tropische Hitze, die gigantischen Hochhäuser, der erbarmungslose Verkehr – jeder rast, stoppt, parkt, lädt, drängelt, als wäre er allein auf der Straße. Als Fußgänger verlässt man sich besser nicht darauf, dass ein Auto oder Motorrad für einen bremst.
Guangzhou
Guangzhou ist eine Stadt voller Widersprüche. Man kann es mögen oder auch nicht, doch gleichgültig lässt es niemanden: ein Wald aus Wolkenkratzern, der höchste Fernsehturm der Welt, die hypermoderne U-Bahn, die Viertel, die noch ein wenig ursprünglichen Charme bewahrt haben oder die vielen schönen Parks, aber auch die Traditionslosigkeit, die soziale Kälte, das alles dominierende Wirtschaftsleben. Als privilegierte Ausländerin hatte ich es leicht und konnte die kulturellen, kulinarischen und touristischen Sonnenseiten von Guangzhou genießen. Es gibt viele kleinere und größere Museen und Galerien sowie Opern- und Konzerthäuser, in denen regelmäßig Aufführungen stattfinden. Bei der kantonesischen Küche ist wirklich für jeden etwas dabei. Zwar mögen einige Gerichte eher gewöhnungsbedürftig sein, denn bekanntermaßen essen Kantonesen alles, was schwimmt außer U-Booten, alles, was fliegt außer Flugzeugen und alles, was vier Beine hat außer Tischen.
Ich habe gekochte Hühnerfüße, gegrillten Schweinedarm und geschmorte Frösche gegessen. Doch lieber ging ich in Dim-Sum-Restaurants und futterte mich durch die riesige Auswahl an verschiedenen gefüllten Teigtaschen. Ich konnte nur selten behaupten, dass ich die europäische Küche vermisst habe.
Reisen in China
Während meines einjährigen Aufenthaltes blieb es nicht nur bei der Erkundung der Stadt Guangzhou. Ich reiste quer durch China. Hong Kong und Macau liegen in unmittelbarer Nähe von Guangzhou. Mit dem Hochgeschwindigkeitszug fuhr ich 1.000 km nach Wuhan, um kulinarische Leckereien auf der Restaurantmeile zu probieren. Ganz im Westen Chinas in Xinjiang ritt ich auf einem Kamel durch die Wüste.
Arbeit beim DAAD
Beim DAAD IC Guangzhou übernahm ich vor allem Aufgaben in der Planungs-, Organisations- und Öffentlichkeitsarbeit. Ich half bei der Vorbereitung und Durchführung der deutschen Hochschulmesse und bei der Erstellung von Newslettern, hielt Vorträge an chinesischen Universitäten über den Hochschul- und Forschungsstandort Deutschland sowie das Kulturleben und beriet chinesische Studierende, die zum Studium nach Deutschland gehen wollten. Auch wenn auf mich zwischendurch typische Praktikantenaufgaben wie Kopieren, Unterlagen sortieren und Post abholen zukamen, bin ich im Nachhinein froh darüber, beim DAAD IC in Guangzhou tätig gewesen zu sein. Ich habe viel über das deutsche Hochschulwesen und Hochschulen erfahren, Kontakte mit deutschen und chinesischen Hochschulvertretern geknüpft und durfte als Delegierte beim „EU-China Year of Youth“ in Shenzhen teilnehmen.
Persönliches Fazit
Es war die beste Entscheidung, mich bei kulturweit beworben zu haben. Die Chance, zwischen den beiden Lernphasen Abitur und Studium eine Etappenpause einzulegen und ein Freiwilliges Jahr zu absolvieren, ist für mich zu einer Bereicherung geworden. Alles, was ich erlebt habe, meine gesammelten Erfahrungen und die Freundschaften, die ich mit Menschen aus China, aber auch aus Mexiko, Panama oder Schweden schließen konnte, haben nicht nur mein Leben, sondern auch mich als Person verändert.