Sommerzeit in der chinesischen Kleinstadt. Die Verheißungen der Jugend gelten aber nicht für Luo, denn er ist HIV-positiv und lebt als Außenseiter mitten in der Gesellschaft. Der halb-dokumentarische, halb-impressionistische Kurzfilm Bai Niao 白鸟 (Weißer Vogel) behandelt ein Thema, das in der chinesischen Öffentlichkeit kaum Aufmerksamkeit findet.
Die Kunst des Kurzfilmemachens wird zu selten gewürdigt. Kommerziell ist der Kurzfilm an der Kinokasse nur schwer tragbar, aber auch im Fernsehen ist er kaum vertreten. Die Vorteile des Kurzfilms werden gerne übersehen, wie etwa die Möglichkeiten der Grenzüberschreitungen, des Experimentierens, über die herkömmliche Filme nicht verfügen. Gerade deshalb sind Filmfestivals eine wichtige Plattform. Hier sind die Filmemacher gefordert, komplexe Geschichten anhand pointiert gesetzter Mittel zu erzählen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Das trifft auch zu auf Bai Niao, einer 30-minütigen chinesischen Independent-Produktion, die im Rahmen der Berlinale Shorts gezeigt wurde. Der „weiße Vogel“ – die Bedeutung des chinesischen Filmtitels – ist Luo, ein junger Heranwachsender in einer unbestimmten chinesischen Kleinstadt (welche für deutsche Verhältnisse eher eine Großstadt wäre). Während tagsüber die schwüle Hitze jegliches Leben im dicht bebauten Betondschungel erdrückt, schwärmen die Menschen nachts aus ihrer Beengtheit.
Sag’s mit Tabus
Noch erdrückender als die tagtägliche Hitze ist jedoch die Langeweile und Einsamkeit des Protagonisten, die in jedem Moment spürbar ist. Er spricht kaum ein paar Worte im ganzen Film und selbst wenn er sich unter die Nachtschwärmer in die Rollschuhdisko mischt, in der sich Teenager zu blechern wummernder Musik scheue Blicke zuwerfen und junge Männer sich mit aufgegelten Tollen mit hartem Zeug Mut zutrinken, wirkt er sehr einsam. Antriebslos lebt er Tag für Tag vor sich hin.
Das Publikum weiß nur durch die Filmbeschreibung, dass er HIV-positiv ist. Das erklärt seine Isolation von der Außenwelt. Ohne große Worte zeigt Bai Niao, wie HIV in der chinesischen Gesellschaft tabuisiert wird und Betroffene von der Familie nach außen hin abgeschirmt werden, damit die Umwelt möglichst wenig mitbekommt. Luo scheint immerhin noch Glück gehabt zu haben, dass seine Familie sich seiner angenommen hat, statt ihn auszustoßen.
Ein Kurzfilm spricht Bände
Dennoch steht eine unsichtbare Wand zwischen ihm und den Anderen, selbst innerhalb der wenigen Quadratmeter ihrer kleinen Wohnung, die sich sein Vater mit der Großmutter teilt. Symbolhaft für seine Ausgrenzung wohnt Luo getrennt von seiner Familie. Als eine Kusine aus Amerika eines Tages zu Besuch kommt, nähern sich die beiden an. Dennoch bleibt Luo einsam. Denn er ist der Ausgegrenzte, der weiße Vogel, vom bevorstehenden Tod gekennzeichnet, für den die Farbe Weiß in Ostasien symbolisch steht. Obwohl er mitten unter Menschen lebt, ist er doch allein.
Der Film verzichtet auf lange Dialoge und verlässt sich stärker auf seine eindrucksvolle Bildsprache. Im Zusammenspiel von Tag und Nacht und mit Wettererscheinungen stellt er die feinen Zwischentöne der Stimmung und die inneren Konflikte der Menschen dar.
Bai Niao verweist auf leise, sensible Art auf ein Thema, für das in der breiteren chinesischen Öffentlichkeit weiterhin eine offene Diskussion fehlt; folglich hüllen sich die Betroffenen in einen Mantel des Schweigens und werden ausgegrenzt. Der Film ist ein gelungenes Beispiel, wie man komplexe Themen und vielschichtige Stimmungen in kompakter Form transportieren kann. Denn manchmal braucht es nur wenig Worte – und das ist schließlich die hohe Kunst des Kurzfilmemachens.
Die Bilder im Text wurden mit freundlicher Erlaubnis des Produktionsteams von 白鸟 (Weißer Vogel) verwendet.