The Continent 后会无期 – Han Hans Regiedebüt

Kann ein unfassbar erfolgreicher Schriftsteller ein unfassbar erfolgreicher Drehbuchautor werden? Mit „The Continent“ liefert Literat, Blogger und Rennfahrer Han Han 韩寒 (geb. 1982) einen Beweis. Finanziell erfolgreich ist der Spielfilm – dessen DVD seit kurzem auch die westlichen Filmliebhaber sehen können – ohnehin, doch auf ganz andere Weise ist das Werk ein seltenes Juwel.

Han Han spinnt aus seinem ihm eigenen literarischen Stil seine noch recht unbedarft wirkende Identität als Filmregisseur. „The Continent“ wirkt daher ungeschliffen und macht dessenthalben umso neugieriger auf seine nächsten Filme. Am Tag seiner Premiere spülte „The Continent“ auf dem chinesischen Festland letztes Jahr umgerechnet 12 Millionen US-Dollar in die Kinokassen. Nach dem ersten Wochenende lagen die Erlöse bereits bei über 50 Millionen US-Dollar.  Irgendwann wurden die ersten Plagiatsvorwürfe laut, doch dieses Gezeter kennt man aus dem Umfeld des 33-jährigen Shanghaiers, was bislang immer verebbte, wenn dessen Anstrengungen von Erfolg gekrönt waren.

Begründet oder nicht, bleibt also alles beim Alten, wenn es darum geht, möglichst große Wellen durch das intellektuelle Feld branden zu lassen. Der charismatische und dennoch umstrittene Jungintellektuelle eckt an, kritisiert und polarisiert, als hätte er seine Paradedisziplin, das Verfassen gnadenlos bissiger Literatur, nicht verlassen. Doch etwas scheint anders als in seinen  Essays, Romanen, Erzählungen und Blogs, über die ich vor wenigen Wochen auf sinonerds geschrieben habe. Diesen Eindruck hat derjenige, der den ein oder anderen geschriebenen Text des Regisseurs und Literaten gelesen hat, denn Han Hans literarisches Werk besticht durch eine enorme gesellschaftskritische Fallhöhe.

Dass sich Han Han im Filmgeschäft noch nicht so stilsicher und pointiert bewegt wie in der Literatur, merkt man denn auch an „The Continent“. Er sieht sich auf einmal mit dem Problem konfrontiert, innerhalb der zeitlichen Beschränkungen eines Spielfilms seine Aussage treffend darzustellen. Sein Debüt gleicht deswegen dem kalten Sprung in das Schwimmbecken einer fremden Disziplin, welches für einen durchtrainierten Wort- und Satzakrobaten nach kurzer Eingewöhnung und Auftauchen schnell zu klein werden kann.

Eine melancholische Tragikkomödie mit einem Auto auf einer Straße ist nicht zwingend ein „Road-Movie“

Es sei hier nur kurz erwähnt, dass der deutsche Buchhandel in den letzten Jahren einige Hochkaräter abgeworfen hat, die verfilmt typische „Road-Movies“ abgeben würden. Mindestens einen Buchrücken ziert sogar der „Road-Movie“-Stempel. Bei „The Continent“ darf aber keinesfalls von einem klassischen „Road-Movie“ die Rede sein. Dafür schwingt im Film über die gesamte Spieldauer ein allzu melancholischer Cantus firmus mit. „The Continent“ erzählt die Reise dreier Freunde, die sich aus ganz persönlichen und gegensätzlichen Motiven dazu entschlossen haben, gemeinsam die Reise in den Norden Chinas anzutreten. Jeder folgt seinem eigenen Antrieb und die Motivation speist sich im Einzelnen aus sehr unterschiedlichen persönlichen Ziele, Wünschen und Hoffnungen, wodurch die Freundschaft des skurrilen Triumvirats letzten Endes in die Brüche geht.

An vielen Stellen wird es ein äußerst wirres Filmdebüt des umtriebigen Regisseurs. Die Handlung wird von unzähligen Ideen und Elementen, von denen Han Han allzu hastig Gebrauch nimmt, ergänzt, vorangetrieben und getragen. Doch kaum gelingt es dem Film Fahrt aufzunehmen, fällt er auch schon wieder in sich zusammen. Dies ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass bereits im  nächsten Schnitt ein neues Motiv oder eine neue Idee Han Hans auftaucht und die Erzählung kreuzt. An einer Stelle spielt er mit Anglizismen, lässt die drei Männer angestrengt über einen einprägsamen, neuen Namen für den Strand ihrer Heimatinsel nachdenken („Sun of a beach“), lässt sie vielsagend zu Klängen älterer amerikanischer Popmusik, wie Skeeter Davis‘ „The End of the World“, aufbrechen und gibt ihnen mit Doris Days „Que Sera, Sera (Whatever Will Be, Will Be)“ ein Leit-, oder besser, Suchmotiv auf den Weg mit.

Wie die Protagonisten selbst, bleibt  der Zuschauer stets auf der Suche nach der inhaltlichen Quintessenz. Von einer kohärenten Erzählung kann daher kaum die Rede sein und der rote Faden wirkt vielmehr als ein unübersichtliches Knäuel etlicher Erzählstränge und -techniken. Han Han setzt mit seinen Fragmenten die Schlusspointe in den Sand, noch ehe seine Helden die Wüste am Ende des Films zu durchwandern haben. Das klingt hart, doch zu Beginn liegt die Rahmenhandlung noch offen und eine Exposition ist skizziert. Die drei Freunde lassen ihre Heimatinsel hinter sich, um ihre Reise in den Norden anzutreten. Die Rollen sind klar verteilt: Das sind Hu Sheng, ein heimatverbundener Einfaltspinsel, der in sich gekehrte Schullehrer Hao Han und schließlich Jiang He, der mit überbordendem Optimismus am Steuer ihres Wagens sitzt.

Han Han verwendet viel Zeit und Energie auf die Geschichten der einzelnen Charaktere, spart jedoch bewusst die Beantwortung der großen W-Fragen aus. Weder weiß der Zuschauer um den Namen der Wüste oder den des Landes, durch das die Reise zeitweise geht, noch kontextualisiert er Dialoge und Pointen, die für sich stehend zünden müssen, aber dies gewiss nicht immer tun. Der populäre Romanautor erzählt mit bekanntem Witz, verlässt sich auf seine Fähigkeit, subtil den einen oder anderen Angriff zu wagen. In einigen Szenen blitzt Han Hans Fähigkeit auf, durch knappe, einfache Dialoge tiefsinnige Wahrheiten dem Zuschauer zu präsentieren. Von ihnen finden sich einige, wenngleich sie im Film zu oft ebenso verloren wirken wie die drei Abenteurer.

So finden sich Jiang He und Hao Han gegen Ende ihrer Reise in einem verwitterten Holzverschlag wieder. Während das Morgenlicht sein Strahlen durch das blinde Glas in die verstaubte Hütte jagt, lässt sie der Regisseur ratlos in einen Topf blicken, in dem vier Frösche seelenruhig ihre Bahnen ziehen und darauf warten, dass etwas passiert. Das Wasser fängt nur langsam zu sieden an. Bis die qualvolle Dünsterei der Frösche beginnt, muss noch ein wenig Zeit vergehen und somit drücken die zwei Augenpaare über ihnen Hunger, Verzweiflung und einen Schimmer Ratlosigkeit  aus. „Schau sie dir mal an. Sie fühlen, dass sich etwas rings um sie verändert. Tiere reagieren immer auf Veränderungen ihrer Umwelt. Alles wird vorübergehen. Die Frösche sind nicht eingesperrt, sie werden herausspringen. Das ist die Realität.“ Jählings haut Hao Han den Deckel auf den rostigen Wok. Es kann bald gegessen werden und er entgegnet seinem verbliebenen Gefährten. „DAS ist die Realität.“

Wenn der „Schuster“ Han Han bei seinen „Leisten“ bleibt, darf man sich auf den nächsten Film freuen

All jenen klagenden Filmkritikern der Kategorie „Schuster, bleib bei deinen Leisten“ sei die wunderliche Umtriebigkeit des Autoren entgegengehalten, die auch den Film kennzeichnet. Der 33-jährige Han Han ist mit seinem Regiedebüt bei seinen unzähligen „Leisten“ geblieben, doch erst am Anfang seiner Wandlung zu einem guten Regisseur. Mit dem Abspann geht bekanntermaßen ein Film zu Ende, ein guter lässt jedoch viele Fragen offen. Bei „The Continent“ sind es ein wenig zu viele, doch der Zuschauer merkt, dass dass der Autor noch lange nicht alles gesagt hat, was er gerne sagen will. Für einen ersten Kinofilm schlägt sich Han Hans Erstwerk dennoch wacker, und es entsteht der Eindruck, dass er in all den Fragmenten – wie dem Radiosender etwa, der im Auto, das die drei Männer gen Ziel treiben, ununterbrochen läuft, all den treffenden Aphorismen, um die Han Han die oftmals schreiend komische Wortwechsel webt, oder all den bebildernden Schicksalsschlägen, die die Protagonisten der Reihe nach erleiden müssen – eine neuartige Waffe gefunden hat, seine Gesellschaftskritik noch hintersinniger zu formulieren.

Wenn in „The Continent“ mittels zahlreicher Landschaftsaufnahmen dem Zuschauer ein anderes, weniger bekanntes China dargeboten wird und die Natur zeitlos und ehern wirkt, beeinflusst sie auch den Einzelnen. Das müssen die drei Freunde der Reihe ebenso wie die vier Frösche im Topf am eigenen Leib erfahren. Dass sich mit dem gravitätischen Spaceshuttle zum Ende des Films ein Produkt der technisierten Gesellschaft den physikalischen Gesetzen beugt und abstürzt, ist eines der vielen Elemente, weswegen man sehr gespannt auf Han Hans nächsten Streifen sein mag.

 Artikelbild Credit: „hanhan“ von allogo wang via Flickr, lizensiert unter Creative Commons  

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Über den Autor

Felix Hille

Felix studierte zunächst in Heidelberg Sinologie, lag später bei Hamburg vor Anker und schloss in der Hansestadt 2014 seinen Master ab. Zwischenzeitlich verschlug es ihn für eineinhalb Jahre nach Shanghai. Aus seiner Leidenschaft für die Literatur heraus hat sich mittlerweile auch die moderne chinesische Literatur und die Popkultur zu einem Herzensanliegen entwickelt, für das er gerne auch andere begeistern möchte. Derzeit arbeitet er im Rahmen eines Stipendienprogramms für Exilschriftsteller als Projektmitarbeiter für eine deutsche Schriftstellervereinigung

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