Für sinonerds erkundet Arseny auf seiner Forschungsreise nach Taiwan, was ein Blick auf den Wandel der Teekultur über dessen Zukunft verrät.
Es gibt kaum ein Getränk, das die Welt so bewegte wie Tee. Der Sud der unscheinbaren Blätter heilte schon sterbenskranke Kaiser, inspirierte Dichter und war nicht zuletzt Auslöser der Opiumkriege, deren Nachgeschmack noch heute in internationalen Beziehungen mitschwingt. Tee ist nach Wasser das zweitbeliebteste Getränk der Welt und seit Jahrhunderten, wenn nicht Jahrtausenden, fester Bestandteil menschlicher Ernährung. Die Bilanz spricht für sich.
So ereignisreich die Chronik des Tees auch ist – Dinge ändern sich, und so tut sich für Teeliebhaber eine Grundsatzfrage auf: Wo steht die Teekultur heute in der Welt, wo entwickelt sie sich hin? Auf einer Reise durch Taiwan begab ich mich auf die Suche nach Indizien. Schließlich ist Taiwan eines der großen Teeanbaugebiete der Welt und ein wichtiger Vertreter der chinesischen Teekultur, mit der vor Jahrtausenden in der Hochebene von Yunnan, Guizhou und Sichuan alles begann.
Ein gewagter Vergleich
Doch bevor wir uns ganz dem Tee widmen, machen wir einen kurzen Exkurs in die Welt des coolen, jüngeren Heißgetränk-Cousins des Tees. Die Rede ist natürlich von Kaffee. Der wurde im 16. Jahrhundert im Orient entdeckt und hat einen ähnlich spannenden Weg zurückgelegt wie Tee; doch das ist eine Geschichte für sich.
In Kaffee-Kenner-Kreisen gibt es eine verbreitete Sicht auf den Werdegang von Kaffee als Alltagsgetränk: First Wave, Second Wave, Third Wave. Die First Wave brachte den Kaffee in die Supermärkte, Büros und auf die Frühstückstische der Welt. In der Second Wave verwandelten Unternehmen wie Starbucks die Milchkaffees dieser Welt in Latte Macchiato und erzählten einem sogar, wo die Bohnen herkamen. Heute befinden wir uns in der dritten Welle, wo exquisite Kaffeeboutiquen mit extravaganten Geräten feinste Karamellnoten aus Organic Fair Trade Single Source Coffee mit Luftdruck auspressen.
First Wave of Tea? Wohl eher ein Tsunami
Wie wäre es mit einem kleinen Gedankenspiel: Lassen sich die Three Waves auf Tee übertragen? Die First Wave, der erste Berührungspunkt mit Tee, sieht in China sicher anders aus als etwa in Europa oder Indien. Und überhaupt ist traditionell wie heute der Stellenwert und die kulturelle Konnotation des Teetrinkens kaum vergleichbar. Auch die Märkte für Tee als Ware haben ganz unterschiedliche Ansprüche und Vorlieben. Die First Wave des Tees war wohl eher ein sich über Jahrtausende in alle Richtungen ausbreitender Tsunami mit Epizentrum in Yunnan.
Chang Weiyi (張位宜) ist Besitzer der Tea Master Chang Nai-Miao Memorial Hall (張迺妙紀念館) in Maokong (貓空), einem klassischen Teeanbauort bei Taipeh. Er ist direkter Nachfahre besagten Teemeisters, betreibt das kleine Teemuseum und verkauft eigens gefertigte Teekannen und preisgekrönten Tee. „Tee ist in Taiwan nicht wegzudenken. Schon unsere Vorfahren und deren Vorfahren hatten den Brauch, gemeinsam Tee zu trinken. Die Blätter sind gesund, Tee war ursprünglich mal eine Medizin“, erzählt Herr Chang und riecht an einem prominent ausgestellten, gereiften Tieguanyin von 1995. Menschen wie ihn gibt es nicht überall auf der Welt.
Tee und Mainstream
Medizin ist Tee allerdings schon lange nicht mehr, auch wenn gerne mit seinen positiven Nebenwirkungen geworben wird. Die Beliebtheit des Getränks reicht trotzdem weit über die Teebeutelsammlung in der Küchenschublade unten links hinaus: In großen Café-Ketten gehören Spezialitäten wie Chai Latte bereits zu den Standards, hier und da kann man einen liebevoll aufbereiteten Limetten-Ingwer-Tee bestellen. Beides ist zwar streng genommen kein Tee-Tee, in die Schublade „Tee-Kultur“ kann man sie aber zweifellos stecken.
Doch da war noch was. Der nächste Besuch führt uns nach Tamsui (淡水), einen weiteren Vorort von Taipeh, der trotz seiner überschaubaren Größe eine Kolonialgeschichte aufweist, die mit Game of Thrones mithalten könnte. Vor einigen Jahren wurde das Städtchen an die Taipeher U-Bahn angeschlossen, und so schlendern wir auf gemütlich-quirligen Straßen an kleinen Restaurants und Souvenir-Läden vorbei in die Teehandlung von Herrn Lee. Der betreibt den klassischen Teeshop mit Buddha-Figuren und Stapeln von luftdicht abgepacktem Tee seit über 40 Jahren, lange bevor es in Tamsui von Besuchern vom Festland nur so wimmelte.
„Tee muss man einfach zu Hause haben, und dafür muss man ihn schließlich irgendwo kaufen“, lacht Herr Lee. Allerdings ist er beunruhigt um die Zukunft des Tees. „Junge Leute trinken ihn mit so viel Zucker“, seufzt er. Sein Blick schweift zu dem Bubble Tea Laden schräg gegenüber. „Mich stört ja noch nicht einmal die Qualität des Tees, die natürlich auch nicht die beste ist. Aber das Zeug ist einfach ungesund. Das ist kein Tee mehr.“ Vielleicht hat Herr Lee ja recht: Geht die Teekultur im 21. Jahrhundert den Bach runter, heruntergespült mit einer ordentlichen Kelle Sirup?
Rettungsboot Hipsterkult
Aber die Märkte sprechen ihre eigene Sprache und haben in einer globalisierten Welt ganz schön viel mitzureden. Ein Trend, der sich in den letzten Jahrzehnten in den urbanen Zentren der Welt deutlich abzeichnet, ist die Rückkehr zu individuell zubereiteten Genussmitteln. In Disziplinen von Schokolade bis Brot entstehen von Vancouver bis Melbourne lichtdurchflutete, von hölzernen Designs dominierte Manufakturen und werden gerne als Hipsterschuppen abgestempelt. Die Third Wave des Kaffees ist ein Flaggschiff dieser Gegenbewegung zu konzerngesteuerten Trend-Monokulturen.
„Die Menschen wollen wissen, wo ihr Tee herkommt, und dass er auch qualitativ hochwertig ist“, erzählt Susan selbstsicher. Sie arbeitet in einer kleinen Teehandlung im Herzen Taipehs. Alle Tees werden hier direkt von Bio-Farmen bezogen, per Hand in schimmernde Dosen abgepackt und mit einem speziellem Pinsel beschriftet. Eine dicke Katze ist das Maskottchen und schwirrt zwischen Säcken von Teeblättern hin und her. „Bei mir kaufen meistens Studenten oder jüngere Menschen ein. Viele kommen wieder, weil sie einfach guten, biologisch angebauten Tee wollen.“
Tatsächlich scheint es einen Umbruch in der Welt des Tees zu geben. Den Cha auf die Hand gibt es in asiatischen Ländern immer häufiger ohne Milch, Zucker oder Tapiokaperlen. In den USA überträgt die Starbucks-Tochter Teavana das bekannte Kaffee-Marketing-Konzept auf Tee. Stilvolle, moderne Teehäuser wie zum Beispiel Teakha in Hong Kong bereiten Keemun-Schwarztee mit Jujube und einem Schuss Honig zu, und auch in Europa handeln seit neuestem Tee-Boutiquen wie etwa P&T in Berlin mit hochwertigsten Tees aus der ganzen Welt. Wenn es eine Art Third Wave des Tees gibt, sind wir mittendrin.
Es wird besonders spannend zu sehen, zu welchen Kreationen diese neue, globale Interpretation von Teekultur in einer immer kleiner werdenden Welt führen wird. Deutsche Früchte- und Kräutertees sind in Festland-China bereits der Renner. Und wer weiß, vielleicht schlürfen schon bald Menschen von San Francisco bis Warschau Vintage-Oolongs im Kiez und Liangcha in Medizintee-Popup-Bars.
Mehr zum Thema Tee gibt es auf der Seite des Spotlights Tee.
Bilder: (c) Arseny Knaifel