Kurz vor Ende der Vorlesungszeit lädt ein Studenten-Team der staatlichen Business School Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, kurz HWR, zur eintägigen China Public Policy Conference (CPPC) ein. Jana war für sinonerds live mit dabei und hat für Euch ihre Eindrücke zusammengefasst. Im Interview mit den beiden CPPC-Gründern Hong und Juno hat sie außerdem erfahren wie es mit Berlins neuester China-Konferenz weitergehen wird. Erster Hint: ein Ortswechsel steht bevor.
Es ist früh an diesem Samstagmorgen, in studentischer Zeitrechnung fast unanständig früh, als ich mich um 8:30 Uhr verschlafen zur Registrierung bewege. Zum Glück liegt die HWR ziemlich zentral und mit der U7 ist man schnell da – lange Anfahrtswege sind ja immer ein Ding, hier in Berlin. In der Lobby der Uni werde ich fröhlich auf Englisch begrüßt und ich bekomme mein Namensschild sowie ein kleines Heft mit den wichtigen Infos. Als ich fünf Minuten später dann noch einen warmen Kaffee in der Hand halte und das erste nette Gespräch führe, wird mir klar: Heute wird ein guter Tag.
Die allererste China Public Policy Conference (CPPC), die mit dem wenig greifbaren aber attraktiv klingenden Titel China on the World Stage: From Game Player to Game Maker an den Start geht, konzentriert sich auf drei Themenfelder: Umwelt, wirtschaftliche Entwicklung und Außenpolitik. Später werden mir die Leiter der Konferenz verraten, dass es sich bei den genauen Themen um Inhalte handelt, die in den Augen ihres Teams in der westlichen Medienlandschaft unterrepräsentiert, aber von zentraler Bedeutung für Chinas Zukunft sind.
Nach dem ersten Schuss Koffein nimmt der Tag an Fahrt auf und die Konferenz beginnt mit der offiziellen Begrüßung von CPPC-Gründern Hong Hanh Dinh und Juno Wilson und einer kurzen Rede von David Fouquet. Letzterer plaudert dank seiner langjährigen journalistischen Erfahrung und seiner Position im Brüsseler Think Tank The European Institute for Asian Studies (EIAS) viel aus dem Nähkästchen und zitiert zahlreiche Bekannte aus diplomatischen und anderen China-Expertenkreisen. Er spornt uns Zuhörer dazu an, den Tag zu nutzen um dem „China Model“ auf dem Grund zu gehen und Theorien zu entwickeln, wie China mit seinen aktuellen Herausforderungen umgehen kann und wird.
Chinas Herausforderungen in Gegenwart und Zukunft
Was die zentralen Herausforderungen sind, dazu argumentieren drei eingeladene Experten im Anschluss in der Plenary Session: Professor Hansjörg Herr von der Gastgeberuni HWR spricht in seinem Kurzvortrag von der großen Gefahr der „middle income trap“ (dazu empfiehlt er allen Interessierten die Lektüre der Werke seines japanischen Kollegens Kenichi Ohno) und der immer weiter zunehmenden, massiven Ungleichheit in China. Professor Emeritus Johannes Küchler (TU Berlin) warnt vor der in vielen Bereichen irreparablen Umweltverschmutzung und sieht die Luftverschmutzung als vergleichsweise geringes und temporäres Problem. Dr. Max Zenglein vom Mercator Institute for China Studies (MERICS) geht auf die Herausforderungen im chinesischen Dienstleistungssektor ein und argumentiert mittels anschaulicher Graphen, dass China ohne notwendige Reformen des Arbeitsmarktes seine Wachstumsziele nicht erfüllen kann. Anschließend folgt die moderierte Diskussion miteinander und am Ende können die Zuhörer Fragen stellen – eine Möglichkeit, die nach anfänglicher Schüchternheit rege genutzt wird. Als die Session beginnt, füllen etwa 40 Personen den Raum, die meisten davon Studenten der verschiedenen Berliner Unis. Gegen Ende der Session ist die Zahl der Zuhörer auf mehr als 50 Personen angewachsen – auch die Spätaufsteher haben es geschafft.
Von maritimer Aufrüstung bis OBOR: Facetten chinesischer Außenpolitik
Als nächstes stehen die Workshops an und hier darf man sich nun zwischen den drei verschiedenen Themenfeldern entscheiden. Ich nehme den foreign policy-track und finde mich in Diskussionen über Chinas Nuklearpolitik wieder. Dabei kommt auch das aktuell so brisante Thema der South China Sea zur Sprache und wir fragen uns, ob Atomwaffen bei der maritimen Aufrüstung Chinas eigentlich eine Rolle spielen. Klare Antworten auf militärisch so sensible Fragen bekommen wir zwar keine, aber darüber zu diskutieren ist trotzdem spannend.
Nach dem Mittagessen mit wirklich leckeren Häppchen und entspannten Gesprächen mit Studenten aus unterschiedlichen Städten, Unis und Studienfächern, geht es in die Nachmittags-Workshops. Zurück im Track Außenpolitik darf ich dieses Mal zusammen mit den anderen Teilnehmern politische Strategien für den europäischen Umgang mit China auf dem afrikanischen Kontinent entwickeln. Wie auch am Morgen ein inhaltlich spannendes Thema, für das ich gerne noch mehr Zeit gehabt hätte. Aber so ist das auf der eintägigen CPPC: Raum zum Verweilen bleibt nicht. Dafür bekomme ich einen Einblick in viele unterschiedliche Themen, der mich ermuntert, die eine oder andere Entwicklung in Zukunft im Auge zu behalten.
Bei der zweiten Plenary Session am Nachmittag geht es um Chinas Positionierung in der Welt. Dr. Angela Stanzel vom European Council on Foreign Relations kritisiert Chinas mangelhafte Bereitschaft, globale Themen wie den Klimawandel und die Instabilität in Regionen wie Afrika konsequent anzugehen und Verantwortung zu übernehmen. Der nachfolgende Redner Wang Tianling, Abgesandter der Politikabteilung der chinesischen Botschaft, bezieht dazu keine Stellung. Er konzentriert sich stattdessen auf Chinas neue Initiative One Belt, One Road (OBOR) und stellt sie in seinem Vortrag als logische Konsequenz der historischen Seidenstraße und Chinas langer Geschichte dar.
Mehr Mut zur Vielfalt
Herr Wang bleibt der einzige chinesische Redner an einem Tag, der sich komplett um China dreht und ich frage mich, warum den unterschiedlichen chinesischen Perspektiven kein Raum gegeben wird. Denn schließlich gibt es auch unter den Chinesen genug Wissenschaftler, NGO-Personal und Public Figures, die eigene Positionen vertreten und nicht nur das KPCh-Einmaleins herunterbeten. Wenn es ein Ziel der Konferenz sein soll, das Verständnis für China zu fördern, sind die persönliche Interaktion und der Austausch mit den Menschen aus dem Land einfach wichtig.
Außerdem fällt mir das Geschlechter-Verhältnis auf. Während bei den Teilnehmern das Frauen-Männer-Verhältnis ziemlich ausgeglichen ist, sind die Redner und Workshopleiter hauptsächlich Männer (konkrete Zusammensetzung: zehn Männer, drei Frauen). Insbesondere bei den Plenary Sessions sitzen fast ausschließlich ältere, weiße Männer vor uns und erklären uns China und die Welt. Ich behaupte nicht, dass sie das nicht können und dass ihre jahrzehntelange Expertise keine Aufmerksamkeit verdient. Aber eine größere Vielfalt an Perspektiven hätte ich mir trotzdem gewünscht.
Am Ende des Tages bleibt trotzdem das Gefühl, inhaltlich viel mitgenommen und in entspannter Atmosphäre viele Gleichgesinnte getroffen zu haben. Mit einigen Teilnehmern möchte ich weiter in Kontakt bleiben. Als ich am Abend erfahre, dass Hong und Juno die CPPC zusammen mit ihrem engagierten Team in nur zwei Monaten auf die Beine gestellt haben, bin ich schwer beeindruckt. Für mich beweist das auch: man muss kein erfahrenes Mitglied einer renommierten internationalen Institution sein, um so eine professionelle Konferenz zu organisieren. Auch wir Studenten können das! Bleibt die Hoffnung, dass in Zukunft noch mehr Leute, auch von anderen Unis in Deutschland und Europa, bereit sind, sich dieser Herausforderung zu stellen. 365 Tage im Jahr schreien nach mehr als einem Tag China-Konferenz.
Nach der Konferenz habe ich mit Juno und Hong über die Hintergründe und Zukunft der CPPC gesprochen. Hier das Interview:
Wie seid ihr auf die Idee gekommen, die CPPC zu starten?
Hong: Im April haben wir an der European Public Policy Conference teilgenommen. Dort hinzugehen war tatsächlich eine Last-Minute-Entscheidung… so à la „European Public Policy Conference? In Slowenien? Klingt gut, lass machen!“ Wir gingen also dahin und verbrachten ein tolles Wochenende in Slowenien. Als wir zurückkamen, hatte Juno die Idee, eine ähnliche Konferenz mit China-Fokus zu starten. Ich fand die Idee super. Unser Masterprogramm an der HWR konzentriert sich auf wirtschaftliche Zusammenhänge von China und Europa und wir dachten uns, dass es großartig wäre, eine solche Konferenz an unsere Uni in Berlin zu holen.
Eine Konferenz von Studenten für Studenten?
Juno: Wenn junge Menschen zusammenkommen, macht es einfach mehr Spaß! Wenn du auf normalen, offiziellen Konferenzen bist, dann ist das Informationslevel, auf das du gehoben wirst, oft sehr spezialisiert und das Umfeld sehr professionell. Aber wenn eine Gruppe junger Leute zusammenkommt, hast du keine Angst davor, mit anderen Menschen zu networken. Die Konferenz in Slowenien war sehr offen, gechillt und wir haben dort sogar echte Freunde gefunden. So etwas ähnliches wollten wir in Berlin auch schaffen. Aber eben mit China-Bezug.
Welches Ziel verfolgt die CPPC?
Juno: Wir wollen eine Plattform für Studenten und Young Professionals schaffen, damit sie Zugang zu den Experten in ihrem Gebiet erhalten und gleichzeitig untereinander networken können.
Hong: Außerdem wollen wir den Fokus auf sehr wichtige Themen richten, bei denen wir finden, dass sie in den Medien zu wenig Beachtung finden. Das hat uns auch dazu gebracht, die drei tracks und die genauen Themen dieser Konferenz zu bestimmen.
Woran habt ihr Euch bei der Organisation der Konferenz orientiert?
Hong: Wir waren auf einigen wirklich anspruchsvollen Konferenzen hier in Berlin, wie zum Beispiel von der Heinrich Böll Stiftung und der Friedrich Ebert Stiftung. Diese Konferenzen zeigten uns, wie eine hochqualitative, professionelle Konferenz aussehen sollte. Die Möglichkeit selbst zu entscheiden, wer sprechen und seine Ideen teilen darf, und den Rahmen der Konferenz dann selbst zu schaffen, das war eine tolle Erfahrung.
Seid ihr zufrieden mit dem Ergebnis?
Juno: Ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Vor allem, wenn man den großen Zeitdruck und die schwierigen Umstände bedenkt. Hong und ich sind Perfektionisten und als Dinge passiert sind, die wir nicht erwartet hatten, mussten wir schnell reagieren…
Hong: Ja, das stimmt. Aber egal, wie vielen Hindernissen wir ausgesetzt waren, wir haben immer sehr schnell reagiert. Immer wenn was passiert ist, haben wir uns sofort mit dem Team abgesprochen.
Juno: Ehrlich gesagt, die letzten zwei Monate mit der CPPC waren unser Vollzeitjob, nicht die Uni. Vorher habe ich mir nie vorstellen können in Richtung Start-up zu gehen, aber jetzt… Wenn du etwas selbst neu erschaffst und eine echte Leidenschaft dafür hast, dann ist das so eine unglaublich schöne Erfahrung. Auch wenn ich gerade kaum noch meine Augen offen halten kann.
Wird es wieder eine CPPC geben?
Juno: Wir können noch nichts fest versprechen, aber das ist der Plan. Ab September sind wir alle in China, da unser Studiengang dann gemeinsam ein Auslandssemester in Chengdu verbringt. Alle im Team haben sich so sehr für die CPPC engagiert und alle haben Lust auf eine neue Herausforderung. Unser Traum ist es, die nächste Konferenz im kommenden Jahr in Beijing zu starten.
Bilder: Rechte liegen beim Team der China Public Policy Conference.