Wenn Recherche zur Ausweisung führt

David Missal im sinonerds-Gespräch

Ein junger Sinologe aus Deutschland wurde im Juli 2018 schlagartig berühmt. Ob dpa, taz, oder Deutsche Welle – alle berichteten über David Missal.

Was war passiert? Im Rahmen seines Studiums an der Qinghua-Universität in Beijing arbeitete David an einem Projekt über Menschenrechtsanwälte. Hierfür interviewte er unter anderem den Anwalt Lin Qilei (蔺其磊), der sich für Menschenrechtsaktivisten einsetzt, und begleitete ihn mit der Kamera während des Besuchs eines Klienten – Qin Yongmin (秦永敏) – zum Gefängnis.

Qin Yongmin ist Autor, Menschenrechtsaktivist und Mitbegründer der Demokratischen Partei Chinas (中国民主党) und stammt aus Wuhan. Kurz nach der Freilassung von Liu Xia, der Witwe des Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo, wurde er zu 13 Jahren Haft verurteilt. In der Vergangenheit saß Qin unter anderem wegen „Subversion der Staatsmacht“ mehrfach im Gefängnis.

Davids Kurzdoku über Lin ist auf seiner Homepage zu finden. Genauso wie mit dem Handy gefilmte Aufnahmen, die die Ankunft der chinesischen Sicherheitsbehörden zeigen und wie sie ihn aufs Polizeirevier mitnehmen. Davids Filmaufnahmen sind wahrscheinlich der Grund für seine Ausweisung.

Der Weg nach China

Nach dem Abitur kam David über das Kulturweit-Programm der deutschen UNESCO-Kommission nach Nanjing, wo er Deutsch unterrichtete. Es dauert nicht lange, bis er selbst begeistert Chinesisch lernte. Es folgte ein Sinologiestudium sowie ein Auslandsjahr in Beijing.

Da er schon vorher immer wieder geschrieben hatte, beschloss er, beide Interessensgebiete zusammenzuführen und sich in Beijing für ein Journalistik-Studium einzuschreiben. Allerdings wählte er das chinesischsprachige Masterprogramm statt des englischsprachigen – eine eher unübliche Entscheidung für Nicht-Muttersprachler.

Im Rahmen eines Uniseminars sollte er eine Reportage zu einem Thema seiner Wahl erstellen. Über Twitter hatte er von Li Wenzhu (李文足) erfahren, der Frau des Menschenrechtsanwalts Wang Quanzhuang (王全璋), der von einem Tag auf den anderen plötzlich verschwunden war und seit drei Jahren im Gefängnis sitzt. Seitdem hat seine Frau nichts mehr von ihm gehört. Nach 1000 Tagen beschloss Frau Li zu Fuß von Beijing nach Tianjin zu laufen, um auf sein Verschwinden aufmerksam zu machen. David nahm über Twitter Kontakt zu ihr auf und begleitete sie für einen Tag auf ihrem Marsch.

Wang Quanzhang aus Shandong hat in seiner Tätigkeit als Anwalt wiederholt Fälle bearbeitet, in welchen Menschenrechtsfragen verhandelt wurden. So vertrat er beispielsweise Falun-Gong-Anhänger, Wohnrechtsaktivisten, Mitglieder der „Neuen Bürger Bewegung“ und Journalisten. Durch seine Arbeit ist er wiederholt Schikanen ausgesetzt worden. Im Zuge der sogenannten „709 Razzia“ (709, weil die landesweite Inhaftierungswelle am 9. Juli 2015 stattfand) wurde Wang festgenommen. Nachdem er fast drei Jahre lang in Isolationshaft festsaß, wurde ihm im Juli 2018 gestattet, mit einem Anwalt zu sprechen.

Auf Nummer sicher: WhatsApp, Signal und Telegram statt WeChat

Über Li Wenzhu kam David in Kontakt zu weiteren Menschenrechtsanwälten und deren Angehörigen, die er für seine Recherche traf. Das Online-Kommunikationsverhalten unterschied sich hierbei nicht sehr von den Digital Natives hierzulande: Twitter gehörte genauso dazu wie Telegram und Whatsapp. Da die chinesischen Sicherheitsbehörden in WeChat mitlauschen, kommunizierten die Anwälte ausschließlich über ausländische Messenger-Dienste.

Die chinesischen Menschenrechtsanwälte sind untereinander sehr gut vernetzt, etwa über Whatsapp-Gruppen. Sollte einer von ihnen verschwinden, könnte sich diese Nachricht innerhalb von Stunden in der Community verbreiten. Eine Chatgruppe, in der David aktiv war, hatte rund 200 Mitglieder mit sehr unterschiedlichen Hintergründen: darunter waren zum Beispiel Anwälte, Mitglieder von Amnesty International und Forscher. Für David war Twitter eine wichtige Anlaufstelle für vorbereitenden Recherchen für seinen Dokumentarfilm.

Der Fall Lin Qilei

In seinen letzten Monaten in China hatte David an seiner multimedialen Reportage für das Seminar gearbeitet. Ein Teil davon war die Kurzdokumentation über Lin Qilei. In diesem Zuge hatte er sich mit Menschenrechtsanwälten und deren Angehörigen getroffen. Zunächst verlief alles reibungslos. Nach wenigen Wochen wurde er von seiner Betreuerin einbestellt: Die Institutsleitung ließ ausrichten, dass sie seine Aktivitäten nicht guthieß und riet ihm dringend, diese einzustellen. Aber David machte weiter.

Davids Reportage über Anwalt Lin war wahrscheinlich der Grund für seine Ausweisung. Hier ist David mit Lins Familie zu sehen. ©David Missal

Während die Anwälte das Gefängnisgebäude betraten und Qin Yongming trafen, blieb David draußen und filmte die Umgebung. Auf dem Video in seinem Blog ist zu sehen, wie plötzlich uniformierte und zivile Sicherheitsbeamte in Autos auftauchen und ihn auffordern, mitzukommen.

Angst habe er in diesem Moment nicht gehabt, sagt David. Aber unwohl sei ihm gewesen. Auf den Videoaufnahmen hört man, wie er recht gelassen reagiert und bemüht ist, mit den Behörden in einem ruhigen Ton (und in fließendem Mandarin) zu sprechen. Zugleich beharrt er darauf, dass er ohne Angabe von Gründen nicht „kooperieren“ müsse und versucht, seinen eigenen Handlungsspielraum auszutarieren. Schließlich bleibt ihm nichts übrig, als mit den Behörden aufs Revier zu fahren. Irgendwann während der Autofahrt enden die Aufnahmen.

David erzählt, dass er für drei Stunden auf dem Revier festsaß, während seine Begleitung verhört wurde. Am Ende durften alle wieder gehen, nachdem die Anwälte versichert hatten, dass David nur ein Tourist sei, der zufällig zu Besuch gewesen war.

Kurz darauf wird Davids Antrag auf eine Verlängerung seines Studentenvisums abgelehnt – mit der Aufforderung, innerhalb von zehn Tagen das Land zu verlassen. Er vermutet, dass der Besuch im Untersuchungsgefängnis, den er mit der Kamera begleitete, der ausschlaggebende Grund für seine Ausweisung war. Als David sich nach den Gründen für seine Ausweisung erkundigte hieß es “er wüsste schon, weshalb”.

Mutig oder naiv?

Natürlich war er sich bewusst, dass er sich mit einer Dokumentation über Menschenrechtsanwälte einem „schwierigen Thema“ angenommen hatte, erzählt David im sinonerds-Interview. Aber er hatte nicht damit gerechnet, dass tatsächlich etwas passieren würde.

Unter seinen Kommilitonen gab es zwar jemanden, der zum Thema Frauenrechte gearbeitet hatte, aber der Großteil befasste sich mit eher unverfänglichen Themen wie chinesischem Porzellan. „Eher langweilige Themen“, wie David sagt, “die politisch weniger sensibel sind”.

Ausgewiesen wegen Recherche zu sensiblen Themen? Davids Visum wurde nicht wie geplant verlängert. ©David Missal

Dazu, ob seine journalistischen Aktivitäten die Sicherheit seiner Interviewpartner kompromittiert hätten, hat David eine klare Meinung: Nein, wenn die Person ohnehin schon in der Öffentlichkeit stand.

Eine erfahrene Sinologin bestärkte David darin, dass auch Berichterstattung über weitgehend unbekannten Aktivisten eher positiv zu sehen sei. Als Beispiel nennt er Petitionisten, die aufgrund ihrer fehlenden Bekanntheit ohne Weiteres “verschwinden” könnten. Hätten sie die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, könnte ihre Bekanntheit sie zugleich vor der Willkür von Behörden schützen. Deshalb bezieht David auch hier eindeutig Position:

„Wenn wir (als Journalisten) nicht wissen, welche Auswirkung Berichterstattung hat, dann sollten wir es einfach machen. Denn wenn wir es nicht machen, ist die Frage: Wer gibt den Menschen noch eine Stimme, wenn es ausländische Journalisten nicht tun?“

Dem Filmprotagonisten Anwalt Lin ist bislang nichts zugestoßen. David hofft, dass das auch so bleibt. Sie sind weiterhin über Whatsapp in Kontakt und haben sich erst vor wenigen Tagen zuletzt geschrieben. Was David persönlich am meisten bedauert, ist der Kontaktabbruch mit seinen Freunden in China und die Aussicht, dass er sie womöglich lange nicht wiedersehen wird. Aber das letzte Wort ist noch lange nicht gesprochen. Jetzt wird er erstmal sein Journalistik-Studium in Hong Kong fortsetzen.

Für David ist klar: Nach dieser Erfahrung ist das Thema China für ihn längst nicht vom Tisch.

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sinonerds-Autor*in

Siyuan He

Siyuan kam bereits als Säugling in die Bundesrepublik und hat in unterschiedlichen Bundesländern gelebt, bis sie schließlich Berlin zu ihrer Heimat auserkoren hat. Ihre Passion fürs Schreiben verbindet sie am liebsten mit dem Kennenlernen neuer Menschen aus anderen Kultur- und Sprachräumen. Momentan setzt sie ihre Erkundungsreise in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba fort, wo es (nicht nur) viele chinesische Geschichten zu erzählen gibt.

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