5 Jahre ist es her, dass die Autorin Deike Lautenschläger und ich auf ihrer gemütlichen Terrasse mit Blick über die Großstadtkulisse Taipehs saßen und bei Tee über ihren Fettnäpfchenführer Taiwan gesprochen haben. Nun habe ich sie digital wiedergesehen, um mit ihr über ihr neues Buch „Das Glück verkehrt herum – Homophone in Taiwan“ zu plaudern.
Homophone, das sind im Chinesischen z.B. Wörter wie shì (是 – sein), shì (事 – die Sache) und shì (室 – der Raum), die in der Lautform ganz und gar oder zumindest nahezu übereinstimmen, sich aber in ihrer Bedeutung und ihrer Schreibweise unterscheiden.
Jasmin: Ich erinnere mich noch gut, dass ich kurz vor meinem Sinologiestudium im Jahr 2012 wiederholt Zweifel hatte, ob ich mich genau dieser Herausforderung stellen sollte: der Unterscheidung all der – für mein Ohr – gleich klingenden Wörter. Umso neugieriger war ich nun, Jahre nach meinem Studium, Deikes Buch in die Hände zu nehmen und neue Erkenntnisse über die chinesische Sprache zu erlangen. Deike, hat dich auch die persönliche Erfahrung mit dem Chinesischlernen dazu bewegt, dieses Buch zu schreiben.
Deike: Angefangen hat es bestimmt auf der einen Seite mit der Schwierigkeit Chinesisch zu lernen – alles klingt für einen Chinesischlerner gleich. Und dann, auf der anderen Seite aber auch die Schönheit der Sprache, wie sie sich diese Sache zu Nutzen macht. Besonders die Tatsache, dass es ja ganz traditionelle Homophone gibt, die Glück oder Unglück bringen, die schon seit Jahrhunderten sprachlich so benutzt werden. Aber dann entstehen eben auch immer wieder neue Ausdrücke in der alltäglichen Sprache, die dann z.B. in den sozialen Medien aufgeschnappt werden.
„Das Glück verkehrt herum“ widmet sich verschiedenen Homophonen in fünf Kapiteln, die Alltägliches, Feierliches und Festliches, Zwischenmenschliches, Historisches und Politisches sowie Natürliches umspannen. Deike zeigt dabei Sprachbeispiele in humorvollen, unerwarteten sowie spannenden Geschichten aus dem chinesischsprachigen Alltag auf, die sowohl für beginnende als auch erfahrene Chinesischlerner interessant sind.
Wieso beziehst Du dich im Untertitel des Buches auf Taiwan? Geht es bei Homophonen nicht auch mehr um die Sprache als das Land?
Sprache ist stets eng verbunden mit Identität, Kultur und Politik. Fast alle der Homophone im Buch sind mir in Taiwan zu Ohren gekommen – eingebettet im Kontext des taiwanischen Alltags, in denen die Wörter ihre Bedeutung in Feinheiten und Komplexitäten finden. Viele der Homophone gibt es sicher auch in China und anderen chinesischsprachigen Ländern und Gebieten, doch wie sie da gebraucht werden, vermag ich in diesem Buch nicht zu sagen – das wäre dann ein jeweils anderes Buch. Und es wäre auch ein Buch, das ich nicht schreiben kann als eine Autorin, die seit mehr als 17 Jahren nur in Taiwan gelebt hat. Schreiben ist ein subjektiver Prozess, bei dem man bewusst und unbewusst seine Erfahrungen und Erlebnisse mit einfließen lässt.
War es schwer für Dich, eine Auswahl an Homophonen zu treffen?
So typische Sachen wie die Bedeutungen der Zahlen Acht, Sechs, Vier oder der 520 – die begegnen einem ja täglich. Auch die festlichen Homophone begegnen einem sehr häufig. Die habe ich also einfach im alltäglichen Leben gesammelt. Beim Kapitel Historisches und Politisches habe ich etwas recherchiert, was es da gibt. Bestimmt gibt es noch viele Homophone, die ich nicht entdeckt habe, aber ich denke, es ist schon so, dass das Typische, was man in Taiwan so hört, in dem Buch abgedeckt ist.
Das klingt ein bisschen wie eine Schatzsuche. Bei der Zahl 4 (四 – sì) ist es ja so, dass sie fast genau wie das Verb „sterben“ (死 – sǐ) klingt – nur, dass eben die Töne unterschiedlich sind. Ich muss zugeben, dass ich auch heute noch ein unwohles Gefühl bekomme, sobald ich die Zahl 44 sehe. Empfindest Du das auch so?
Auf jeden Fall. Mir geht das auch so, wenn ich eine Rechnung mit dem Betrag 44 bekomme. Ich finde aber auch schön, dass die Regierung in Taiwan z.B. keine ID-Nummern rausgibt, die mit einer Vier enden. In Deutschland würde man bestimmt schief angesehen werden, wenn man sagt, man möchte nicht die Personalausweisnummer mit der 13 am Ende, aber hier ist das eine ernste Sache. Denn wenn hier eine Vier am Ende steht, dann steht da quasi, dass die Person mit dieser ID-Nummer stirbt. Das will man ja nicht.
Aber auch besonders bei den Glückszahlen geht es mir so: Wenn es sechs Blumen oder sechs Tassen sind, dann freue ich mich. Im Alltag gibt mir das ein gutes Gefühl.
Oh ja, ich mag daher meine Handynummer auch so gerne – da kommen nämlich viele Sechser und Neuner vor. In Deinem Buch schreibst Du ja auch darüber wie die Zahl Sechs (六 – liù) im Chinesischen wie „fließen“ (流 – liú) klingt, was mit „reibungslos“ verbunden wird, ganz nach der Redewendung 六六大順 liùliùdàshùn – „Möge alles reibungslos fließen“. Die Zahl Neun (九 – jiǔ) und das Wort „lange Zeit“ (久 – jiǔ) sind auch homophon. Ein Hochzeitsdatum, das aus vielen Neunern besteht, ist daher besonders bei zukünftigen Ehepaaren beliebt – möge die Ehe eine lange, lange Zeit halten.
Ganz genau. Da muss ich sagen, meine Handynummer hat als letzte Zahl eine Vier, aber die habe ich seit 17 Jahren und da wusste ich noch nicht, dass das so ein Problem ist, und die haben jetzt alle. Da finde ich Pragmatismus wichtiger als den Glücksfaktor.
Teil des Buches sind hübsche Illustrationen, die zu Beginn jeder Kurzgeschichte stehen und von der Illustratorin Liesbeth Cole stammen. Sie war eine der Personen, die mit dem Beginn der Pandemie in Taiwan stecken blieb und nicht mehr weiterreisen konnte. Deike lernte sie im Jahr 2020 kennen und aus einer Freundschaft entstand eine kreative Kollaboration. Vielleicht bist auch Du neugierig geworden und möchtest mehr über Homophone in Taiwan lernen? Das Buch ist beim IUDICIUM Verlag erhältlich.
Du baust in deinem Buch auch politische Nachrichten und Umweltthemen in die Kurzgeschichten ein, z.B. die Aktion von Greenpeace im September 2012 als sich 300 Menschen vor der Chiang-Kai-shek-Gedächtnishalle auf den Boden legten und mit ihren Körpern die Schriftzeichen 年年有鱼 formten, um auf die Überfischung unserer Meere aufmerksam zu machen. Was hatte diese Aktion mit einem chinesischen Sprichwort zu tun?
Allein zum Anlass des Neujahrsfests werden in Taiwan jedes Jahr rund drei Millionen Fische verzehrt. Und das hat tatsächlich auch eine sprachliche Komponente: Zu Neujahr wünscht man sich gegenseitig Wohlstand bzw. Überfluss im neuen Jahr niánniányǒuyú (年年有余 – „Jedes Jahr soll es Überfluss geben“) und das klingt genau wie niánniányǒuyú (年年有鱼 – „Jedes Jahr soll es Fisch geben“). Die Verbindung zum Fisch entsteht also durch den gleichen Klang der Wörter „Überfluss“ und „Fisch“. Ich finde es schön, dass die Verwendung von Homophonen eben zum einen Tradition hat, aber dass die Homophone von der Bevölkerung auch immer wieder auf neue, kreative und innovative Arten eingesetzt werden. Sie sind also nicht nur etwas, das die Oma oder Uroma sagen, sondern es sind wirklich Kommunikationsmittel, die die Bevölkerung heute noch aktiv anwendet.
Welche weiteren Homophone hätten es fast ins Buch geschafft?
Ein paar! Es gab vor einiger Zeit diese Aktion bei einer taiwanischen Sushi-Kette, die Leuten einen Rabatt angeboten hat, wenn ihr Name wie Lachs klingt – das hätte jetzt nicht nur das Wort Lachs sein müssen, sondern eben auch ein Homophon. Viele Leute haben sich für die Aktion umbenannt – das wäre eines dieser schönen Beispiele gewesen.
Meine letzte Frage, die nochmals auf den Titel des Buches anspielt: Hängt an Deiner Tür das Glück auch verkehrt herum? Vielleicht kannst Du für unsere neuen Chinesischlernenden auch einmal kurz erklären, warum das Schriftzeichen fú (福 – Glück) auf so vielen Haustüren auf dem Kopf steht.
Das liegt daran, dass die Wörter „verkehrt herum“ (倒 – dào) und „ankommen“ (到 – dào) homophon sind. „Das Glück verkehrt herum“ (福倒 – fúdào) klingt genauso wie „das Glück kommt an“ (福到 – fúdào) und damit lockt das rote Papier mit dem Schriftzeichen Glück auf dem Kopf also das Glück erst ins Haus herein. Auf meiner eigenen Haustür steht auch das Glück, aber richtig herum. Es ist eine total alte Eisentür, und da fliegen rechts und links Fledermäuse um das Glückszeichen „福“ herum. Fledermäuse sind in der chinesischen Sprache tatsächlich Glückstiere, denn auch ihr Name „蝙蝠“ – biānfú klingt wie das Glück. Auf einer Tür soll sie den Bewohnerinnen und Bewohnern des Hauses somit viel Gutes versprechen.
Wie schön! Und rot ist Deine Haustür auch noch, was ja auch eine positive Bedeutung im Chinesischen hat. Danke für das interessante Gespräch, liebe Deike!