Der „beste Freund des Menschen“: Auch in China werden Hunde immer beliebter. Jedoch wissen viele nicht, wie mit dem neuen Haustier am besten umzugehen ist – mit drastischen Folgen.
Der Gedanke, dass Hunde nicht nur Fraß oder Pelzlieferant, sondern ein Schmusegefährte sein können, ist in China relativ jung. Erst seit ungefähr 15 Jahren ist es – vor allem in der wachsenden Mittelschicht – populär, Hunde und Katzen als Haustiere zu halten. „Das Umweltbewusstsein und der Tierschutzgedanke wächst wie überall auf der Welt mit dem Wohlstand“, erklärt Ingeborg Livaditis, Vorsitzende der Tierversuchsgegner Baden-Württemberg. „Wenn man nicht mehr um die tägliche Existenz kämpfen muss, hat man mehr Interesse und Zeit, sich um einen humaneren Umgang mit Tieren und mit der Natur zu kümmern.“
Tatsächlich war das Halten von Hunden unter der kommunistischen Regierung sogar lange verboten. Noch Mitte der 90er-Jahre bezeichnete das Parteiblatt Renmin Ribao (Volkszeitung) die städtische Hundehaltung als “unzivilisiert und ungesund”, ein Nachklang der Mao-Zeit, in der Haustiere ein Ausdruck von Verschwendung und bourgeoiser Dekadenz waren. Im Jahr 1970, am Höhepunkt der Kulturrevolution, musste die Volksbefreiungsarmee sogar alle Schulen für Rettungs- oder Minensuchhunde schließen.
Aktuelle Zahlen belegen, dass sich das Blatt gewendet hat: Heute leben offiziellen Statistiken zufolge in Chinas Wohnstuben bereits mehr als 150 Millionen „Streichelhunde“ – nicht als Nutztiere, sondern als Freund des Menschen. Andere Quellen berichten von einer halben Milliarde registrierter Haustiere und gehen von mindestens ebenso vielen nicht registrierten Tieren aus.Erste nationale Tierschutzvereine und Tierheime wurden gegründet. Außerdem entstehen vielerorts Haustier-Clubs, ebenso wie Hotlines für die Vermittlung von herrenlosen Hunden und Katzen.
Eine große Rolle bei dieser Bewusstseinsveränderung spielt – neben dem wachsenden Ansehen von Haustieren als Statussymbole – auch der Bruch mit der Tradition. Früher lebten ganze Familien zusammen, heute tendieren junge Leute dazu, einen eigenen Haushalt zu gründen. Gerade jüngere und ältere Chinesen fühlen sich oft einsam, da sie nicht mehr in die Familie eingebettet sind – und auch die Politik der Ein-Kind-Familie tut ihr Übriges, indem viele Eltern einen Spielgefährten für ihr Kind wünschen. Um dieser Einsamkeit zu entfliehen, halten immer mehr Großstädter Haustiere.
Diese Entwicklung hat eine erhebliche Schattenseite. Denn das nötige Wissen, wie mit den Tieren umzugehen ist, fehlt vielen dieser Familien und so kommt es häufig zu neuen Tierquälereien. „Heute wünschen sich immer mehr Chinesen ein Haustier, obwohl sie oft gar nicht wissen, wie man sich richtig um einen solchen Begleiter kümmert“, berichtet der International Fund for Animal Walfare (IFAW) auf seiner Internetseite. „Informationen über artgerechte Haltung und den richtigen Umgang mit Tieren sind kaum verfügbar, und es fehlt auch an Einrichtungen zur ärztlichen Grundversorgung.“
Viele Hundehalter sperren ihre Hunde nachts auf den Balkon oder im Garten in einen Käfig und führen sie nur morgens und abends zum „Gassi gehen“ auf die Straße oder in den Park aus. Zudem sind viele Hunde bissig – auch, weil die Halter eben nicht wissen, wie sie ihren Vierbeiner richtig erziehen müssen. Allein in den Pekinger Krankenhäusern meldeten sich 2006 rund 70.000 Patienten mit Hundebissen, schrieb die Zeitschrift „Tierschutz Aktuell” (04/2006) damals.
Haustiere werden von ungeduldigen Besitzern bei ersten Haltungsschwierigkeiten oder bei Krankheit ausgesetzt. Besonders dramatisch zeigte sich das, als die Vogelgrippe 2003 ausbrach: Tierbesitzer warfen in Panik ihre Haustiere zum Fenster hinaus oder setzten sie am Stadtrand aus. Staatlicherseits wurden Hausvögel getötet, teils vor den Augen der Besitzer. Im Frühjahr 2006 brach in Peking dann noch die Tollwut aus. Wegen der sehr hohen Kosten wurden viele registrierte Hunde nicht gegen Tollwut geimpft, obwohl es Vorschrift ist. In der ersten Jahreshälfte starben im ganzen Land 106 Personen an Tollwut, meldete damals die Frankfurter Allgemeine Zeitung (30.10.06). Auf Anordnung der Behörden wurden in der Provinz Yunnan 50.000 Hunde getötet.
Dass man seinen Hund kastrieren und impfen lassen sollte, dass man ihn an der Leine ausführt und seinen Kot von der Straße beseitigt, ist den Besitzern tatsächlich meist unbekannt oder gleichgültig. Oder sie können sich die Vorsorgemaßnahmen schlichtweg nicht leisten: Denn die Kosten für die Haltung sind noch immer außerordentlich hoch und betragen oftmals einen großen Anteil des monatlichen Einkommens. Während der Vierbeiner unter den Superreichen mittlerweile dazugehört wie das Luxusauto in der Garage, können sich viele Angehörige der neu entstehenden Mittelschicht zwar die Anschaffung, aber nicht die artgerechte Haltung leisten.
Viele Organisationen setzen sich deshalb vor allem für mehr Aufklärung im Umgang mit Haustieren ein. Seit nunmehr neun Jahren veranstaltet Animals Asia Foundation (AAF) Symposien zur Haustierhaltung in China, bei dem sich Gruppen aus dem gesamten Land regelmäßig austauschen, nach Lösungen suchen und mit einer geeinten Stimme Forderungen erheben.
Wie naiv das Verhältnis einiger Chinesen zu ihrem neuen „besten Freund“ tatsächlich ist, zeigte wohl kaum ein Jahr besser als 2006 – das Jahr, in dem das Symposium das erste Mal ausgerichtet wurde: Im „Jahr des Hundes“ legten sich zum Frühlingsfest viele Familien einen Hund zu. Die Tiere über die Festtage mit Kniffen und Klapsen zum Bellen zu bringen, verheißt Glück, denn das lautmalerische Pendant zum deutschen “wau wau” ist im Chinesischen “wang wang” – und das klingt so ähnlich wie ein chinesisches Wort für Reichtum.
Titelbild: Marina & Enrique (CC BY-NC-ND 2.0)